laut.de-Kritik

Musik für Models vor Nebelmaschinen.

Review von

Warum ist dieses Domiziana-Phänomen so von heute auf morgen den Bach runtergegangen? 2022 hatte sie mit "Ohne Benzin" vermutlich eine der erfolgreichsten Debüt-Singles der deutschen Pop-Geschichte. Daraufhin wurde sie royal weiter vernetzt und gastierte auf Hit-Singles von Ski Aggu und Badmomzjay. "Malena" hatte dann eines der abgefahrensten und opulentesten Videos, die man in einer langen Zeit bei einem deutschen Song gesehen hat.

So rein Industrie-mäßig sollte Domiziana also in sicheren Händen sein. Sie hat sich auch recht schnell als Touring-Artist etabliert. Und doch: Zwei Jahre später ist die erste kleine EP da, und der Tank fühlt sich erschreckend leer an. Man könnte sagen: Sie fährt wirklich ohne Benzin. Pardon. Sowohl die letzten Singles als auch das ganze EP-Release begegneten in der Szene eine mir unerklärliche Apathie. Und auch, wenn die EP nicht alles komplett richtig macht, verwundert es doch ein bisschen. "Club Inferno" ist nämlich wirklich überhaupt nicht schlecht.

Im Gegenteil, es funktioniert einiges: Domiziana war mit ihrer seltsamen Schnittstelle zwischen Hyperpop und Electro mit nominellen kleinen Anleihen in den Deutschrap (wenn auch eher per Assoziation als per Sound) eigentlich prädestiniert für zeitgeistigen Erfolg. Man muss ihr auch lassen, dass sie wirklich Songs in dieser Lane schreiben kann. Sie baut immer wieder coole Momente um Tracks mit starkem, nokturnalen Electro-Puls, denen man anmerkt, dass sie ihr Genre und ihr Handwerk extrem gut versteht. Das zum Titel passende Stop-and-Go auf "Cut It Off" zum Beispiel, oder die wirklich gelungene Überleitung in die Drops auf "Victoria". Sie ist kein Rapper, sie ist aber definitiv ein MC, so wie man ihr anmerkt, dass sie eine Crowd um die Dynamiken ihrer Sounds moderieren kann.

Auch bei den Vocals merkt man, dass sich da jemand Gedanken gemacht hat. Die Toplines sind vielseitig, sie arbeitet schön gegen die Bewegungen der Songs, sie versteht, wie man Autotune einsetzen muss. "Europa Center" hat ein gelungenes Outro. Zwischenzeitlich könnte sie ein bisschen aus ihrem sehr hohen Register rausgehen ("Ohne Benzin" hat in meinen Augen zum Beispiel sehr viel Momentum aus dieser einen tiefen Note auf "kalt, wie der Winter in Berlin" gewonnen, aber das nur nebenbei), aber sonst spürt man ihr Varianz und Handwerksempfinden definitiv an.

Wichtiger noch: Man fühlt die Vibes. Sie verankert ihre Musik über Tracks wie "Europa Center" an realen Berlin-Locations, und in den besten Momenten führt es in dieses Gefühl, als würde man gerade einen Club verlassen. Winterkälte zerstäubt das High und man braucht viel zu lang durch diese weitläufige Stadt nach Hause.

Wenn ich jetzt also dagegenhalte, was nicht funktioniert, fürchte ich ein wenig, dass ich annehme, dass irgendwas schlechter geworden sein muss, weil der Hype nachgelassen hat. Aber es gibt definitiv ein paar Muster, die für mich erklären würden, warum das Interesse weniger wird.

Zum einen ist da diese Deutschpop-typische Hyperfixierung auf Melodrama. Kitschkrieg haben damals gesagt, dass der Schlüssel für ihren Durchbruch es war, wie sehr sich in den späten Zehnerjahren die "Sad aber Banger"-Formel hier breitgemacht hat. Domiziana bezieht definitiv viel Mileage aus dieser Formel. Mehr noch: Hater würden ihrer Attitüde eventuell sogar stellenweise eine gewisse Wehleidigkeit und eine gewisse Überzogenheit unterstellen. In Berlins Clubleben gefangen zu sein ist kein Schicksal, das Bilder der Hölle evozieren muss ("In Der Hölle Sind Die Lichter Immer An"). Girl, du kannst auch zu Hause bleiben und Netflix gucken, du weißt, du musst nicht zu Fuckboys in den Club, ja?

Das führt ein bisschen in diesen generellen, größeren Punkt: Ich glaube, es entsteht langsam ein gewisser Backlash gegen das diesen Berlin-Sexy-Noir-Film. Die ganze Berliner House-Rap-Ära hat ein konstantes Bombardment von Kunst nach sich gezogen, in der sehr schöne, sehr junge Leute extremes Melodrama aus eigentlich ganz angenehmen Leben beziehen. Vielleicht öffnet sich da gerade der Horizont für eine Kunst, die sich anderen Problemen annimmt, denn Sachen wie "Club Inferno" könnte man neben der aktuellen Situation der Welt ein bisschen out of touch finden.

Als ein Hörer, dessen Stress sich nicht aus gigantischen Break-Ups und dem sexy-coolen Clubleben speist, grenzt diese Art Musik schon an selbstverletzendes Verhalten für die eigene Fomo. Es kommt mir vor, als gäbe es in der Musikgeschichte diesen ewig währenden Kreislauf, ob die Leute den Untiefen der Clubwelt ihr Heilsversprechen mehrheitlich abkaufen oder nicht. Wenn es in die Mitte der Zwanziger mal wieder dazu kippen sollte, dass Leute nichts davon hören wollen, würde mich das nicht so sehr überraschen. Domiziana macht Musik für Models vor Nebelmaschinen und damit quasi Propaganda dafür, dass da irgendetwas transzendental Wichtiges in diesen Berliner Techno-Dungeons auf uns warten würde. Ich glaube, es bräuchte ein bisschen mehr Überzeugungsarbeit. Nicht nur, ob wir das glauben, sondern auch darüber, ob sie das glaubt.

Das sind aber alles eher so allgemeine Gedanken. Am Ende des Tages habe ich trotzdem das Bedürfnis, Domniziana und diese EP in Schutz zu nehmen. Sie ist auf vielen Ebenen definitiv eine Entwicklung für deutsche Popstars, die ich als wünschenswert empfinde. Da ist mehr Ambition, mehr Wille zu wirklich eigenen Sounds und Songstrukturen. Ich finde cool, dass ihr Referenzhorizont mit Filmen wie "Victoria" oder Yung Lean interessanter ist, als der ihrer Konkurrenz. Auch starke Lines wie "zwanghaft bemüht, zwanglos zu wirken", zeigen eine Grandeur, die man im deutschen Pop sonst so wenig findet.

"Club Inferno" scheint mir ein bisschen das Larven-Stadium zu sein. Domiziana lässt sich noch zu sehr vom inhärenten Hype treiben, dass sie cool ist und ihr Sound extrem im Trend liegt. Wenn da jetzt ein Album kommt, muss es noch mehr zeigen, wer sie eigentlich ist. Noch mehr darauf setzen, dass wirklich sie konkret etwas zu erzählen hat, und sich nicht mehr so vom Berlin Party People-Klischee überlagern lassen. Auf dem nächsten Album will ich, dass sie wirklich auseinandernimmt, was da ganz unten in Dantes Club-Inferno lauert, statt einfach nur anzunehmen, dass das halt die Sache ist, die coole Leute so machen. Ich glaube wirklich, da könnte noch etwas gehen.

Trackliste

  1. 1. Cut It Off
  2. 2. Victoria
  3. 3. In Der Hölle Sind Die Lichter Immer An
  4. 4. Europa Center
  5. 5. Spitze Zähne
  6. 6. Pass Auf Dich Auf

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1 Kommentar

  • Gerade eben

    Wollte (ohne die Wertung beachtet zu haben) erst den obligatorischen "Yannik ist ein Hypebeast"-Kommentar schreiben, aber dann kam der Part über die Müdigkeit von diesem wir-sind-so-hip-und-depressiv-in-unserer-Partybubble-Gejammer und den habe ich dann doch sehr gefühlt. Nichts für Ungut. Schöne Review, Yannik!