laut.de-Kritik
Mitreißender Hardcore entdeckt die Selbstinspektion.
Review von Markus SeibelNach 16 Jahren Pogo, Moshpit und Bier, nach 16 Jahren Rockstar-Attitüde, Freiheitsdrang und Fuck-It-Haltung wendet sich die US-amerikanische Hardcore-Band Falling In Reverse neuen Themen zu. Zeitgeistgerecht steht auf "Popular Monster" die psychologische Selbstinspektion auf der Agenda, es geht um Ronnie Radkes Lebensgeschichten im Gefängnis und Verdrängungsmechanismen. Hintergrund: Der Falling In Reverse-Sänger wurde vor Jahren wegen Anstiftung zum Mord zu vier Jahren Bewährung und zu einer Entschädigungszahlung von 100.000 Dollar verurteilt. Radke versäumte im Juni 2008, sich bei der Polizei zu melden, woraufhin die verbleibende Bewährungsstrafe in eine Gefängnisstrafe umgewandelt wurde. 2015 werden dem Musiker Missbrauchs und Vergewaltigung vorgeworfen, was den Rauswurf bei TikTok und Twitter zur Folge hat.
Für ein Wohlfühl-Album sind die fünf aus Amerika aber ohnehin zu sehr Rap-Metal. Der Band gelingen elf ziemlich schlaue und feinfühlige Songs. Und es wird klar: Es ist egal, in welchem Genre die Musiker fischen. Mit diesen Arrangements würde selbst "Alle meine Entchen" zum Juwel.
"No Fear" hat einen ziemlich rap-lastigen Touch und endet in einem bildgewaltigen, die Rebellenpotenz erschütternden Paradox: "Keine Angst vor niemand." Und der Song "Bad Guy" erzählt davon, dass die Zeit eben doch nicht alles heilt, vor allem keine frühen Wunden: "Als Musiker zerbrochen, negative Erlebnisse, dann verfremdet."
Der Maxime "furchtlos" gehorchend braucht es pro Song im Schnitt keine eineinhalb Minuten, um zum Punkt zu kommen. Man hört viel leicht ein bisschen zu wenig, was "Popular Monster" unverwechselbar machen würde. Aber wen stört das schon, wenn Lieder wie "All My Life", "Voices In My Head" oder "Trigger Warning" einen so schön mitnehmen in eine bessere Zeit? Vor Corona, vor den Kriegen. Einen Wohlfühlcharakter wie damals – das könnte die Welt gerade wirklich gut gebrauchen.
Generell macht das fünfte Falling In Reverse-Album ein Satz nach vorne, wirkt teils grüblerisch. Vielleicht liegt da die Krux: Radke tritt in Erinnerungssplitter, antizipiert manchmal aber auch Momente der Genesung, selbst wenn die gerade erst beginnt und langwierig werden könnte. Nicht selten klingen Falling In Reverse, die früher vor allem für eine Synthese aus Metalcore und Post-Hardcore standen, heute stellenweise wie Asking Alexandria. Die Melodiebögen der neuen Songs erhalten oft mehr Raum zum Atmen als die der collagenhaften Stücke des Vorgängers "Coming Home". Das steht dem Album extrem gut.
Auch wenn sich der Sound der fünf Amerikaner jetzt verstärkt Richtung Electronica und Pop-Punk orientiert, die verzerrten-sanften Vocals mehr Durchschlagskraft besitzen und es verstärkt Momente des Innehaltens gibt, steckt in dem Gesang so viel Energie, sind Schlagzeug und Gitarre so mitreißend, dass einen doch wieder die Lust auf Pogo, Moshpit und Bier übermannt. Nur, dass eben diesmal die eine oder andere Träne kullern darf.
12 Kommentare mit 19 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 2 Monaten durch den Autor entfernt.
Es ist mir immer wieder ein Rätsel, warum, sobald das Wort Hardcore hier fällt, immer nur die furchtbarste Grütze irgendwo zwischen New Metal und Emo-Pop hervorgezerrt wird. Wie schon drölf mal geschrieben, interessante Alterrnativen gibt es genug.
Viel besser z.B.: erstes Albung von Yosemite In Black. Sehr gut produzierter, moderner Hardcore mit naiser Stoner Rock Schlagseite:
https://www.youtube.com/watch?v=dKorOwxrWuQ
Außerdem haben auch GEL gerade ne neue EP draußen, die ebenfalls sehr gelungen ist:
https://www.youtube.com/watch?v=mCeggU_uzSM
GEL ♥
Ich empfehle End It aus Baltimore, recht klassischer Ostküsten-/Rust Belt-HC mit nem starken Fronter:
End It - New Wage Slavery
https://www.youtube.com/watch?v=7BgQEyKeQmE
End It - Unpleasant Living EP
https://www.youtube.com/watch?v=b9x_DpXkhVw
Yeah, die End It Sachen hab ich auch richtig gefeiert. Sind im Oktober zusammen mit Speed (von denen ich nicht so begeistert bin) in Deutschland auf Tour:
22. Köln, GER – Kantine
23. Hamburg, GER – Knust
24. Chemnitz, GER – AJZ
25. Berlin, GER – SO36
29. Nurnberg, GER – Z-Bau
ich bin leider nicht in Hamburg an dem Tag
OHA, krassen Dank für die Info!
GEL wirklich geiler Stuff. Klassischer EC Sound spricht mich eh an und die Frontfrau is on fire af.
End It dank Tooli auch schon länger aufm Schirm.
Bei Yosemite in Black muss ich nur mal echt diese unselige Sitte des Gitarristen ankreiden, diese kack gezogenen Flageoletts in jedes Riff einbauen. Davon hab ich einfach ein persönliches Trauma.
Alles was auch nur im Hauch Stoner Rock beinhaltet ist absolut beschissen. Versuchs besser.
@molten: hehe, ja, kann ich nachvollziehen. Hat mich nicht so hart getriggerd, ist aber einer der Gründe, warum YIB jetzt nicht zu meinen absoluten Darlings aufsteigen würden.
@Kas: Checke ich, kann mit Stoner Rock auch eigentl. gar nix anfangen (u.a. weil eine Ex von mir ausschließlich solchen Kram gehört hat, da hätte ich mir eigentlich gleich denken können, naja anderes Thema), in Kontrast zu dem übrigen Geprügel finde ich es aber irgendwie ganz gut. Hast dus gehört, oder war das eine Reflex-Abwertung?
@Tooli: Hab ich hier bestimmt schonmal erwähnt, aber meine absoluten Ober-Darlings aus dem Bereich klassischer Hardcore sind immer noch Savageheads. Die liebe ich wirklich sehr:
https://www.youtube.com/watch?v=TEjiOwjkAZQ
Stoner hat doch auch einfach oft das Problem, dass da ab Ende der 90er jede Hippie-Jam-Combo reingepackt wurde, die dann auf den 3 satsam bekannten Bluesstandards 30 Minuten "Songs" aufgebaut haben, halt etwas basslastiger als davor.
Zumindest Kyuss als "Erfinder" haben das so eigentlich gar nicht gemacht. Va ein Blues for the red Sun ist zwar schon jamlastig, aber nach meinem dafürhalten auch immer noch on point.
Wir sind hier auf laut.de, natürlich absolute Reflexabwehrhaltung, ohne auch nur 'ne Sekunde gehört zu haben!
chapeau :sick:
ich mag 1000mods, eine empfehlung von hier, angeblich grunge mit stoner einflüssen
Savageheads sehr geil, naise sportliche Rhythmusarbeit, danke für den Tipp!
Wenn es einfach unerhört ungehört (1/5) bleibt, fällt dir wieder ein, wo Du gerade Zeit verschwendest.
Laut.de - Hits too close to home. ♥
ungehört 1/5, schlimmste und peinlichste Band des Genres
ich habe literarisch keine ahnung wer das ist und was er gemacht hat, aber habe 2-3 lieder bei spoti angezeigt bekommen. für sport absolut in ordnung
Hört euch doch wenigstens die Speed Platte an, oder schaut wer alles beim Sound And Fury war..
Sieben Jahre ist es nun her, dass Falling in Reverse um Ronnie Radke ihr letztes Album "Coming Home" veröffentlichten.
Seitdem wollte man die ganze Kreativität nur noch in einzelne Singles fließen lassen, um ein zufriedenstellenderes Ergebnis zu erzielen.
Das Album "Popular Monster" stellt eine Sammlung eben dieser Singles (mit Ausnahme von Losing my mind, Losing my life, Drugs) der letzten sieben Jahre dar und bietet zusätzlich interessante "Filler"-Tracks.
Gelungen, würde ich sagen.
Man hört an der Variabilität der Songs (Post Hardcore, Country, Pop, HipHop) und der Dynamik innerhalb eines Songs (wechselnde Tempi, Instrumentalisierung, Gesangsart, Lautstärke) wieviel Zeit Investiert wurde.
An der Qualität merkt man, dass nicht unter Zeitdruck an einem Album gearbeitet wurde, das in der Regel alle 2 Jahre entstehen muss, um im Gespräch zu bleiben.
Der Sound ist laut abgemischt, die einzelnen Spuren sind dabei gut aufeinander abgestimmt.
Ein Sammelalbum, das seinen Namen wirklich verdient
5/5