laut.de-Kritik
Rock'n'Roll-Reagan und Obama-Hasser? Yes He Can!
Review von Michael SchuhJesse Hughes war lange nichts übel zu nehmen. Zunächst das staubtrockene Eagles-Debüt, dann der beneidenswerteste Freundeskreis im Musikbiz (Josh Homme, Dave Grohl, Jack Black) und schließlich sein bereits zum Band-Markenzeichen avancierter Gesichtsrasen. It's a long way to the top? Für Hughes galt die Young/Young'sche Weisheit irgendwie nicht.
Doch seit er sein bislang auf Peace, Love & Death Metal reduziertes Weltbild um erzkonservative Politansichten ergänzte, fragen sich große Teile der EODM-Fan Army besorgt, wie sich dieser Rock'n'Roll-Reagan eigentlich in ihre Herzen spielen konnte.
Die Antwort ist einfach und wird auf "Heart On" in bisher drängendster Weise beantwortet: Weil Hughes den lüsternen Boogie gefressen hat wie kein Zweiter, weil er auf halbgare Albernheiten der Sorte "The Ballad Of Queen Bee And Baby Duck" nun glücklicherweise verzichtet und stattdessen eine beinahe makellose Songsammlung abliefert, die selbst scheinbar humorlose Rockveteranen wie The Edge zum Beckenkreisen verleitet.
"Here's a story that you ought to know / I had a little fight / I was dancing at a Go-Go", spielt er im massiv "Brown Sugar" zitierenden Opener vor seiner Augenblicksgemahlin den altbekannten Lonesome Rider, um süffisant nachzuschieben: "I'll tell you anything, baby / except the truth".
Womit gleich klar ist: Der alte Miezen-Dompteur ist auch heuer wieder voll in seinem Element und berichtet von Nacktbars, Hollywood-Settings, Masturbation und schnellen Autos. Um "Time For Change" können sich ja andere kümmern.
Das längst bekannte "Wannabe in L.A." verfügt dabei wohl über den lässigsten, obgleich leisesten aller bisher bekannten Eagles-Grooves und glänzt mit ausgefeiltem Fuzz-Bravado.
Eine gute Gelegenheit für den Bandleader, seine Heimatliebe in eine Story zu verpacken, die einmal mehr den glücklichen Umstand schildert, wie aus einem ehemaligen Lehrer und geschiedenen Familienvater ein räudiger Rock-Rüpel wurde: "I came to L.A. to make Rock'n'Roll / along the way I had to sell my soul".
Bekanntlich traf Hughes an einer Wegkreuzung zwischen Palm Desert und L.A. aber nicht den Satan wie dereinst Robert Johnson, sondern Josh Homme, immerhin ein begnadeter Soundschamane, der ein weiteres Mal die Schandtaten seines Grundschulfreundes am Produktionspult überwachte.
Man mag "Heart On" in dieser Hinsicht vorwerfen, zugunsten eines reineren Gesamtsounds den letzten Funken Wahnsinn früherer Heldentaten wie "Cherry Cola" oder "I Like To Move In The Night" geopfert zu haben. Spätestens beim dritten Durchgang entpuppt sich das Album trotz nicht mehr ganz so tätowierwürdiger Textpassagen als falsettgeiler Lustritt unseres rastlosen Ladylovers.
Im Songaufbau trifft man immer wieder auf überraschend durchdachte Strukturen, zu denen Hughes nach wie vor sein unkoordiniertes Brunftgebaren zur Schau stellt. Etwa wenn er in "(I Used To Couldn't Dance) Tight Pants" urplötzlich wie von Sinnen "Now step aside / check it / tight pants / huuuuuuhhh" brüllt und dabei glatt als US-Variante von Helge Schneider durchgeht.
Auch textlich ist Mülheim nicht weit: Jesse beklagt sein mangelndes Tanztalent, das ab dem Augenblick der Vergangenheit angehört, wo er in hautengen Hosen den Dancefloor betritt. Untermalt wird diese freilich existenzielle Szene mit einem äußerst lässigen James Brown-Vocoder Funk-Refrain.
Das maßgeblich mit Glaubensbruder Homme verbrochene Songwriting im AC/DC-haften Stechschritt-Marsch "Cheap Thrills" rückt Jesses Band erstmals wirklich in die QOTSA-Ecke, während das leichtfüßigere "Heart On" demonstriert, dass sich Hughes diesmal auch für die Strophen richtig Mühe gab.
Einzig das uninspirierte "Solo Flights" stört die hiesige Qualität und auch "High Voltage" mag den hohen Erwartungen des Titels nicht ganz entsprechen. Doch spätestens wenn Jesse seine zarte Seite im Niederknie-Stück "Now I'm A Fool" präsentiert, zu "Secret Plans" wie ein Warmblüter davon galoppiert und im Abschlussstück sogar noch zum Cocaine Rodeo lädt, sind diese Schönheitsfehler Makulatur.
Wobei Jesse von Schönheit ja auch nicht allzu viel hält, wie wir gelernt haben. All seinen diskutablen Interviewaussagen zum Trotz, in einem Punkt behält er sicher Recht: "Heart On" ist definitiv das "Blackout" seiner Band. Mindestens.
15 Kommentare
also ich finde es schwächer als die vorgänger, weil es ein bisschen zu wenig überrascht. 3/5
gewohnt gut
Zitat (« Spätestens beim dritten Durchgang entpuppt sich das Album trotz nicht mehr ganz so tätowierwürdiger Textpassagen als falsettgeiler Lustritt unseres rastlosen Ladylovers. »):
Geile Rezension, Album muss ich haben.
Wenn ich dran denke wie geil du die beiden Vorgängeralben dann findest...kaum zu glauben, check it out
werd ich tun...bald
Uh ah, letzte Woche lag das Ding im Briefkasten. Geil, dacht ich. Mittlerweile teilen "Heart On" und die neue der Kings of Leon das gleiche Hörgefühl: Da hat anscheinend jemand unnötigerweise die Handbremse angezogen. Irgendwie ist da kein Zug mehr dahinter, das Feuer, die Bratzigkeit gehen ab. Aber vielleicht brauchen beide Alben ja einfach n bisschen mehr Zeit.