laut.de-Kritik

Unplugged II ohne MTV.

Review von

Mit der Serie "MTV Unplugged" verbindet man insbesondere den Auftritt Claptons. Als superauthentisch nahm man den Mitschnitt Anfang der '90er wahr: 'Unplugged' war ein paar Jahre lang fast ein Genre, bisweilen ideologisch aufgeladen; Clapton, der Meister der ruhigen Hand, glänzte als Vorreiter. Ganz stark deshalb, weil er im damals neuen Track "Tears In Heaven" die Trauer über den Tod seines Sohnes verarbeitete, der mit vier aus dem 53. Stock des Apartments stürzte.

Wenn Mister Slowhand heute im Song "Stand And Deliver" wieder autobiographisch wird und "I just wanna do my job" singt, erhält er dafür deutlich weniger Bewunderung. Der zum Ritter geschlagene Musiker mit 59 Jahren bluesiger Berufserfahrung darf sich anfeinden lassen - und im Output bremsen: Dass eine aktuelle Single einem Album fern bleibt, ist selten, doch die Doppel-LP "The Lady In The Balcony: Lockdown Sessions" enthält den Titel nicht. Missen müssen wir auch das ebenso umstrittene "This Has Gotta Stop", wohl schon weil es erst nach dem hier aufgezeichneten Tag entstand.

Drei Kollegen spielten mit dem Meister die akustische Session ein. Russ Titelman, alter Weggefährte, besorgte die Produktion. Wie schon beim "MTV Unplugged". Heraus kam ein zweites, nur ohne MTV. Ob es das grundsätzlich braucht, kann man getrost infrage stellen. Weil keine neuen Stücke die Selektion aufwerten, an den alten kaum neue Aspekte wahrzunehmen sind und dabei wiederum Coverversionen überwiegen, von sowieso sehr oft gecovertem Material. Ausgesprochen schön ist die Platte dennoch allemal.

Es sind Clapton-Klassiker dabei, die wohl jeder Radio hörende Mensch oft erlebt hat, JJ Cales "After Midnight", dann eine überraschungsfreie "Layla"-Darbietung, das hier maximal schläfrig performte "River Of Tears" und besagtes "Tears In Heaven", nun spannend und vehement, mit Stakkato auf dem Yamaha-Keyboard. Eric trägt seinen Klassiker mit gelungenem Southern Rock-Twang vor.

Drei Überschneidungen gibt's mit der MTV-CD, die dritte neben Trauerlied und "Layla" ist "Nobody Knows You When You're Down And Out", treffsicherer Opener, Schwergewicht aus den 1920er Jahren. Die Nummer gehört seit dem Black Friday-Börsencrash 1929 zum großen American Songbook der Jazz-Standards und passt so wieder ein bisschen in den wirtschaftlichen Lockdown (den der Sänger sowieso kritisiert). Eric, der das Stück seit Derek & The Dominoes, über 50 Jahre lang schon im Set hat, war nach vielen Interpretationen der erste, der das Lied aus dem Blues-/Jazz-Milieu herausholte: holziger, folkiger gespielt, so auch jetzt im Unplugged.

Auffallend: Ein Peter Green-Fleetwood Mac-Gedenk-Doppel mit dem zartesten "Black Magic Woman" aller Zeiten und einer sehr intensiven Version von "Man Of The World" mit einem Melodie manipulierenden, speziell transponierten C-Teil. Mit den Muddy Waters-Stücken "Got My Mojo Working" (in einer echt langen Fassung) und "Long Distance Call" wird's dann fast schon langweilig. Eine Tracklist auf (allzu) sicherem Terrain!

Dass sämtliche Stücke handwerklich allererste Sahne gespielt sind, versteht sich bei dem Senior von selbst. Dass eine reichhaltige Auswahl an Datenträgern, von BluRay über Fotobuch bis neongelbem Vinyl und mehreren Paket-Kombis (beispielsweise CD plus DVD) kursieren, war wohl auch jedem klar: Denn Weihnachten naht.

Dass der doppelt gegen Covid-19 Geimpfte, aber nicht 'Geboosterte' wirklich noch die Gitarre zupfen kann, war nicht gar so klar. Er selbst äußerte sowohl nach der ersten als auch zweiten Dosis von AstraZeneca, beide Male für je zehn bis 14 Tage erhebliche Missempfindungen in den Fingern erlitten zu haben.

Nachdem er sich zwischen beiden Schüben über die Nebenwirkungen informiert hatte, erklärt der Musiker sich das mit seiner Vorerkrankung, einer Polyneuropathie. Das Paul-Ehrlich-Institut hat etliche solcher Fälle wie den von Clapton aufgelistet, nur dass nicht jede/r Betroffene mit seinen Fingern Musikgeschichte geschrieben hat. Slowhand befürchtete, nie wieder die Saiten richtig zu spüren.

Nachvollziehbar, dass er im Mai froh war, doch wieder spielen zu können, wenn schon nicht vor Publikum, so wenigstens in einem privaten Haus in West Sussex vor der Kamera. Bald danach 2G-Konzerte abzusagen dürfte wohl dennoch Claptons gutes Recht sein; viele andere Bands halten das genauso ohne groß drüber zu reden. Bei ihm hagelte es Kritik. Robert Cray möchte nicht mehr für ihn Support spielen, boykottiert seinen alten Buddy, findet ihn zudem rassistisch, gräbt einen Satz aus den 70ern aus, um das zu belegen.

Für diese aufgewühlten Zeiten macht die DVD oder BluRay genau das Richtige. Dank Helikopter-Aufnahme blicken wir auf ein Wäldchen und dann das Haus mit dem innen eingebauten 'Balcony' in England. Im Filmmaterial sind Nebengeräusche seitens der Roadies zu hören, die während des ersten Audio-Tracks im Bild das Setzung aufbauen. Erst ab "Golden Ring" sieht man die Musiker vor die Kamera.

Bei "Man Of The World" taucht anfangs ein Mann beim Waldspaziergang im Bild auf. Die Winkel und Einstellungen der Kamera wechseln die 75 Minuten hindurch angenehm oft. Zeigen mal das Haus, mal die Band im Panorama. Mal ein Becken des Drum-Kits groß im Vordergrund und Clapton klein dahinter. 'Bass' bedeutet hier keine Bassgitarre, sondern ist ein mannshoher Kontrabass. Auf Ansagen verzichtet man. Viel an filmischen Motiven gibt das Ganze freilich nicht her.

Die Stimme, aus der insgesamt viel Lebenserfahrung, Schmerz und Enttäuschung trieft, steht angenehm im Mittelpunkt. Anrührend, gesanglich perfekt, ragt der "Bell Bottom Blues" heraus. Ein schöner Beweis, welche Emotionsfülle das unplugged-Format tragen kann. Mit der Zeit verliert sich das Set im domestizierten Soft Blues, so dass die Spannung im mittleren Drittel nachlässt und (mir) die Dynamik zwischen ziemlich sanft und äußerst sanft zu eng wird.

Das fiebrig-perkussiv durchgezogene "Believe In Life" überrascht dennoch bravourös als klasse Earcatcher. Tatsächlich klatscht da am Ende die Lady auf dem Galerie-Flur des oberen Stockwerks in dem Landhaus. Fürs Muddy Waters-gespickte Ende 'trickst' Eric und verlässt insoweit das pure Unplugged, als er doch die E-Gitarre einstöppselt und "Got My Mojo Working" - zum Glück - eine ordentlich schroffe Wendung gibt. Man hört da und überhaupt großenteils gerne zu; die Performance klingt einfach so gekonnt, flüssig und easy. Ich finde nur, außer "Believe In Life" bewegt kein Song nach dem Hören weiter oder bleibt im Ohr. Die "Lockdown Sessions" sind eher was für den Genuss als Ganzes am Sonntagmorgen. Sie beruhigen, und sie rufen wieder ins Gedächtnis: Ohne Stöpsel, ohne Starkstrom, das fing mit dem "Layla"-Sänger an.

Trackliste

  1. 1. Nobody Knows You When You're Down And Out
  2. 2. Golden Ring
  3. 3. Black Magic Woman
  4. 4. Man Of The World
  5. 5. Kerry
  6. 6. After Midnight
  7. 7. Bell Bottom Blues
  8. 8. Key To The Highway
  9. 9. River Of Tears
  10. 10. Rock Me Baby
  11. 11. Believe In Life
  12. 12. Going Down Slow
  13. 13. Layla
  14. 14. Tears In Heaven
  15. 15. Long Distance Call
  16. 16. Bad Boy
  17. 17. Got My Mojo Working

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1 Kommentar mit 10 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Ich hasse Ihn einfach, wie Springsteen und Dylan überbewertet. Jahrelang schiss er im Drogen- und Alkoholrausch auf seinen Sohn. Zack stirbt der Sohn schreibt er Tears in Heaven der Heuchler und tut so als ob er Ihn vermissen würde. So ein Untermensch.

    • Vor 3 Jahren

      Hasse nicht, beginne zu verzeihen.

    • Vor 3 Jahren

      Und was stört dich bei Dylan? Ich weiß nicht, ob Clapton für so 'wichtig' gehalten wird wie Dylan und Springsteen. Wie kommst du drauf?

    • Vor 3 Jahren

      An Dylan stört mich am meisten seine nichtssagende Musik. Was Claptons mediale Präsenz angeht sobald er was veröffentlicht wird er schon für wichtig gehalten, was mich dabei am meisten nervt ist das es unmöglich scheint bei diesen dreien mal unvoreingenommen und objektiv drüber zu berichten was sie veröffentlichen ohne sie gleich wieder unnötig in den Himmel heben zu müssen, bei Prince damals genau so.

    • Vor 3 Jahren

      Nachvollziehbar. Dylan hat uns meine Musiklehrerin in der 3. Klasse Grundschule vorgestellt. Muss zugeben, dass ich den mittlerweile ausblende, weil gefühlt alle paar Wochen was erscheint.

      Prince hat musikalisch eine eigene Rezeptur entwickelt. Abgesehen von ein paar Alben wurde doch aber der Großteil seines Werks *nicht* in den Himmel gehoben? (Manche Print-Titelstory dürfte bis heute mit Marketing-Budget erkauft sein.) Nur, kreativ war er doch?! Findest du nicht?

      Clapton interessiert nun mal auch Publikum, das nur 3 x im Jahr ne CD kauft. Vermutlich führt das zu dem von dir beschriebenen Effekt. Aber anders als bei den Dylanologen und den Prince-Sammlern glaub ich nicht, dass Clapton Insider-Fachkreise triggert. Blues wird selten Mainstream, und dass das bei ihm funktioniert, ist eben medial relevant.

    • Vor 3 Jahren

      Ja Prince war kreativ das will ich auch gar nicht abstreiten.

    • Vor 3 Jahren

      Mag den Clapton ja auch nicht so, aber der war in den 80ern clean und der Sohn starb Anfang der 90er als kleiner Steppke unfallsbedingt, was hat das mit seiner Sucht zu tun?

    • Vor 3 Jahren

      Ich habe vor vielen Jahren gelesen das er Anfang der 90er Jahre wieder drauf war, kann sein das es falsche Quellen war und doch clean war.

    • Vor 3 Jahren

      So viele auf einmal zu verachten ist aber verschwendeter Hass. Immer schön häppchenweise!

      Clapton war schon immer ein Huso, ohne Frage. Aber Prince zu dissen geht gar nicht. Er wurde weder von Kritikern noch von Labels jemals fair behandelt. Und weil er so eigen war mit den Rechten an seinem Material, wird/wurde ihm auch öffentlich eher selten etwas zuteil. Sein gigantischer Einfluß auf die Musik und den Stil der 80er und 90er, der bis heute anhält, ist aber unleugbar. Außerdem locker einer der zehn besten Gitarristen des letzten Jahrhunderts, wenn er nicht gerade eines der zwanzig anderen Instrumente bediente, die er perfekt beherrschte.

    • Vor 3 Jahren

      Tja, Clapton finde ich auch viel zu häufig zum Einschlafen... wenn er keinen kreativen Widerpart wie z.B. Jack Bruce an seiner Seite hat, dann neigt er einfach zu sehr zur Seichtheit und Gefälligkeit.
      Auf der anderen Seite hat ihm das ordentlich Kohle eingebracht... kann ich also durchaus nachvollziehen.

      Bei Kritik an Dylan muss ich natürlich per se widersprechen - außer natürlich es geht um den Großteil seiner Arbeiten zwischen Desire und Time out of mind, aber das sind ja nur gut 20 Jahre...

    • Vor 3 Jahren

      Weil hier Prince erwähnt wurde:

      https://www.youtube.com/watch?v=vA5THit-Em…

      Doku Serie von Mike Judge (Beavis & Butthead, Idiocracy), die ein paar Bad Boy Storys aus dem Musikbiz beleuchtet. Vom mordenden Countrysänger bis zu einer Art Hassliebe zwischen Rick James und Prince.

      zum Topic: Boomer O. S. T.