laut.de-Kritik
Schön, dass es diesen Hardcore-Haufen überhaupt noch gibt.
Review von Gil Bieler"Love, love, love ..." Hätte man wetten müssen, mit welchem Wort ein neues Dead-Cross-Album beginnt, kein Schwein hätte auf die Liebe gesetzt. Zu sehr war das Debütalbum der Truppe von rasender Wut und Vulgarem durchzogen. Einen riesigen dampfenden Haufen Krach hatten Sänger/Schreihals Mike Patton (Faith No More, Tomahawk etc.), Drummer Dave Lombardo (Testament, Suicidal Tendencies), Gitarrist Michael Crain und Bassist Justin Pearson (beide Retox) damals in ihre 'Church Of The Motherfuckers' gesetzt. Die Supergroup, die eigentlich nur eine Gruppe guter Freunde sein will, machte Hässlichkeit ganz bewusst zum Konzept ihres metallisierten Hardcore-Punk-Projekts.
Von den Gitarrenriffs über das Drumgewitter bis zum manischen Gekreische: Wirklich alles auf dem Debütalbum war auf Eskalation gebürstet. Ein Festival des schlechten Geschmacks. Wer sich von "II" nun einfach 'Abreibung, Folge 2' erhofft, dem setzen die Vier gleich den nächsten Haufen vor die Füsße. Dead Cross erliegen nicht der Versuchung, ihren Irrsinnsritt überbieten zu wollen. Das Unterfangen wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt.
Nein, Dead Cross klingen 2022 gerne öfter mal anders. Patton empfängt die Anhängerschaft säuselnd, während die Musiker überraschend kultiviert agieren. Tempo: langsam. Stimmung: unheilvoll. Der Song schaukelt sich nur langsam hoch, die Frage, wann es knallt, beantwortet Justin Pearson mit heiserem Geschrei: Erst im Mittelteil von "Love Without Love" fahren Dead Cross erstmals die Gitarrenwand hoch und Lombardo tritt in die Doppelpedale.
Auch "Animal Espionage" beginnt als verhältnismäßig straighte, unaufgeregte Surfrock-Nummer mit düsterem Einschlag. Repetitives Gitarrenriff und trockener Beat entwickeln hier einen ähnlich hypnotischen Sog wie auf "Bela Lugosi's Dead", dem superben Bauhaus-Cover vom Erstling. Aus dieser Trance zappeln sich Dead Cross nur kurz frei, ansonsten ziehen sie den Stiefel tatsächlich durch.
Wir lernen: Auf "II" darf auch mal der Groove im Vordergrund stehen und Wirkung entwickeln, statt dass er alle naselang zerdeppert wird. So ist auch "Ants And Dragons" zu einem guten Teil cooler Asi-Surfrock, der sich auf Mr. Bungles "California"-Album finden könnte. Natürlich gibt es ein paar Ausbrüche, und Patton gackert zwischendurch wie ein angriffiges Huhn, sonst wäre der Song fast schon brav. Okay: Brav angesichts dessen, was man von den Kaliforniern eben erwartet.
Was außerdem auffällt: Pearson und Patton teilen sich diesmal die Schreiarbeit, wobei der Bassist auf herrlich heiseres Gekreische setzt. Dabei hätte ein Tausendsassa wie Patton eigentlich gar keinen Backup-Sänger nötig. Zumindest unter normalen Umständen.
Kurzer Einschub, denn man kann "II" nicht besprechen, ohne auf den Entstehungsprozess einzugehen. Bei Michael Crain wurde 2019 unverhofft Krebs im fortgeschrittenen Stadion diagnostiziert. Die Chemotherapie und die Erholung bereiteten dem Mittvierziger nach eigenen Angaben höllische Schmerzen, von der psychischen Belastung ganz zu schweigen. Die Arbeit an einem neuen Album – so qualvoll sie auch gewesen sein müssen – wurde für ihn zum Antrieb, zum Rettungsanker in seinen schwersten Zeiten.
Blöderweise war auch Patton an einem dunklen Ort gefangen. Die Corona-Pandemie und die damit einhergehende Isolation setzten dem Sänger psychisch schwer zu. Alkohol als Therapiemittel machte alles nur noch schlimmer, eine geplante Tour mit Faith No More sagte er kurz vor dem Start ab. Die eingespielten Songs blieben darum lange in der Schublade liegen, bis Patton sich so weit aufraffen konnte, seine Vocals einzusingen.
Auf "II" sind damit zwei mutmaßlich noch immer angeschlagene Akteure zu hören, und wenn man dies einmal weiß, ist es schwierig, es auszublenden. Crains Gitarre scheint im Vergleich zum Vorgänger mehr Raum einzunehmen. Und der Mann liefert: Ob thrashig oder cartoonhaft, Geradeaus-Punkriffs oder immer wieder Surf, er trotzt den schmerzenden Handgelenken wirklich alles ab. Dass Pearson und Lombardo ebenfalls keine Stümper sind, ist klar.
Wenn bisher vor allem von den neuen Aspekten die Rede war, muss auch mal betont werden: Den Kern ihres Sounds behalten Dead Cross bei. Das Album hat noch immer eine ganze Menge Aggressionen und chaotische Elemente unter der Haube. Die Welt ist schlecht und will aufs Übelste beschimpft werden. "Reign Of Error" etwa braucht keine zwei Minuten, um die Hütte abzufackeln. Aber es bleibt eben nie beim reinen Durchknüppeln.
"Nightclub Canary" verbindet mühelos Thrash, ein hirnrissiges Gitarrensolo und einen luftigen Breakteil mitsamt Crooner-Einlage und einem abgerissen hingerotzten Finale. Wer sich schon immer gefragt hat, wie eine Kollaboration zwischen Refused und Jello Biafra klänge: womöglich in etwa so.
Auch das vorab veröffentlichte "Heart Reformer" versprüht herrlich rohe Energie und Zug nach vorne. In der Mitte implodiert der Song unvermittelt (ein Stilmittel, das Dead Cross leider etwas zu oft einsetzen) und lebt dann mit bruchstückhaften Klangfetzen wie eine Hommage an Pattons/Lombardos Fantômas-Projekt wieder auf.
Hinter "Strong And Wrong" verbirgt sich ebenfalls eine rabiate kleine Perle. Wenn ihnen gerade nicht nach Bolzen zumute ist, schießt Crain mit spacigen Ping-Klängen um sich, und Lombardo packt Jazzryhtmen aus. Auch Patton liefert hier von langgezogenem Scream über Sprechgesang bis zu smoother Gesangsmelodie das volle Programm.
Dem Frontmann kommt ohnehin eine Schlüsselrolle zu. Erst seine aberwitzigen Verrenkungen entscheiden darüber, wie gut ein Song in Erinnerung bleibt. Unter dem Strich sind die catchy Ideen diesmal etwas rarer gesät als auf dem Debütalbum. Auf "Christian Missile Crisis" etwa überlässt er die Bühne weitgehend Pearson. Der macht seine Sache ganz gut, ist aber stimmlich um einiges limitierter als der Ausnahmekönner im Bunde. Bei verhältnismäßig langen fünf Minuten Spielzeit ist das leider kein Pluspunkt.
Dead Cross erweitern auf "II" ihren episodenhaften HC-Punk um einige Facetten. Das Album fällt musikalisch vielfältiger als der Vorgänger aus, womit die Band unterstreicht, dass sie eben kein One-Trick-Pony ist. Im direkten Vergleich zieht das zweite Album dennoch knapp den Kürzeren. Es dauert einfach länger, bis man sich eingegroovt hat, und der eine oder andere bleibende Gesangspart fehlt. Dass "II" überhaupt das Licht der Welt erblickt hat, ist freilich schon eine immense Leistung der Beteiligten. Nichts als "love, love, love" in Richtung Kalifornien.
1 Kommentar
Kann man so stehen lassen. Vielleicht hätte man sich noch etwas mehr Zeit lassen sollen. Pendel so zwischen 3 und 4.