laut.de-Kritik
Ein sanfter Teufelshauch.
Review von Rinko HeidrichZum Frühlingsanfang verbreitet sich in der Indie-Bubble ein Rant von Stella Sommer über Algorithmen und den Wunsch Künstler*innen zu unterstützen. Wahrscheinlich wurde auch dieser Beitrag nur geliket, um wieder schnell in Vergessenheit zu geraten. Die Menschen wollen dieser Realität entfliehen. Wer möchte da noch Krise hören, obwohl sie mehr als deutlich da ist. Wöchentlich schließen Clubs oder müssen auch Touren abgesagt werden, weil die Menschen doch lieber nur einmal im Jahr einen Giga-Event besuchen können oder manchmal auch nur wollen. Und doch bleibt das dunkle Grundrauschen im Hintergrund, gerade wenn man viel im Austausch mit Künstler*innen steht, die jetzt schon mit viel Risiko in Vorkasse treten müssen, damit ein Album überhaupt noch eine vernünftige Promotion und damit noch Aufmerksamkeit erfährt.
Aber auch unabhängig von dieser Thematik bildet Stella Sommer und ihr Bandprojekt Die Heiterkeit eine andere Seite in der dieser deutschen Pop-Landschaft ab. So gut, so düster und doch angenehm einnehmend klingen nur weniger andere Künstler*innen in Deutschland. Eigentlich schon viel zu gut, damit es in diesem Land, dass Indie fast noch mehr als Bargeld hasst, wirklich endlich die benötigte Resonanz erfährt. Denn allein schon "Läute Die Glocken", mit seinem Moll-Country-Folk, ist ein viel zu guter Song für eine Nation, die bereits AnnenMayKantereit im Frühstücksradio zu krass erscheint. Es gibt schlichtweg zu wenig Mitklatschen, zu viel ehrliches Gefühl und kein Gute-Laune-Diktat. "Es gibt keine Rettung, ich habe keine gesehen/ich suchte dich überall, fand dich dann wieder/ich fand dich wieder als Komma im Buch der Lieder".
Songs für Menschen, die sich noch fühlen oder sich überhaupt noch trauen, über den Schmerz im Leben zu reden. Songs für Menschen, die trotz Enttäuschung weiterhin nach dem Guten suchen. Die nicht gerade feinfühlige deutsche Sprache bietet dafür viele Fallstricke, die gerade Songs über Liebe in einen Kitsch-Moment verwandeln. Zum Glück ist das Arrangement, produziert von Moses Schneider, zu intim angelegt, um als massentaugliches Fastfood für teutonische Hörgewohnheiten zu enden. Wobei überhaupt nichts gegen Mainstream sprechen würde, wenn diese Welt eine schöne wäre und der Großteil ihrer Bewohner gute, mitfühlende Menschen.
Die Natur-Metaphorik in "Wir Erholten Uns Vom Fieber", mit den einsamen Stränden oder "Dunkle Gewitter", passt gut zu Stella Sommer, die an einem künstlich erzeugten Hochgefühl gar nicht teilnehmen möchte. Das erinnert an dunkle Romantik-Poesie, wie in Ludwig Uhlands "Glockengeläut" oder Heinrich Heines "Nordse"-Beschreibungen, gepaart mit einem mystischen Folk, bei dem man meint, dass hier die Bewunderung für Joni Mitchell mitschwingt. "Auch Das Wird Einmal Vorüber Gehen" trägt, trotz spontaner Assoziation zu einer Düsseldorfder Punk-Band, jedenfalls wie "Both Sides Now" eine traurige und zugleich hoffnungsvolle Note in sich, wie auch so viele Folk-Songs der 70er. Es gibt viel Melancholie.
Diese Grundstimmung kommt einem irgendwie von einem anderen Album in diesem Jahr bekannt vor. "Golden Years", bei dessen Albumtiteltrack Stella Sommer die Backing Vocals sang, ist es aber nicht. Auch in "Wie Man Ein Gespenst Heilt" liegt ein Schmerz, aber auch eine Gabe, mit ihm zu leben. Wenn gar nichts hilft, gibt es ja noch die "Schwarze Magie". "Eine Freundin in der Not, wenn man weiß, was man will". Eine Black Magic Woman, wie noch von Fleetwood Mac besungen, bräuchte sie aber gar nicht zu sein. Die Heiterkeit wirkt auch vollkommen ohne Zauberspruch.
Dieses Album dürfte eigentlich gar nicht im deutschen Songwriter-Kanon stattfinden und trägt trotz nordischer Herkunft eine alte, amerikanische Seele in sich. Neben Joni Mitchell, fließt auch etwas James Taylor und Randy Newman in die Beschwörung der dunklen Magie mit ein. Das klingt nun fast nach Totenritual, dabei klingen Songs wie "Wenn Etwas Schönes Stirbt" nach warmer Nostalgie.
Große Bilder von einem Teufelshauch, auch in den USA bekannter als "Santa Ana"-Winde, tun sich sich auch im so benannten Titel auf. Diese bedrohlichen Föhnwinde, die Los Angeles und Umgebung jährlich bedrohen, passen gut zu den Natur- und Geister-Metaphern des Albums, auf dem es wirklich spukt und es um Neuordnung geht. Geisterhafte Stimmen aus dem menschlichen Unterbewusstsein, die auch in "Die Welt War Jung, Die Ängste Alt" immer wieder in verschiedener Intensität und im Wechsel der Jahreszeiten unsere Begleiter bleiben. Die hoffnungsvolle Botschaft in diesem schönen und rätselhaften Album bleibt: Auch Schlechtes wird irgendwann vergänglich, Schmerz kann schön sein und Böses lernt man zu akzeptieren. Wer Stellas Sommer oder Die Heiterkeit nun mit einer abermaligen Großtat weiter ignoriert, dessen verlorener Kirschblüten-Insta-Seele kann man selbst mit "Schwarze Magie" nicht mehr helfen.
3 Kommentare
sorry, aber 5 Sterne??? Never
Das lustige ist, dass der Song „Schwarze Magie“ wirklich eine 5/5 ist. Und wenn ich CEO von MAGGI wäre, würde ich JETZT einen Deal einfädeln.
Alter, ist das ne Review.
Spricht und springt mich total an
Was ne mitreißende Leidenschaft in den Zeilen, rrrrrr.
Platte ist eh top.