laut.de-Kritik
"Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder".
Review von Alexander Kroll"Der Hund hatte einen großen Kopf mit einer mächtigen, sabbernden Schnauze und zwei großen, lappigen Ohren". Über die einleitenden vierzehn Seiten seines Debütromans beschreibt Sven Regener, Sänger der Berliner Kultrockband Element of Crime, wie sein fast dreißigjähriger und von allen nur noch Herr Lehmann genannter Protagonist nach einem Kneipenbesuch mit allen Mitteln versucht, an einem ausgewachsenen Hund vorbeizukommen.
Doch jeder klitzekleine Schritt, den Lehmann auf dem leergefegten Lausitzer Platz riskiert, wird vom Vierbeiner gespiegelt. Selbst eine direkte Ansprache hilft nicht weiter. "Wastl, Hansi, Lassie, Wauwau, Watschel, Spinnebein ...". Nur Verzweiflung bleibt. "'Wem gehört dieser Hund hier?' rief er über den leeren Platz, 'Wem gehört dieser verdammte Scheisshund?' aber niemand meldete sich".
Zweiundzwanzig Jahre nach seiner zähnefletschenden Romanexposition startet Sven Regener das neue Album seiner Band am etwas gemächlicheren Gegenpol einer Katze. Anknüpfend an zwei Longplayer, auf denen es auch von Tieren wimmelte – "Schafe, Monster Und Mäuse" (2018) und "Lieblingsfarben Und Tiere" (2014) – hievt das fünfzehnte Element Of Crime-Album "Morgens Um vier" eine Katze auf die Bühne, die, ganz anders als der sture Hund im Roman, sogar sprechen kann.
"Leute, wo soll das enden?" fragt die Hauptdarstellerin mit trockenem Charme im Opener "Unscharf Mit Katze". Auf den Spuren weiser Vorfahren von Kater Murr bis Garfield kommentiert sie damit nicht nur die widersprüchliche Liebesbeziehung des lyrischen Ichs ("Wir wollen vorwärts, wir wollen zurück"), sondern gleich die heikle Weltlage ("Die Zeiten werden wilder"). Mit beschwingtem Bluesrockriff halten die seit vier Dekaden aktiven, zeitlosen Rock-Chansonniers ein hochaktuelles Plädoyer für die Kraft der Kunst.
Die meisten dieser Lieder drehen sich, wie schon immer bei Element Of Crime, um die Liebe. Vor zurückhaltenden, gleichförmigen Klangkulissen, bei denen Markus Runzheimer nach dem Tod von Dave Young als neuer Bassist zum Einsatz kommt, präsentiert Regener mit rhythmischem Schritt poetische Pointen, oft humorvoll, oft romantisch und manchmal nah am Kitsch.
"Songs und Liebe – das ist der rote Faden, der sich durch alles zieht", betont der norddeutsche Autor im Gespräch mit dem Onlinemagazin "Sounds & Books". "In der deutschen Rockmusik hat man wohl Angst davor, dem Schlager zu nahe zu kommen – eine Angst, die ich nicht teile, weil ich das gar nicht schlimm finde. Dann ist es eben Schlager, mir doch wurscht".
Zusammen mit Tobias Bamborschke, dem Sänger der Rockband Isolation Berlin, entsteht das sonnig entspannte Volkslied "Dann Kommst Du Wieder". Lyrisch leicht übersteuert erweckt die Sehnsuchtsfantasie bunte Bilder des Frühlings und bringt im Verbund mit verschiedenen Tieren auch die Katze zurück ("Die Schildkröte wird sich im Garten verschanzen / Die Katze wird ihren Namen tanzen").
Mit ähnlicher Leichtigkeit scheut auch "Nur Der Anfang" nicht vor altbekannten Bildern. Geschickt und authentisch bespielt das Lied einen Romantik-Mix aus Sternenhimmel, Morgendämmerung und Seefahrt, die bei vielen Deutschpop-Kollegen im Superklischee geendet hätte. Hier löst sich alles, wie mehrmals auf dem Album, in einem liebenswerten Trompetensolo auf.
Beim nächsten Song übernehmen die Bläser dann ganz das Steuer. Mit fröhlichem Fiesta-Motiv beschert "Was Mein Ist, Ist Auch Dein" ein schwungvolles Highlight des Albums. Hier findet vieles Platz, was Element Of Crime auszeichnet. Sprachkunst, Witz und Sozialkritik greifen lässig ineinander.
Glorreiche Zeilen erhält der Klimawandel: "Der Fluss, der hinter diesem Haus den Garten unter Wasser setzt / Meint es nur gut, und grad, wenn er jetzt / Alle Blumenbeete mit sich fortreißt und der Nordsee an die Strände spült / Gibt mir das nur ein gutes Gefühl / Die Nordsee ist groß und mein Garten ist klein". Später kommen dann wieder die Tiere in Scharen.
Im oft sichergehenden Konzept fehlt es manchmal an Dynamik und Abwechslung. Gerade die melancholischen Titel "Ohne Liebe Geht Es Auch", "Kaltes Herz" und besonders "Wieder Sonntag" kommen trotz aufblitzender Potentiale nicht vollends in Gang. Dabei hätte "Kaltes Herz" glatt eine Fortsetzung des ersten "Herr Lehmann"-Kapitels sein können: "Der Hund, der uns schon eine Weile / Auf drei Beinen auf dem Weg / Durch die Kneipen folgt und draußen auf uns wartet / Ist ziemlich aufgeregt".
Leute, wo soll das enden? Auf der einen Seite liefert "Alles In Ordnung", der kürzeste Track des Albums, eine Utopie mit Augenzwinkern. Auf der anderen Seite federt "Morgens Um Vier", der längste Song der Bandgeschichte, epischen Herzschmerz mit humorvollen und hoffnungsvollen Nuancen ab. Am Ende bleibt die Ambivalenz der Kunst. "Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder."
8 Kommentare mit 4 Antworten
Hier fehlt noch ein Kommentar von Ragi, in dem er irgendwas davon erzählt, wie langweilig er Sven Regener und Element of Crime findet.
Stimmt. Aber Langeweile tut manchmal auch ganz gut und entschlackt.
DAS Ding im Frühling veröffentlichen, das ist doch irgendwie mit der Antidepressiva-Industrie abgesprochen. Noch trauriger und melancholischer waren die noch nie, oder?
Anderseits, fünf Grad da draussen, passt schon.
Sorry, das ist Blödsinn. Eben durchgehört und für sehr relaxed und altersmilde befunden. "Narzissen und Kakteen"-Spirit, der das ganze Album durchzieht. Ein Album, das mir nach langer Durststrecke mal wieder gefällt. Für richtige Melancholie bitte auf "Die schönen Rosen" zurückgreifen. Danke.
mitgebracht äh. -gemacht
Ich steh ja total drauf, wenn Jakob Ilja den Marc Ribot gibt.
Die beiden vorab veröffentlichten Lieder machen mir leider keine Lust, weiter reinzuhören. Ich war einmal großer Element of Crime Fan. Ab Mittelpunkt der Welt ging es für mich bergab. Ja, sie behalten konsequent ihren Stil. Ja, Sven Regener hält auch das textliche Niveau. Ja, sie haben sich Erfolg verdient.
Bis "Romantik" hatte für mich aber jedes Album eine ganz eigene faszinierende Stimmung, die für mich seither nicht mehr spürbar ist. Ich habe mir die letzten Alben angehört, aber es ist leider nicht viel geblieben.
ist halt nicht mehr so bräsig wie zu Hamburg Heiner Zeiten; aber dafür plätschert es ein bisschen öfter so dahin. Auch textlich. Leider immer wieder Zitate aus alten Liedern, und das nervt etwas.
Gefällt mir so gut wie ich gehofft hatte. Sicher, bei dem doch recht klar abgesteckten Themen-Spielfeld und der im Gegensatz dazu mittlerweile beachtlich schweren Diskographie bleibt es nicht aus, dass einem zu dem ein oder anderen Titel ein (vermeintlich noch gelungerer) Vorgänger einfällt. Und einen Riesen wie "Wenn es dunkel und kalt wird..." höre ich bisher hier auch noch nicht. Dafür aber gerade auf Hälfte 1 schon einige Nummern, die sich im besagten Katalog ruhig unters vorderste Drittel mischen dürfen. Und sowieso hat die Scheibe natürlich wieder diese besondere Stimmung als Faustpfand im Gepäck, deren Aufkommen bei mir ich mit dieser Band verknüpfe wie kaum eine andere mit einer anderen. Vier und Liebe von Fünf.
Och, die beiden Hälften sind jeweils gleich ausgestattet. Die Highlights Unscharf mit Katze und Liebe ist nur ein Wort sind gut verteilt...