laut.de-Kritik

Die Magie der Live-Performance im Studio.

Review von

Bluesrock erfährt in seiner elektrischen Variante eine erstaunliche Renaissance bei Europas Kindern der 80er Jahre. Während Joanne Shaw Taylor aus dem Raum Birmingham sich als weibliche Vertreterin allmählich auf dem Festland etabliert, die Halbfranzösin Laura Cox erfolgreich tourt und auch manch deutsche Akteure wiederum im Ausland ankommen, gilt Danny Bryant noch als Geheimtipp – obwohl er für Santana und Joe Cocker arbeitete. Jetzt, beim elften Studioalbum "Means Of Escape" muss man klarstellen: Ein besserer, leidenschaftlicherer Gitarrist in Hendrix-Manier ist nicht bekannt.

Es gibt Studioalben, und es gibt bereits Live-Alben von Bryant; letztere zeigen ihn besser. Doch nun entschied sich der Engländer für ein 'Als ob live'-Spiel neuer Songs, für eine One Take-Session: ohne Publikum, auch ohne die Chance auf ein Un-Do, auf mögliche Korrekturen. Dafür mit Spontaneität und voller Achtsamkeit für jede einzelne Note. "Ich hatte das Gefühl, dass diese Auswahl an Songs sich aus der Energie im Raum speisen sollte und wollte die Magie der Live-Performance einfangen." Und: Danny beschloss, sich mal nicht hineinreden zu lassen, und produzierte selbst.

Eine runde Sache entstand. Schön meistert Bryant den Brückenschlag zwischen Traditionstreue und Individualität. Mit unablässiger Expressivität in Gesang, Gitarrensoli und Klavier-Pointierungen. Viele andere begreifen Blues als ein Korsett, das es schon seit jeher gibt, und ruhen sich darin aus. Doch dieser englische Virtuose spielt sich in minutenlange Steigerungen hinein, etwa in "Too Far Gone". Er betont jedes Wort bewusst. Auch gibt er uns einen Ohrwurm mit auf den Weg: den Titelsong "Means Of Escape", dem Dylan-Klassiker "All Along The Watchtower" ganz ähnlich gestrickt.

Das ist moderner Blues. Das Leiden lässt sich in den zittrig-verzerrten elektrisch verstärkten Gitarrentönen spüren. Die Stimme des Sängers kippt. Lead Guitar und E-Bass verschmelzen im Duell der Kreisch- und Quiekklänge zu einem orchestralen Ganzen. Der (Seelen-)Schmerz gibt nicht nach, und nur ein Ausfaden aus dem Titel löst wohl die ungeheure Spannung. So suggeriert es zumindest eine separat abgemischte Version von "Tired Of Trying", die 'Radio Edit'. Radiosender haben ja keine Zeit. Die Album-Fassung ist dagegen die einzig echte: diejenige Version, in welcher sich die wehklagenden Stromstöße um sich selbst drehen und am Ende das Schlagzeug dem Jaulen Einhalt gebietet, indem der Drummer einen entschiedenen Schluss schlägt.

Das Charmante an dem Album ist dabei auch die Hörerfreundlichkeit. Die Track-Abfolge hat eine klare Struktur. Es wechseln jeweils ein voll bepackter und dann wieder ein stillerer Titel ab. So formt sich ein Yin und Yang. Voll beladen, das heißt unter maximaler Ausschöpfung aller Klangquellen. So rockt auch das schwergewichtige "Nine Lives". Andere Titel lassen dem Gesang wieder mehr Luft, so "Where The River Ends" als Classic Rock-Ballade. In den entscheidenden Momenten zetert die Slide, wenn der Sänger Pause hat. Der Text blickt auf Fehler zurück, aufs 'Gestern', macht genau das, was in unserem Zeitgeist als verpönt und unschick gilt, als No-Go. Das Gitarrensolo von Minute 3:57 bis 4:56 erfüllt mindestens die Qualitätsstandards von Joe Satriani.

"Means Of Escape", der Titelsong, kommt auf den Punkt, oszilliert mit bis an die Schmerzgrenze ausgereizten Gitarrensounds. Es geht um Vergänglichkeit. Dass vieles im Leben Sisyphos-Arbeit ist und das Leben und die Beziehungen darin allzu endlich; daraus gibt es im Grunde keine 'Fluchtmittel', keine 'means of escape'. Und doch hilft die Bluesmusik in ihren Schattierungen von Leise und Akustisch bis Bombastisch und Elektrisch, die Sehnsüchte, das Missempfinden, die Trennungsqualen und das Trauern über das, was man lieb gewonnen hat und wieder hergeben muss, zu durchleben, alles emotional zu verarbeiten.

Das auch recht triste "Hurting Time" lässt dann vor allem das Klavier sprechen. "Skin And Bone" setzt als Akustik-Song mit teils übersteuertem Gesang ganz auf das Rohe und Naturbelassene des ursprünglichen Mississippi-Ur-Blues.

Bryants Stimme erwies sich nicht in allen Songs seiner vorangegangen Platten als großes Vermächtnis – manchmal zu röhrend, zu sehr um Ausdruckskraft ringend, 'unlocker', bisweilen anstrengend zum Zuhören. Die Vocals des Blues-Barden haben sich allerdings sehr entwickelt. Oder anders gesagt: Der 39-Jährige hat hier die passenden Songs und die geeignete Aufnahmesituation gefunden, lediglich mit ein paar wenigen Echo-Effekten auf der Stimme. Und auch ein Instrumental überzeugt: "Mya".

Viel Melancholie schwingt durch diese ganze Platte mit, und der Mut zur Schwermut tut gut. "Means Of Escape" hält den schnellen Klangspielereien Bonamassas entgegen, dass Blues ohne Rock'n'Roll starke Statements setzt und die Geschichte von Jimi Hendrix nicht auserzählt ist. Tausende Musiker weltweit nennen den Mann, der auf seine Gitarrensaiten biss, als Vorbild - oft nur, um die Wahl ihres Instruments zu erklären. Den anderen Teil erwähnen sie nicht: wie man die Gitarre (be)nutzen kann, zum Beispiel dass man ihre Saiten traktieren, quälen, sich mit ihnen so weit auseinandersetzen muss, bis sie zu reißen drohen.

Danny Bryant führt diese Intensität eindrucksvoll vor. Das Album ist kurz, bescheiden und beschränkt sich aufs Wesentliche. Nicht am Ende, sondern in der Mitte steckt mit "Warning Signs (In Her Eyes)" ein triefender Abschiedssong. "She bought a one-way ticket to a long destination", dazu orgeln ein paar Moog-Töne inmitten des traurigen Plots. Statt Lautstärke ist Gänsehaut-Atmosphäre das zentrale Maß aller Dinge.

Trackliste

  1. 1. Tired Of Trying
  2. 2. Too Far Gone
  3. 3. Means Of Escape
  4. 4. Nine Lives
  5. 5. Skin And Bone
  6. 6. Warning Signs (In Her Eyes)
  7. 7. Where The River Ends
  8. 8. Hurting Time
  9. 9. Mya

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