laut.de-Kritik

Ein zukünftiger Star auf den Spuren von Frank Ocean.

Review von

Vier Millionen Dollar hat sich Columbia Records 2018 die Unterschrift des 1995 in Naples, Florida geborenen Dominic Fike kosten lassen. Vier Millionen Dollar für die Unterschrift eines Typen, der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als ein paar Demo-Aufnahmen vorweisen konnte. Nicht nur das Label, das das Wettbieten am Ende gewann, war wohl überzeugt davon, dass es sich bei Dominic Fike um einen kommenden Superstar handelt.

Als Geniestreich der Scouting-Abteilung ist diese Entdeckung allerdings nicht einzustufen, denn selbst ein Blinder mit Stock hätte das Star-Potenzial erkannt, das in ihm steckt: Dominic Fike kann singen, spielt mehrere Instrumente, sieht aus wie ein Model und wirkt dabei mit Schlafzimmerblick und Gesichtstattoos gleichzeitig wie ein rebellischer Bad Boy und romantischer Herzensbrecher. Nach seiner musikalischen Prägung braucht man ihn nicht einmal fragen, denn sie ziert als Tattoo seine Hand: Dort sieht man das Gesicht des Gitarristen John Frusciante von den Red Hot Chili Peppers. Vorschusslorbeeren in Hülle und Fülle, eine erste EP, aus der mit "3 Nights" gleich ein Platin-Hit herausragte, stark nachgefragte Live-Shows, die er gerne mit Weezers "Say It Ain't So" abschließt... Stellt sich nur noch die Frage, ob dieser Typ auch Musik auf Albumlänge drauf hat.

Mit 34 Minuten ist Dominic Fikes Debütalbum "What Could Possibly Go Wrong" eher kurz geraten, was sich allerdings bei diesem genreübergreifenden Werk als großes Plus entpuppt. Durch die Kürze der 14 Songs verhindert Fike, dass das Album überfrachtet, überambitioniert oder gar langweilig wirkt. Den großen Hit kann er dank "3 Nights" bereits vorweisen, was ihm die Arbeit an "What Could Possibly Go Wrong" sicherlich Druck nahm. Demnach finden sich auf dem Album keine Versuche, mit plumpen Mitteln einen Verkaufsschlager zu landen. Stattdessen bekommt der Hörer eine Mischung aus Pop, Rap, Alternative Rock, Punk, Streicher-Interludes und LoFi-Beats serviert, die in erster Linie Spaß macht und in ein sommerliches und unbeschwertes Florida entführt.

Gleich zu Beginn setzt Fike einen Höhepunkt, was schrillen Rock angeht: Der Opener "Come Here" sei der einzige Song vom Album, der den Künstler "noch nicht angepisst" habe. Gitarren heulen wie quietschende Reifen auf und Fike schreit-singt seine Lyrics durch einen Vocoder. Nach nicht einmal 80 Sekunden ist das für Aufmerksamkeit sorgende, aber den Rest des Albums nicht wirklich widerspiegelnde Intro bereits vorbei. "Double Negative (Skeleton Milkshake)", ein nächstes Highlight, dient schon eher als Stellvertreter für seinen Sound: kurzweilig, eingängig, Gitarren-lastig.

Wem Dominic Fike vor "What Could Possibly Go Wrong" noch kein Begriff war, dem wird spätestens durch das darauffolgende "Cancel Me" klar, dass der Künstler sich eigentlich im Hip Hop verortet und als Rapper bezeichnet. Lyrisch versiert, aber inhaltlich zumindest kontrovers rappt er von den Schattenseiten der Berühmtheit und dem Wunsch, den Party-Lifestyle gegen das Familienleben einzutauschen: "I hope they banish me / I miss my family tree / I was a family man and now I'm just a man to see / If you can't pay your rent or be responsible financially / They need you, I hope I get me too'd".

Das hübsche Interlude "10x Stronger" kommt fast ohne Text aus und bietet durch die prominenten Streicher Abwechslung von den über das gesamte Album hinweg dominierenden Gitarrenklängen. "Why" stellt Fikes Gespür für Melodien unter Beweis. Es macht Spaß, ihm zuzuhören, denn so gut wie der in Los Angeles lebende Künstler beherrschen nur wenige seiner Zeitgenossen diese Mischung aus Gesang und Rap.

Einer dieser Zeitgenossen ist Frank Ocean, der 2017 mit "Chanel" sowas wie den Blueprint dafür lieferte, wie man Rap mit Gesang idealerweise verbindet. Nicht allein dadurch, sondern auch durch die Art der Modifizierung der Vocals (besonders auffällig auf "Chicken Tenders", "Politics & Violence" und "Joe Blazey"). Durch seine Instrumentals erinnert Fike immer wieder an Frank Oceans Musik und insbesondere an sein 2016 veröffentlichtes Album "Blonde". Dessen Einfluss auf die jüngere Generation, zu der Dominic Fike mit seinen 25 Jahren definitiv zählt, zementiert zurecht vergebenen Status von "Blonde" als Klassiker.

Auf das etwas uninspiriert klingende, weil in ähnlicher Form schon vielfach existierende "Vampire" und das ohne Probleme in jede "lofi hip hop beats to relax/study to"-Playlist passende "Superstar Sh*t" folgt das Highlight des Albums: "Politics & Violence" besteht im Prinzip aus drei Teilen und beginnt mit bedrohlich klingenden, dunklen Streichern. Nach 20 Sekunden hebt ein neu einsetzender Beat die ganze Spannung auf und Dominic Fike verleiht dem Song mit seiner Hook weitere Akzente: "Mileage, politics and violence / at least somebody's drivin'" singt er, untermalt von Frank Ocean heraufbeschwörenden Background-Vocals. Der dritte und letzte Teil des Songs basiert auf einem Hip Hop-Beat, der ebenso entspannt klingt wie Dominics Flow.

Mit "Wurli" neigt sich das Album dem Ende zu. Der Titel ist wahrscheinlich als Hommage an die Wurlitzer-Orgel zu verstehen, die womöglich auch im Intro des Songs zu hören ist. Durch den ähnlichen Einsatz der Streicher im Outro schlägt Fike eine Brücke zur Interlude "10x Stronger" und es schließt sich der Kreis. Das mit 3:48 Minuten längste Stück des Albums "Florida", produziert von Kenny Beats, weckt noch ein letztes Mal Assoziationen mit Frank Ocean. 2016 ließ der seinen bereits erwähnten Klassiker "Blonde" ganz ähnlich ausklingen. Dominic blickt hier zurück auf seine Vergangenheit, wendet sich auf sympathische Weise an seine Fans ("Play this often, don't take this shit too serious / Know you get insecure, wish I had more wisdom for ya") und droppt ganz zum Schluss noch ganz nebenbei eine ebenso clevere wie absurde Line, die unter all den über die 14 Songs verteilten Versen wohl am ehesten hängen bleiben wird: "I done took an L on every corner like a swastika".

In den USA hat Dominic Fike den Status als Geheimtipp schon lange nicht mehr inne. Die Voraussetzungen für den nächsten logischen Karriere-Schritt, den Wandel zum weltbekannten und Stadien füllenden Superstar, erfüllt er allemal. "What Could Possibly Go Wrong" wird ihm zu diesem Schritt noch nicht verhelfen, denn dafür fehlen weitere kommerziell erfolgreiche und die Charts stürmende Hits wie "3 Nights" sowie Features von namhaften Gästen. Der Qualität seines Debüts tut das aber keinen Abbruch. Fike toppt Frank Ocean nicht, doch trotz all der sich aufdrängenden Vergleiche lässt sich Dominic Fike keinesfalls als Lite-Version bezeichnen. Wo Frank Ocean sich von R'n'B-Künstlern wie Stevie Wonder inspirieren lässt, orientiert sich Dominic Fike an Rock-Musikern. Erinnern wir uns an John Frusciante: Es liegt wortwörtlich auf der Hand.

Trackliste

  1. 1. Come Here
  2. 2. Double Negative (Skeleton Milkshake)
  3. 3. Cancel Me
  4. 4. 10x Stronger
  5. 5. Good Game
  6. 6. Why
  7. 7. Chicken Tenders
  8. 8. Whats For Dinner?
  9. 9. Vampire
  10. 10. Superstar Sh*t
  11. 11. Politics & Violence
  12. 12. Joe Blazey
  13. 13. Wurli
  14. 14. Florida

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