laut.de-Kritik
Einblicke in den Alltag von Rock'n'Roll-Übermenschen.
Review von Michael SchuhEigentlich müsse man ewig mit der Band weiter machen, sinnierte Chefarzt Farin Urlaub einmal, die Hobbys der einzelnen Bandmitglieder seien einfach zu teuer. Vermutlich bereist Urlaub also auch noch im Jahr 2024, er wäre dann sechzig, mit seinem Motorrad die weite Welt, sähe ungefähr so zerknittert aus wie im aktuellen Videoclip "Deine Schuld" und kämpft zwischendurch mit seinen beiden berufsjugendlichen Begleitern eifrig und erfolgreich gegen die Gefahren der Geriatrie an.
So geschehen vergangenen Dezember in Oberhausen: Drei Typen, zwei Nächte lang in einer 14.000-Mann-"Arena". Macht Pi mal Daumen sechs Stunden DVD-Vergnügen, wie die Band selbst vorrechnet. Wie genau sie darauf kommt, darf jeder selbst ergründen. Faktisch liegen uns 43 Songs und ein Medley vor, jede Menge Ansagen und Trailer sowie eine metrosexuelle Menüführung, der ich mich in meiner liberalen Ausrichtung zwar artig gefügt habe, die mir mirakulöserweise (schönes Wort, Farin!) aber auch nicht so viele Features näher bringen konnte, als dass ich auf sechs Stunden käme.
Egal, denn hier wütet die beste Band der Welt, die sie im Übrigen einst Pferd nannten. Man lernt ja nie aus. Mit dabei sind trotzdem die alten Themen: Liebe und Hass (auch ohne "Elke"), Rock'n'Roll und Bravopunks, Nordseeinseln und explodierte Freundinnen, eingefangen von mindestens 30 Multi-Angle-Kameras und in Top-5.1-Sound. Ob Bela im schwarzen Netzhemd Pirouetten dreht, seine Elvis-Brille aufsetzt, ob Farin seine Schneidezähne zeigt, mit der ersten Reihe flirtet, Rod in die Klaviertasten greift, oder die Vorgruppe Fettes Brot plötzlich auf die Bühne tanzt, immer ist man hautnah dabei. Der einstudierte Punk-/Hip Hop-Zwist mit den Hamburgern bei "FaFaFa" gehört zu den Höhepunkten des Spektakels.
Wie immer wimmelt die Show natürlich vor Zitaten aus dem weiten Fundus der Musikgeschichte, vor allem das neue Album der Kassierer, das auf Rods Label erschien, hat es den Berlinern spürbar angetan. Außerdem gibts etwas Ska ("Motherfucker 666"), einige Rod-Songs ("T-Error", "Anti-Zombie", "Geisterhaus", "Dinge Von Denen"), ein Lichtermeer bei "Mach die Augen zu" und natürlich Klassiker wie "Grace Kelly", den Song über "die Mutter Beimer der 60er Jahre" (Bela). Zwischendurch erscheinen alle mal eben im Anzug und stellen die "MTV Unplugged"-Atmosphäre nach und Bela kämpft kurz mit einer überlebensgroßen Diskokugel - was man als Rock'n'Roll-Übermensch für seinen Lebenserwerb halt so macht.
Dennoch stehen die drei beinahe verloren auf dieser Riesenbühne, die normalerweise für Größen wie Metallica reserviert ist. Was ihre mit Laser und Gimmicks aufgeblasene Rock'n'Roll-Comedy nicht schmälert. Schön auch, dass man sich das Konzert zusätzlich mit Kommentaren der Protagonisten zu Gemüte führen kann. Farin outet sich dort als Ärzte-Fan, lobt seine eigene Bühnenshow und disst die Kollegen: "Auch schön hier zu sehen ist Belas Bassdrum, sie entspricht nicht ganz der Größe seines Egos, aber sie kommt nahe dran".
Das Fazit muss also lauten: Ein einziger Triumph der Band, die sie Pferd nannten. Wobei der ursprüngliche DVD-Titel "Das Auto des Jahres" auch schön ist. Die hohe Kunst der Film-Veralberung ist natürlich auch mühelos erweiterbar. Wir plädieren für "Drei Nasen tanken Super", "Rod Gun" oder "Die Band, die zuviel wusste". Oder noch besser: "Dr. Urlaub - oder wie ich lernte den Bela zu lieben"? Keine Ahnung, warum ich gerade so albern bin. Dauert das Ganze etwa tatsächlich sechs Stunden?
Noch keine Kommentare