laut.de-Kritik

Die gegensätzlichen Pole lassen sich nur schwer vereinen.

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"Was immer blieb ist die Musik. Da ist 'n Teil von mir für immer in den Liedern, die ich schrieb. Sie hat mir beigebracht, was Selbstbewusstsein heißt. Brauch' das Feuer in mei'm Herzen, denn die Welt ist grau und kalt." Bereits auf "Minus X Minus = Plus" fiel neben der von den Rezensenten meist unmittelbar wahrgenommenen Gesellschaftskritik ein nicht geringer "Kitschfaktor" auf. Nun setzt Disarstar mit seinem vierten Album dazu an, das Relevante mit dem Trivialen zu versöhnen. "Klassenkampf & Kitsch" legt Wert darauf, das gesamte Spektrum abzudecken.

Kritische Akzente setzt er etwa im Titelsong. Lobenswert ruft er die Ertrunkenen im Mittelmeer ins Gedächtnis und richtet sich an all diejenigen, die die Flüchtlingsströme nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit scannen und dann entrüstet aufheulen, dass nicht nur Facharbeiter die Grenze passieren: "Die Würde des Menschen ist unantastbar, solang' der volkswirtschaftliche Nutzen passt." Leider untergräbt der musikalische Ausnahmezustand im Gröl-Refrain inklusive E-Gitarren-Einsatz ein wenig die Aussagen seiner konzentriert vorgetragenen Strophen.

Auch "Jetzt & Für Immer" repräsentiert das Kämpferische, ohne sich dabei in Analysen zu ergehen. Mit seiner Schlagwort-Hook ("Vollgas, Tollwut, Abriss") schielt der Song vor allem auf die Live-Eskalation. Textlich vergreift sich Disarstar in einem Punkt gehörig im Ton: "Faschos ins Lager. Nein, das hat er nicht wirklich gesagt." Das blitzschnelle Ironisieren ähnelt einer Kommunikationsstrategie Trumps, der gerne Unaussprechliches von sich gibt, nur um zu testen wie es in seiner Basis ankommt. Wenn der Gegenwind ausbleibt, kann er irgendwann gefahrlos auf die Relativierung verzichten.

In "Männer & Frauen" sampelt er die aus heutiger Sicht lächerlich wirkende Dr. Oetker-Werbung aus den Fünfzigern. Passend dazu trägt Disarstar in seiner zweifellos gut gemeinten Sexismus-Kritik vor allem gewonnene Schlachten aus. Dass eine Mutter ihre Tochter verwundert fragt, weshalb sie studieren wolle, mag in den entlegensten Winkeln des Hinterlandes vielleicht noch vorkommen, aber gebildete und arbeitende Frauen haben ihren Exotenfaktor doch nun wirklich verloren. Erst in der zweiten Strophe des Boom-Bap-Songs streift er aktuelle Debatten wie die Einkommensunterschiede.

Von immerwährender Aktualität erweist sich "Glücksschmied", das mit dem Geldadel abrechnet, der auch ohne Leistung zu erbringen die gesellschaftlichen Schlüsselpositionen einnimmt. Mit Trump, Quandt und Bahlsen gehen Breitseiten an drei prominente Beispiele, die bereits qua Geburt den Normalsterblichen uneinholbar voraus sind. Zudem gastiert mit Hanybal der wohl klügste hiesige Straßenrapper auf dem Song. Er hebt die mangelnde Chancengleichheit hervor und berechnet, was vom geringen Verdienst bleibt, während der erwirtschaftete Mehrwert nach oben wandert.

Das mag alles hochpolitisch klingen, dabei kommt auch das Private keineswegs zu kurz. Ein "Panzer" muss nicht zwangsläufig in der nächsten Straßenschlacht zum Einsatz kommen. Er kann auch das empfindsame Innere bedecken. "Geht die Sonne wieder unter, wird mein Zimmer zu 'nem Bunker", schildert er in "Dystopia" seine Isolation: "Früher oder später muss ich vor die Tür. Bereite mich vor, weiß nich' ma' wofür. Hab' panische Angst vor der Hölle da draußen – der Hölle in mir." Trotz des traurigen Inhalts wirkt das Stück auch dank der gesungenen Hook durchaus massentauglich.

Im schwermütigen "All Die Jahre" nimmt er den Hörer von Tiefpunkt zu Tiefpunkt durch die Dramen und Dämonen seines Lebens mit. Begleitet von der Akustikgitarre bewirbt sich Disarstar mit seiner kontrollierten Präsenz für ein Unplugged-Album. Dagegen treibt er inhaltlich entschlackt mit Sebastian Madsen auf "ADHS" in Richtung Indie-Rock. Richtiggehend poppig fällt "Nie Sie" mit Alexa Feser aus. Die schwelgerische Melodie zum Trap-Gerüst, der gesungene Refrain und das private Thema stehen im krassen Kontrast zu Songs wie "Jetzt & Für Immer" oder "Klassenkampf & Kitsch".

So überaus erfreulich jede politische Stimme im Rap ist, fehlt es "Klassenkampf & Kitsch" im Gegensatz etwa zu den Werken des artverwandten PTK deutlich an Kohärenz. Die gegensätzlich wirkenden Pole des Titels lassen sich nur schwer vereinen. Zwar haben Dirty Dasmo und Mania Music das Album erwartungsgemäß professionell produziert, aber zwischen rockig und poppig, Trübsal und Eskalation, Instrumenten und Trap-Beats fehlt das Gravitationszentrum. Mit einem roten Faden und der Fokussierung auf das Persönliche oder das Politische gelänge Disarstar ein wirklich großes Album.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Jetzt & Für Immer
  3. 3. Dystopia
  4. 4. Klassenkampf & Kitsch
  5. 5. Nie Sie (mit Alexa Feser)
  6. 6. Männer & Frauen
  7. 7. Glücksschmied (mit Hanybal)
  8. 8. ADHS (mit Sebastian Madsen)
  9. 9. Situationen
  10. 10. Tommy
  11. 11. All Die Jahre

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