laut.de-Kritik

Zweiter Streich der Woody Guthrie Hommage.

Review von

Was soll man als Band machen, wenn einem eine weltweite Pandemie buchstäblich die Tour versaut und der Leadsänger pausiert, um seine demenzkranke Mutter zu pflegen? Untätig rumsitzen? Nicht mit den Murphys! Die umtriebigen Bostoner Celtic Punks haben die überschüssige Zeit genutzt, um eine seit vielen Jahren in den Köpfen der Band zusammengesponnene Idee umzusetzen: unveröffentlichte Songs der Folk-Ikone Woody Guthrie für die Nachwelt eigens zu vertonen. Was im vergangenen Jahr mit dem durchwegs positiv aufgenommenen "This Machine Still Kills Fascists" begann, findet in "Okemah Rising" (Fun fact, Okemah ist die Geburtsstadt des Künstlers) eine Fortsetzung, indem die restlichen in der Session entstandenen Songs nun auch noch das Licht der Welt erblicken dürfen.

Waren die Songs des Vorgängers noch eher von gediegener Natur, bestimmen nun vorwiegend tanzbare Uptempo-Nummern das Programm. Unverändert geblieben sind dagegen die klassischen Trademarks aus irischem und schottischem Folk, stellenweise veredelt durch Americana- und Country-Auszüge und die absolut unvergleichlichen und zutiefst lebendigen Vibes der Murphys. Zu Akkordeon, Whistles, Banjo, Mandoline und Fiddle, gesellen sich nun Mundharmonika und Slide Guitar. A match made in heaven für jeden Folk-Afficionado, aber auch für den ungeübten Hörer eine überaus angenehme Melange.

"My Eyes Are Gonna Shine" setzt erste Akzente in Sachen Vitalität. Die aufgeweckten Trommeln, das Schifferklavier und die gewohnt rotzige Stimme von Ken Casey ziehen auch den letzten Miesepeter vom Stuhl. Streng genommen ist der Song alles andere als eine kompositorische Offenbarung, wird allerdings durch die stückweise Zuschaltung einzelner Instrumente immer dichter, abwechslungsreicher und lebendiger. Die in Wallung geratenen Körperteile, allen voran Beine und Leber, kommen spätestens mit "Gotta Get To Peekskill" vollends auf ihre Kosten. Wie eine vertonte Pub-Schlägerei rumpelt dieses breit instrumentierte Stück Keltenfolk durch den Raum und lässt zu keiner Zeit die sonst obligatorischen Stromgitarren vermissen. Das letzte bisschen Rotzigkeit bringen die hier gastierenden Folk-Punker Violent Femmes mit, die sich erstaunlich gut einbringen.

Eher unaufgeregt und positiv sonnig tönt "Watching The World Go By" wie ein unbeschwerter Reisebericht über das Nordamerika der 40er-Jahre. Das heitere Banjo und die Mundharmonika erzeugen Aufbruchstimmung oder gar Fernweh, der Tanzbass liefert den nötigen Schwung. Es passiert zu keiner Zeit besonders viel, aber es zieht dennoch einen Spannungsbogen auf. "I Know How It Feels" tut genau das, was die heiligen Pogues zu ihren besten Zeiten zur Perfektion brachten. Ordentlich dreckigen Irish-Folk mit ausreichend Druck zu versehen, um jeden Saal zum kochen zu bringen. Die Sehnsucht nach tiefbraunen, obergärigen Getränken wird schier unerträglich.

Ganz eigen und auch etwas ungewohnt erscheinen die Rhythmen von "Rippin Up The Boundary Line". Zum geil pissigen Gesang gesellt sich eine weitere, stimmliche Harmonie, die zum Bostoner Singer/Songwriter Jesse Ahern gehört. Ein stoisches Banjo und gelegentliche Shouts verleihen dem Protestsong Substanz. Obwohl kantig, könnte er sich kaum besser ins Konzept des Albums einfügen. Durch den Einsatz einer Slide Guitar im Solo gewinnen hier auch zum ersten Mal Americana-Anteile die Oberhand. Das gespenstische "Hear The Curfew Blow" mit Gefangenchor, Pauken und finsterem Text erzeugt eine unfassbar beklemmende Stimmung. Das Westernoutfit steht der Band ganz ausgezeichnet, der heulende Wind und die geisterhaften Banjo-Noten passen wie die Schlinge um den Hals der besungenen Verdammten.

Der letzte Gast, die Outlaw-Country Dame Jamie Wyatt, übernimmt die weibliche Hauptrolle im leicht albernen "Bring It Home". Der Irish-Folk-Country Hybrid erzählt die Geschichte eines Mannes, der seiner Holden regelmäßig Elektrogeräte darbringt, die er im Suff erstanden hat. Man kann auch hier nicht verhehlen, dass trotz ungewohnter Belanglosigkeit Freude beim Hören entsteht. "When I Was A Little Boy" ist der einzig wirklich ruhige, nachdenkliche Moment auf "Okemah Rising". Der cleane, wehklagende Gesang folgt einer überwältigenden Melodie, Flöten und Akkordeon zerreißen Herzen, aber dennoch erscheint das Stückchen etwas fehlt am Platz. Das liegt vielleicht auch zusätzlichen an den eigenartigen Ahoo-Shouts.

In "Run Hitler Run" empfiehlt der überzeugte Kommunist Guthrie dem Führer, schnellstens Land zu gewinnen, die Murphys machen einen typischen Punksong daraus. Chöre, gute Laune, eine spitzbübische Leichtigkeit und das nötige Tempo formen den perfekten Rausschmeißer (pun intended). An "I'm Shipping Up To Boston", dem sicherlich bekanntesten Song der Band, kam bisher wohl kaum jemand vorbei. In einer etwas ruhigeren, reduzierten "Tulsa Version" schließt er dieses kurzweilige Album und tut dabei niemandem weh.

Insgesamt ein sehr stimmiges Album, kurzweilig und authentisch. Sollten noch Songs aus der Session übrig sein, immer her damit.

Trackliste

  1. 1. My Eyes Are Gonna Shine
  2. 2. Gotta Get To Peekskill
  3. 3. Watchin The World Go By
  4. 4. I Know How It Feels
  5. 5. Rippin Up The Boundary Line
  6. 6. Hear The Curfew Blowin
  7. 7. Bring It Home
  8. 8. When I Was A Little Boy
  9. 9. Run Hitler Run
  10. 10. I’m Shipping Up To Boston (Tulsa Version)

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Irgendwie ein Einheitsbrei aus irisch-folkloristischem Geschunkel, das irgendwie auch ein bisschen punkrockig anmuten will. Wer drauf steht, bitte. Meins ist das nicht. Ich fühl da nix. Rockt in meinen Ohren nicht.