laut.de-Kritik
Sag niemals nie.
Review von Giuliano BenassiEinigermaßen überraschend bringt Elvis Costello ein neues Album heraus. 2015 hatte er in seiner lesenswerten Autobiographie erklärt, 2010 mit "National Ransom" sein letztes Werk abgeliefert zu haben. "Wise Up Ghost" entstand drei Jahre später als spontaner Nachzügler, weil die Zusammenarbeit mit den Roots einfach Spaß gemacht habe. Seitdem beschäftigte sich der britische Musiker mit Konzerten und gelegentlichen Gastauftritten.
Sag niemals nie, offenbar. Costello lud nun seine Mitstreiter aus alten Tagen ins Studio. Steve Nieve (Klavier, Keyboards) und Drummer Pete Thomas gehörten bereits 1977 seiner ersten Band, The Attractions, an. Davey Faragher am Bass ist immerhin auch schon seit 2001 mit dabei. Seitdem nennt sich das Trio The Imposters und begleitet Costello immer wieder.
So waren sie 2017 gemeinsam unterwegs. Die Tour trug den Namen eines Costello-Klassikers von 1982, "Imperial Bedroom". Dabei dürfte der Gedanke gekommen sein, doch einmal wieder einen Abstecher ins Studio zu machen. Zumal der Chef ja noch nie Probleme damit hatte, Songs aus dem Ärmel zu schütteln.
"Ich hatte alle Orchestrierungen und Gesangsparts schon im Kopf oder auf Papier, bevor wir auch nur einen einzigen Ton gespielt haben", erklärt er. "Insofern war es besonders wichtig, ganz eng mit Steve Nieve zusammenzuarbeiten, um genügend Raum in den Arrangements für ihn zu lassen."
Zwischen den Zeilen bedeutet das, dass Costello seinen Mitstreitern einen engen Rahmen setzte, zumal er diesmal auf seinen alten Kumpel T Bone Burnett verzichtete und die Produktion selbst in die Hand nahm. Begleitet von Sebastian Krys, der sich vor allem mit lateinamerikanischen Künstlern einen Namen gemacht hat.
Ein schneller Wurf ist "Look Now" nicht. Es sind auch einige Durchgänge nötig, um festzustellen, dass es nicht lediglich Costellos Album Nummer 33 ist (wenn man auch Werke mit anderen Künstlern mitzählt). Wie gewohnt ist er auf der Suche nach dem perfekten Pop-Song, doch scheint er nun zu ahnen, dass ihm nicht mehr so viele Würfe bleiben. Womöglich ist dieser sogar sein letzter.
Also wartet Costello mit allem auf, das ihm zur Verfügung steht: nachdenkliche, mehrschichtige Texte, Rock'n'Roll-Stücke und Klavierballaden, mal energiegeladen, mal croonend, stets mit einem melancholischen Unterton. Mit dabei ist sogar sein großes Vorbild Burt Bacharach, mit dem er 1998 das Album "Painted From Memory" veröffentlicht hatte. Der mittlerweile 90-Jährige schaute persönlich vorbei, um das Klavier zu den gemeinsam geschriebenen "Don't Look Now" und "Photographs Can Lie" einzuspielen. "Burnt Sugar Is So Better" entstand mit einer weiteren ganz Großen, Carole King.
Los geht es mit dem voraus preschenden Schlagzeug Pete Thomas', gefolgt von Klavier, Bass und Costello mit energiegeladener Stimme. "Under Lime" erzählt die Geschichte eines vergessenen alternden Stars, der seinen Weg zurück ins Rampenlicht sucht. Immerhin reicht es für einen Quickie vor einem Auftritt.
Wie auf dem Rest des Albums, hält sich Costello an der Telecaster zurück, dafür trumpfen ein Chor (bestehend aus Costello, Bassist Davey Farragher und dessen Bruder Tommy), Streicher und Bläser groß auf. Nicht, um Schmalz zu erzeugen, sondern als besondere Klangnote. Große Kunst.
Dennoch sind die besten Stücke die langsamen, beginnend mit dem zweiten: "Don't Look Now", wie erwähnt mit Bacharach am Klavier, und den Imposters als Stehblues-Begleitung. Dieselbe Konstellation wie in "Photographs Don't Lie", eine weitere gelungene Ballade.
Eher angestrengt wirkt dagegen die Zusammenarbeit mit King, die als 70er-Jahre Pop-Stück beginnt und mit orientalisch anmutenden Bläsern endet. Regelrecht misslungen gerät die Tanznummer "Suspect My Tears".
Doch reichen die ersten Takte von "Stripping Papers", um diesen Ausrutscher vergessen zu machen. Hier packt Costello den Paul McCartney in sich aus und kommt dem perfekten Pop-Song ziemlich nahe, wie auch "I Let The Sun Go Down".
Der Wermutstropfen ist, dass Costello damit etwa 35 Jahre zu spät kommt. Dass er Fagott, Triangel und ein Waldhorn hineinmogelt, ist nur ein weiterer Qualitätsbeweis - und ein Zeichen, dass Lieder wie Album aus der Zeit gefallen scheinen. Gitarren, natürliche Stimmen, Schlagzeug: Gibt es das in den Top Ten noch, wenn man sich die Streaming-Charts anschaut? Wohl kaum.
Doch mit knapp 64 muss Costello der Jugend nichts beweisen. Er hat ja auch schon immer Musik für "Erwachsene" gemacht. Zudem hat er momentan andere Sorgen, nun, da er gegen einen bösartigen Tumor kämpfen muss. Auf "Look Now" steigt er noch einmal zu alter Größe auf: ein Album, leicht und schwer zugleich, mit viel Freude eingespielt.
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