laut.de-Kritik

Manisch-depressiver Godzilla auf Zerstörungsfeldzug.

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Wie war das mit dem Land des Lächelns? Einen solchen Gesichtsausdruck werden die vier Jungs aus Japan wohl nur Zeitgenossen bescheren können, die sich auch beim Hören von Bands wie The Dillinger Escape Plan oder Fantômas entspannt im Wohnzimmersessel zurück lehnen. Der Rest dürfte eher mit schmerzverzerrter Miene nach dem Lautstärkeregler tasten.

Doch wer es wagt, im Angesicht infernaler Gitarrenmassaker und flächendeckenden Doublebass-Bombardements kopfloses Gebolze zu unterstellen, muss sich schnell eines Besseren belehren lassen. Wie schon bei den genannten Brüdern im Geiste, herrschen bei Envy ausgeklügelte Klangstrukturen und mathematische Präzision vor. Dabei lauern sie dem Hörer geschickt zwischen ruhigen, oft fast schwerelosen Parts auf, um ihm schließlich mit einem fernöstlichen Handkantenschlag das Rückgrat zu zertrümmern. Als würden Mogwai beim allwöchentlichen Jammen plötzlich ihre Affinität zum Chaoscore entecken.

Analog den asiatischen Kampfkunsttechniken scheinen Envy auch beim kreativen Prozess schneller zu agieren, als das menschliche Auge wahrnehmen kann. Erst vor wenigen Monaten stimulierte die Band bereits mit dem Debüt "A Dead Sinking Story" unsere Gehör(durch)blutung. Nun holt die Band schon unter dem äußerst prägnant gewählten Namen "All The Footprints You've Left And The Fear Expecting Ahead" zum nächsten Schlag mit dem Ziegelstein im Samthandschuh aus.

Spannend mutet bei dem ganzen Unterfangen die Herkunft der Formation aus dem Land der Pokémon, Elektrozwirbeleien und quietschbunten Teenage-Popkultur an. Ist ein (Molotow-)Cocktail aus brachialem Hardcore, heiserem Screamo, jazzigem Noise und plätscherndem Ambient die Antwort auf das sozialkulturelle Umfeld? Läuft da etwa in einer schlecht abgedeckten musikalischen Rinne eine neue japanische Szene zusammen? Wünschenswert wäre es bei diesem hohen Niveau auf jedem Fall.

Sprachbarrieren sind bei den krächzenden Lungenimplosionen des Sängers ohnehin eher zweitrangig. Ein Glück, dass man die Lyrics in übersetzter Form im Booklet vorfindet. Nach Spaßgesellschaft und Konsumästhetik klingt dieses Album auf jeden Fall mal nicht. Eher wie ein manisch-depressiver Godzilla, der wieder nicht die passende Konfektionsgröße findet.

Trackliste

  1. 1. Zero
  2. 2. Farewell To Words
  3. 3. Lies, And Release From Silence
  4. 4. Left Hand
  5. 5. A Cradle Of Argumets And Anxiousness
  6. 6. Mystery And Peace
  7. 7. Invisible Thread
  8. 8. The Spiral Manipulation
  9. 9. A Cage It Falls Into
  10. 10. The Light Of My Footprints
  11. 11. Your Shoes And The World To Come

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