laut.de-Kritik
Deutscher Rap ist jetzt stabil. Schön. Aber die Nutte nervt.
Review von Dani Fromm"Warte, lass' mich erst mal ganz langsam anfangen." Wer glaubt, Ercandize brauche nach inzwischen doch etlichen Jahren abseits des Rampenlichts eine längere Aufwärmphase, sollte besser auf seine Deckung achten. Gut möglich, dass er anderenfalls seine Kauleiste aus dem hinteren Rachenbereich kratzen muss, so ansatzlos landet die rechte Gerade des ehemaligen Optik-Army-Soldaten mitten in der Fresse.
Scheiß auf Tricksen und Antäuschen. "Uppercut", dieser Titel steht exemplarisch für die kompromisslose Attitüde, mit der Ercandize Moden, Trends und herrschende Strömungen zu Klump schlägt. "Ich komm' und prügel' deutsche Rapper von der Bild wieder in die Booth." Da möchte man doch gern daneben stehen und ihn lauthals anfeuern. Zumal Ercandize zuvor ebenso trocken wie treffend konstatierte: "Deutscher Rap ist jetzt stabil. Schön. Aber die Nutte nervt" - zumindest oft genug.
"Hi, ich bins noch mal kurz, mit besseren Parts, besserer Technik." Blendet man die ein, zwei grausigen gesungenen Hooklines aus, kann man nur beipflichten, wenn sich Ercandize selbst Qualitätszuwachs attestiert. "Wie kann dieser Erc nach fünf Jahren immer noch so flowen?" Wie? Keine Ahnung, er kann es aber ohne Zweifel.
"In den nächsten drei Minuten werden sich Rapper wider Willen wieder selbst erkennen", hebt "Irgendwo Dazwischen" an. Obwohl keine Namen fallen: Man braucht nicht allzu viel detektivischen Spürsinn, um diejenigen auszumachen, denen gegenüber sich "des Ruhrpotts Gewissen" energisch abgrenzt. Zumal es sich dabei ohnehin um alle anderen handelt: "Die einzigen, die ich ernst nehm', sind auf dieser Platte vertreten."
Viele sind das nicht: Neben diversen Beatbastlern, von Dirty Dazmo über Monroe und GeeFuturistic zu den Beathoavenz und den Drumkidz schauen gerade einmal Kool Savas und Amar vorbei. Seltsamerweise schadet dieser Umstand dem Album - genau wie sein eklatanter Mangel an Themen, Ironie und Humor - kein Stück.
Erstaunlich, wie man sich von derart wenig Inhalt trotzdem so gut unterhalten fühlt. Ercandize erzählt über die volle Distanz von elf Runden, pardon, elf Tracks ... genau nichts. Statt sich mit wie auch immer gearteten Geschichten aufzuhalten, lässt er einen einzigen Punchline-Hagel über den Rest der Welt niedergehen.
Mit zahllosen Box-Metaphern - oder wahlweise dem aus "Blade" entliehenen Vampirkiller - setzt sich Ercandize als einsamer Kämpfer in Szene, schwingt sich zum "Daywalker" auf, gekommen einzig, um den Blutsaugern die Scheiße aus dem Leib zu prügeln. In dieser verachteten Kategorie landet so ziemlich jeder, der auf einer wie auch immer gearteten Hype-Welle schwimmt, sich irgendwo anbiedert oder Seele oder Überzeugungen verkauft - also alle anderen. No man is an island? Ercandize schon: "Ich kenn' die meisten - und ich find' sie scheiße."
"Ihr seid mir zu witzig." Aus Ercandize' Mund klingt das wie die schlimmste aller Sünden, präsentiert er sich doch in einer Weise spaßbefreit, die einem eigentlich spontan Gallensteine bescheren müsste. Davor bewahrt einzig das unverkennbar lodernde Feuer der reinen Lehre: "Alles, was ich wollte, war nur rappen und ein paar Leute nerven."
Das glaube ich, wie nahezu alles andere, das Ercandize von sich gibt, aufs Wort. Nicht selbstverständlich, im Hip Hop-Zirkus: "Meine früheren Idole sind Idioten", frühstückt Ercandize auch ehemalige Vorbilder nüchtern ab. "Alles, was sie rappten, in den Songs, war gelogen."
"Ich mach' das hier nicht für die Schulhöfe", hält er dagegen. Nein. Auch nicht für die Marketingabteilung seines Labels, nicht fürs Bankkonto, nicht für den schnellen Ruhm. Das mögen alles nette Begleiterscheinungen sein. Dass es Ercandize aber in erster Linie um die Liebe zum Spiel geht, ließe sich nur mit viel bösem Willen ausblenden. Der Mann ist mit Eifer bei der Sache - um nicht zu sagen: mit dem Herz eines großen Boxers. "An mich muss keiner glauben, ich glaub' an mich selbst."
Die musikalische Untermalung verrät zwar nicht gerade unbändigen Willen zur Innovation, illustriert die grimmige Vorstellung aber perfekt. So schaufelt Dirty Dazmo für "Irgendwo Dazwischen" tiefschwarze akustische Gewitterwolken auf. Monroes schiebender Synthiebeat mit präzise eingefuzzelten Details flankiert den "Daywalker". Der Beat zu "Keine Zeit": so hektisch und treibend wie der Tracktitel. Durch den "Nexus" schweben körperlose Chöre.
Für Abwechslung sorgt nach dem Hauptkampf noch die großzügig beigepackte Bonus-CD: Wunderbar kurzweilig klebt Sparring-Partner DJ StevenMac Soundschnipsel, Samples, Schwinger und Schnellschüsse zu satten 50 Minuten Mixtape zusammen. Der nächste Gegner kann kommen. Erco, boma ye!
8 Kommentare
Wieso dann nur 3 Sterne?
@KingFarlane (« Wieso dann nur 3 Sterne? »):
Fehlende Abwechslung fehlender Humor
Gefäll mir wegen Beats und dieser Verbitterrung überhaupt nicht, geschmacksfrage, 1/5
@HerrMerkt (« Keine Inhalte? Alleine "Drei" hat mehr Inhalt als das ganze Casper-Album. »):
jaja. und jetzt erkläre ihm bitte jemand, dass mir "uppercut" gefallen hat. im gegensatz zu "xoxo".
Ich finde, der Flow klingt nach Savas, aber glaube, dass Savas den von Erc gebitet hat (siehe Eko/Doublerhymes)
Wieso? Ist Dir das sonst Dein Download-Volumen nicht wert oder wie? Bei Musik ist es wie bei Posts im Internet: Qualität ist wichtiger als Quantität. Aber, dass Du dieses Prinzip nie verstehen wirst, hast Du ja über Jahre hinreichend bewiesen.