laut.de-Kritik
Entschleunigung aus der Kammerpop-Zone.
Review von Philipp KauseWer bloß das Gesicht des Sängers aus Seattle kennt, dürfte eine gänzlich andere Stimme erwarten. Damien Jurado hört sich weder wie 47 an, noch kantig oder knautschig. Zart und behutsam liebkost er jedes Wort. Wer Silben so viel Betonung verleiht, hat womöglich interessante Stories zu erzählen. Auf "What's New, Tomboy?" geht das Beharren auf einzelnen Noten und das Ausbleiben erkennbarer musikalischer Pointen mit einem beruhigenden Entschleunigungseffekt einher - teils gut, teils dröge.
Handwerklich macht Jurado alles richtig. Das Album flutscht sozusagen und wirkt fehlerfrei durchgezirkelt. Dramaturgie oder Reibung kennt es dagegen nahezu keine. Läge nicht so unglaublich viel dynamisches Timbre in der Stimme, wäre es einfach nur eines von hunderten Singer/Songwriter-Alben, die jedes Jahr erscheinen. Es geht viel Wärme von diesen Songs aus, wenn auch wenig hängen bleibt.
Was sich positiv einbrennt, ist ein Zitat aus dem Soul-Klassiker "Walk On By" in der Single "Alice Hyatt", mit der Hammondorgel im Chorus. In "Arthur Aware" riskiert der Barde es dann ein einziges Mal: Er schweigt. 22 Sekunden lang mittig und 44 Sekunden lang im Outro. Wir hören ein wunderschönes Zusammenspiel aus Akustikgitarren mit Griffwechseln und atmosphärischen Keyboard-Delays, die vom Mellotron ausgestoßene E-Gitarren-Verfremdungen sein dürften.
Das Mellotron sorgt für den markanten Einstieg in "When You Were Few", dem besten Tune. Die schmerzerfüllte Grunge-Akkordfolge der Gitarre und der schmirgelnde Gesang Jurados gipfeln in einer Reinkarnation desjenigen Gänsehaut-Feelings, das man von Nirvanas "The Man Who Sold The World"-Cover kennt. Der Songschreiber bekannte sich einmal dazu, Träume zu dokumentieren, oder eben verträumte kurze Sekundenschlaf-Momente.
Damien Jurado liefert den kompletten Gegenentwurf zu Chris Eckmans Oeuvre. Er hat sich, wenngleich er früher mit Lo-Fi- und Anti-Folk etikettiert wurde, für eine poppige Ausrichtung entschieden - Kammerpop. Auf "What's New, Tomboy?" fehlt das Antiquierte des Lo-Fi, das Bissige des Anti-Folk und genauso die Eingängigkeit des Pop. Eine Ausnahme stellt das liebliche Stück "The End Of The Road" dar, ein sehr schlichtes, straightes Liebeslied, in dem das Schlagzeug den Ton angibt. Ich lege mir jetzt nach Urzeiten mal wieder "In The Morning (Morning Of My Life)" auf, einen frühen Bee Gees-Song, den mir Jurado mit dem Track "Sandra" ins Ohr getriggert hat. Danke dafür, Damien!
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