laut.de-Kritik
Neo-Tonalität als einzige (hausgemachte) Regel.
Review von Matthias MantheWie ein Klotz in der Brandung durchwuchtet Blixa Bargeld seit 27 Jahren die hiesige Musikerlandschaft. Seine Versuchsanordnungen prägen Sub- wie Hochkultur, regelmäßig erfinden die Neubauten sich selbst neu. Und gelegentlich auch ganze Naturelemente.
Erst war Post-Industrial und NDW, in den Neunzigern folgte der Kurswechsel in ruhigere und zugänglichere Fahrwasser. Jetzt also "Alles Wieder Offen"? Galt das bei den Berlinern denn nicht immer schon? "Lass dir nicht von denen raten / Die ihren Winterspeck der Möglichkeiten / Längst verbraten haben", kündet es jedenfalls in Bargelds Programmvorschau.
Zunächst einmal beruhigend zu hören, dass der einschüchternd intellektuelle Hüne mit 48 Jahren seine Bahnen nach wie vor weit entfernt vom Strom so genannter "alternativer" Künstler zieht. Wiederum zementieren Einstürzende Neubauten jenen äußersten Exoten- und Sonderstatus, den sonst vielleicht nur noch Die Goldenen Zitronen für sich beanspruchen können.
Neo-Tonalität als einzige (hausgemachte) Regel. Müsste man diesen Grundsatz nun in Begriffe verpacken, es wären am ehesten die des Expressionismus: Polyrhythmik, Abstraktion, Reduktion, Irritation. Es ist vor allem das Falltürspiel mit Ungewissheiten, das der Gruppe immer noch pure Bedrohung einverleibt. Ohrenscheinliche Wohlklänge könnten jederzeit in Schwärzeste Löcher reißen.
Aber rein auf die Klangfläche zu reduzieren, bleibt natürlich gerade hier vollkommen unzureichend. Neueinsteigern sei deshalb der Erzählgestus des Blixa B. wenigstens in Auszügen nahegebracht: "Meine Sys- und Diastole, dazwischen der Moment / Getragen von den Vögeln / Die hier zugange sind", wandert sein lyrisches Alter Ego in totalem Einklang mit der Natur durch das kaukasische "Nagorny Karabach".
Es findet sich am Meer wieder, wo es monoton auf die immergleiche Taste einhämmert, "Das Verräterische Herz" meets Kafka, bis es den aufgepeitschten Wellen endlich trotz zugeschnürter Kehle ein uferloses "Warum hast du mich verlassen?" entgegenschreit. Ein Horrortrip durch Einsamkeit, Tod und Verzweiflung in 3:48 Minuten.
Genanntes Ich stolpert allerdings auch euphorisiert in die Liebe oder, lachend begleitet vom Rhodes-Piano, durch die Zürcher Spiegelgasse. Den Ort, an dem die Anti-Kunst des Dadaismus erwuchs. "Alles Wieder Offen" ist morgenfrischer Weltrückzug genauso wie revolutionärer Abendappell: "Du musst die Sterne und den Mond enthaupten / Am besten auch den Zar".
Möglicherweise sei das Album das letzte Lebenszeichen unter Neubauten-Signum, teilte Vordenker Blixa neulich ganz beiläufig mit. Er fühle sich keineswegs an das Prinzip Plattenveröffentlichung gebunden. Zieht der Freischwimmer uns bald endgültig davon? Es wäre ein nicht zu verschmerzender Verlust für das Experimentierfeld Musik. Drum nutzen wir den Augenblick: "Komm mich mal besuchen / Ich hab unendlich Zeit".
24 Kommentare
Das ganze Album als Stream.
http://3voor12.vpro.nl/speler/luisterpaal/…
Ein verdammt gutes Album von den Neubauten, behaupte ich mal ...
Danke für den Tipp!
Beim ersten Reinhören ein gutes Gefühl!
"Weil Weil Weil" scheint ein ganz großes Ding zu sein.
danke an blixa und co (!!!!!!!!!!!!!!!!!!!)
für die rettung des deutschsprachigen teils des abendlandes
vor den dilettanten und vergewaltigern der sprachkultur,
namentlich bushido, massiv, fler, etc.
....nur schlimm, dass die neubauten schon finanzielle schwierigkeiten haben, überhaupt solch grosses kino zu produzieren,
während dieser white and bunt trash of art im gelde schwimmt.....
@the Secrets (« ja, dass massiv und fler mülliges zeug rausbringen, dass will ich ja gar nicht bestreiten. und auch bushido hör ich mir ja persönlich zu hause nicht an, was mich aber nicht davon abhält mit nüchternem blick zu sagen: "okay, der hat es zT schon drauf" (und da bin ich auch nicht der einzige (http://www.laut.de/lautstark/cd-reviews/b/…))
aber diese verallgemeinerungen finde ich eben immer unabgebracht - aber ich wiederhole mich hier.
und ich finde es zBsp auch wirklich beeindruckend, was kollegah (derzeit kommerziell ziemlich erfolgreich) für reime raushaut. der spielt sprachlich auf einem ganz hohen niveau, auch wenn sein image/selbstverständnis absolute grütze ist. doch das sind halt zwei ganz verschiedene sachen.
ich mag schließlich auch die texte von bertrand cantat.[/weit hergeholter vergleich] »):
ok! da hast du recht
@matze (« ich muss dba (ausnahmsweise mal) recht geben. »):
....du bringst mich in die nähe eines herzinfarkts....es geschehen noch zeichen und wunder.....
ich hätte das ausnahmsweise nicht in klammern setzen sollen!