laut.de-Kritik
Amüsante Ansage an alle Backpfeifengesichter da draußen.
Review von Michael SchuhDie wenigsten Beobachter hätten den Ärzten im Jahr 1993 zugetraut, dass sie ihre damals bereits zum Legendenstatus erwachsene Karriere aus den 80ern noch toppen würden. Misstrauisch wurde die nicht mal von Fanseite erwartete Wiedervereinigung von Farin Urlaub und Bela B. beäugt und noch misstrauischer stand man diesem fremden Typen namens Rodrigo Gonzalez gegenüber, der plötzlich auch ein vollwertiger Arzt sein sollte; eine Art Incredible Hagen aus Chile, den bis dato allerdings nur jene Handvoll Ärzte-Fans kannten, die sich 1990 die konzertanten Fähigkeiten von Belas Flopband Depp Jones antaten.
Ungefähr ebenso wenig Beobachter hätten diesem zumindest recht gut aussehenden Südländer zum Zeitpunkt seines Einstiegs zugetraut, schon zwei Jahre später derart Oberwasser zu gewinnen, dass er nicht nur einen Ärzte-Song vortragen darf, sondern dieser auch noch (fast) als Single ausgekoppelt würde. "Rod Loves You" von 1995 darf als Bassisten-Bonbon an den warmen Empfang der pünktlich zur Reunion wieder standhaft devoten Fangemeinde gelten (wenngleich sein Status als Promo-Single nicht für die Integration auf dieser Wärkschau genügte).
Nach den diesjährigen Soloalben von Farin und Bela führt uns die vorliegende "Bäst Of" wieder behutsam ans Thema Die Ärzte heran, und zwar im Stil des ähnlich konzipierten Vorgängers "Das Beste Von Kurz Nach Früher Bis Jetze" (1994). Damals spannte man schon einen weiten Single-Bogen von "Grace Kelly" bis "Quark", nicht ohne vergriffene Obskuritäten wie "Ewige Blumenkraft" oder "Und Ich Weine" alter B-Seiten aufzukochen.
Da nicht nur Manowar über die triumphale Kraft von Stahl Bescheid wissen, residiert die "Bäst Of" sowohl als CD als auch in Vinylform eingebättet in einer opulenten Stahlbox. Wie man Fans angemessen bedient, wissen die Berliner schließlich nicht erst seit Geheimkonzerten als Die Zu Späten oder Nackt Unter Kannibalen.
Alle A-Seiten der Ärzte seit 1993 zusammengezählt ergeben 25, die gleiche Anzahl findet sich auf der zweiten CD, wobei hier beinahe Schummelverdacht aufkommt, denn auf Maxis versammelten die Ärzte sogar noch mehr Bonustracks. Nun ja, Absolventen der Rock'n'Roll Realschule verzeiht man schon mal kleine Rechenfehler.
Los geht der Hit-Countdown mit dem Reunion-Brett "Schrei Nach Liebe", einem ehrenwerten Schrei hinein ins wiedervereinigte Land der ausländerfeindlichen Krawalle von Hoyerswerda bis Rostock-Lichtenhagen. Nebenbei signalisierte die Textzeile "Zwischen Störkraft und den Onkelz steht ne Kuschelrock-LP" den ungeliebten Ex-Kollegen aus alten Index-Tagen in Frankfurt, dass die ideologischen Gräben auch im neuen Jahrzehnt unüberwindbar bleiben.
Überhaupt waren die 90er Jahre sehr zuvorkommend für Die Ärzte. Nachdem das Trio in den 80ern teilweise ratlos vor ironiefreiem Publikum zu operieren gezwungen war, feierte die mittlerweile von "Schmidteinander" umerzogene Öffentlichkeit die reich gestreuten Zweideutigkeiten der Band ab, kulminierend in der allerersten Nummer Eins-Single "Männer Sind Schweine", die die Band nur auf der dazugehörigen "13"-Tournee ins Live-Programm hievte und fortan ignorierte.
Statt Jarvis Cockers Appell "Irony is over" von 1997 zu beherzigen, machten Die Ärzte einfach genau dort weiter und karrten im Gegenzug Platin-Auszeichnungen nach Hause. Vielleicht gerade weil man der blind folgenden Gefolgschaft nach dem "Planet Punk"-Album von 1995 immer wieder völlig unerwartete Sounds vorsetzte, etwa die Ska-Single "Schunder-Song", den 80er Quietschpop von "Rock'n'Roll Übermensch" oder den New Metal-Spaß "Unrockbar".
Dass die Band ihre B-Seiten nicht unter Vollnarkose aufnimmt, dürfen mit dieser Veröffentlichung nun auch Uneingeweihte nachfühlen. "Saufen" etwa, musikalisch zwischen Hans Söllner und den Toten Hosen pendelnd, arbeitet sich in bekannter Manier am Schluck-Image der Punkbewegung ab: "Besoffenheit is' super / und schlägt Nüchternheit um Läng' / Und hol's der Teufel, schon is' wieder Zeit / für den Refrain". In der großartigen, bläsergestützten Abrechnung "Warrumska" wundert sich Farin, warum seine Herzdame verschwunden ist, wo er ihr doch "gestern erst was zu Trinken hingestellt" hatte.
Die Beatles-Liebe des Blonden tritt in "Die Regierung" zu Tage, nebenbei erfahren wir auch, dass Urlaub im selben Supermarkt einkauft wie Fischmob-Sven und dass ein echter Punkrocker gefälligst Social Distortion und die Ramones zu hören habe, "und nicht so'n Scheiß wie King Kong und Depp Jones" ("Punkrockgirl"). Die Bescheidwisser selbst gehen mit gutem Beispiel voran, indem sie eine Nummer mit dem Münsteraner Virtuosen Götz Alsmann aufnehmen ("Punk ist ..."). Alles in allem ist "Bäst Of" eine gehaltvolle wie amüsante Ansage an alle Backpfeifengesichter da draußen, und gleichzeitig der Nachweis, dass es mit der Wiedervereinigung 1989 zum Wohlergehen des deutschen Volkes noch nicht genug war.
2 Kommentare
Dies ist endlich mal wieder eine vernünftige Rezension eines Ärzte-Albums. Es wurde jetzt zwar nicht auf jeden Song eingegangen, aber bei 50 Liedern wär das wohl wirklich zu viel verlangt. Aber hiernach ging es ja mit der deutlich missglückten JIA-Rezension schon wieder weiter. Leider.
@Kubikmeter (« Aber hiernach ging es ja mit der deutlich missglückten JIA-Rezension schon wieder weiter. Leider. »):
dann schreib dir doch deine eigene, vor beweihräucherung nur so triefende JIA-Rezi und häng sie dir an den kühlschrank.