laut.de-Kritik
Schnappes in den Hals und ab dafür.
Review von Alexander CordasJa da brat mir doch einer einen Storch. Es ist schon erstaunlich, was man mit der Hinzunahme geeigneter Stimmen alles erreichen kann. Klang das letzte Fanfare Ciocarlia-Album erstaunlich luftleer und hing in selbigem Raum etwas deplatziert herum, so zeigt alleine schon Saban Bajramovics Gastspiel bei "Sandala", wozu die Fanfare in Höchstform fähig ist.
Die Version aus dem "Schwarze Katze Weißer Kater"-Soundtrack mit Bajramovic am Mikrofon klang im Vergleich steril und roch ein wenig nach Plastik. Was die Ciocarlias mit dem Serben hier aber auf die Beine stellen, zeigt, dass der Track an sich ein saustarker ist. Mal wieder richtig Schnappes in den Hals und ab dafür. So gefallen mir die Roma-Musiker auch am besten. Da fegen nebeneinander Gitarre und Violine wie die Wildsau durch den Polka-Rhythmus. Immer schön flankiert von den dicken Backen.
"Queens And Kings", der Albumtitel scheint unter diversen Gesichtspunkten programmatisch zu sein. Erstens dürfte die Erstnennung der Königin darauf hinweisen, dass die Damen die Hosen anhaben oder ein Tribut an den auf dem Cover abgebildeten Ioan Ivancea, der vergangenes Jahr verstarb. Zum anderen ist er ein Verweis auf die Gäste am Mikrofon, die sich aus der Roma-Szene vieler Länder rekrutieren. Wer eine derart hohe Majestäts-Dichte auf einem seiner Alben vorweisen kann, darf sich wahrlich glücklich schätzen.
Der Titeltrack ihres 2001er Werks "Lag Bari" erfährt unter handfester Mithilfe der Franzosen von Kaloome eine Flamenco-Frischzellenkur samt treibenem Handclap-Einsatz. Die Neuvertonung offeriert eine weitere Lesart des Gypsy-Sounds. Von Schmerz singen die Jungs, müssen sie ob ihrer flotten Darbietung aber eigentlich nicht. Etwas gewöhnungsbedürftig dürfte für manche die Stimme von Mitsou sein. Obwohl sie ganz apart in einer zarten Art und Weise über den sanften Beat von "Pana Cand Nu Te Iubeam" schmachtet, sind Parallelen zu Donalds Daisy auszumachen. Nichtsdestotrotz: große Nummer.
Ein wenig dezenter kommt selbige im Verbund mit Florentina Sandu daher, wo sie eher nebenher mit so etwas ähnlichem wie Scat-Einlagen unterstützend trällert. Aber auch hier hat man dezent einen Tweety vor dem geistigen Auge. Ganz famos, wie der Track mit ausufernden Trompeten-Kaskaden munter nach vorne schiebt. Noch viel mehr als bei "Que Dolor" gehen Kaloome mit "Cuando Tu Volveras" eine musikalische Symbiose mit der Fanfare ein. Das hämmernde Anschlagen der Akustikgitarre passt wie die Faust aufs Auge zur immer heftiger und raumgreifenderen Bass-Drum im Hintergrund.
Richtig eins aufs Zigeunerschnitzel gibts mit der grandiosen Esma Redzepova. Ihr klagender Gesang über ausufernde Bläserattacken und einen hibbeligen Rhythmus offenbaren einmal mehr, was diese Musik so spannend macht: Emotion, Leidenschaft, Herzblut.
Dieses Herzblut zieht sich wunderschön durchs komplette Album und macht die Ausfälle der letzten Scheibe - mit Anbiederung an populäre Melodien - rasch unvergessen. Die Fanfare geht sogar noch einen Schtritt weiter und präsentiert einen Longplayer, der kaum Wünsche offen lässt. Mit "Queens & Kings" setzen sie ihrem verstorbenen Bandgründer Ivancea ein würdiges tonales Denkmal.
6 Kommentare
Als ich gestern das neue Album der Rumänen aus dem CD-Regal bei Saturn nahm, wusste ich irgendwie schon beim Betrachten des Covers, dass das diesmal ein absoluter Volltreffer wird. Abgebildet ist der im Oktober letzten Jahres mit 66 Jahren an Krebs verstorbene Klarinettist und Bandleader Ioan Ivancea zusammen mit seiner Frau auf einem Sofa in einer Bauernstube sitzend. Ein gebeugter Mann, aber seine Klarinette hält er wie ein Königszepter, die Frau schaut stolz und herausfordernd - ein wunderbares, wehmütig-ironisches Foto.
"Queens & Kings" bezieht sich aber auch auf die lange Reihe von Gastvokalisten und -vokalistinnen, die auf der CD präsentiert werden. Das ganze Album ist als eine Art Galavorstellung der europäischen Roma-Musik konzipiert. Dennoch agiert die Kapelle - die erst jüngst zusammen mit Zach "Beirut" Condon selbst einen Gastauftritt bei "A Hawk and a Hacksaw" hatte - nicht einfach als Begleitband, sondern fabriziert souverän ihren ureigenen Stil aus treibender Balkan-Polyrythmik und eher romantischen Zwischenpassagen. Auf Fernliegenderes wie Ellington-Adaptionen oder James Bond Themes wird diesmal (mit Ausnahme des Schlusstitels) verzichtet.
Neuartig und spannend sind wohl zuallererst die Stücke, die in Zusammenarbeit mit Kaloome, einer Roma-Band aus der schönen südfranzösischen Stadt Perpignan, entstanden sind, weil hier der westeuropäische Zweig der Roma-Kultur mit dem des Balkans zusammentrifft. Sehr schön ist insbesondere "Cuando tu volveras" - eine Flamenco-Fassung von "Godzila" aus dem Album "Gili Garabdi".
Wahrhaftig eine Balkan-Queen ist natürlich die legendäre Esma Redzepova aus Skopje, die mit zwei Stücken vertreten ist, von denen Ibrahim sich bereits beim ersten Durchlauf für mich als eines der großen Highlights der CD erweist.
Wer sich ohne Umschweife in den vollen Speed-Balkan-Trance stürzen mag, beginne am besten bei Titel 12: Mig Mig mit dem bulgarischen Sänger Jony Iliev: Wem das keinen Tritt versetzt, dem ist mit der Art von Musik nun wirklich nicht mehr zu helfen.
Meine persönlichen Favoriten des Albums kommen allerdings (wieder einmal mehr) von der absolut einzigartigen Mitsou, Sängerin bei den ungarischen Bands "Ando Drom" und "Besh o droM", die sich in den letzten Jahren aber vorwiegend ihrem eigenen Gypsy/Elektronik-Crossover-Projekt "Mitsoura" widmet. Man muss sie erlebt haben, um zu verstehen, dass einzig und allein vielleicht noch Björk als Mit-Konkurrentin in Richtung solcherart musikalischer Eigenwilligkeiten in Frage kommt.
Ausgelassen und lebensfreudig kommen die Stücke mit der jungen Florentina Sandu daher, einer Enkelin übrigens des "Taraf de Haidouks"-Musikers Nicolae Neacsu.
Mit Saban Bajramovic aus dem serbischen Nis gewann man - neben der Edzepova - eine weitere sagenumwobene Legende, eine Art lebender Robert Johnson der Roma-Musik.
Dan Armeanca schließlich, der bereits auf früheren FC-Aufnahmen zu hören ist, steuert mit dem Einstiegsstitel Ken Marau La das Popstück des Albums im türkisch-orientalisch beeinflussten Manele-Stil bei.
Den Abschluss bildet einmal der getragene Farewell March - offenbar noch eine Aufnahme mit Ivancea - sowie die Balkan-Version von Born To Be Wildaus dem Borat-Film (den ich immernoch nicht kenne).
Fazit: Ich seh' eigentlich nur ein Problem mit "Queens & Kings": Was soll danach eigentlich noch kommen?
Seit 23. Februar ist die CD zu haben.
Ab 6. März startet die "Queens & Kings"-Tour mit folgenden Terminen:
06.03.07 D-Berlin Kesselhaus"Queens & Kings tour"
07.03.07 D-Essen Philharmonie "Queens & Kings tour"
08.03.07 D-Darmstadt Centralstation "Queens & Kings tour"
09.03.07 A-Dornbirn Spielboden "Queens & Kings tour"
10.03.07 D-München Muffathalle "Queens & Kings tour"
11.03.07 D-Nürnberg Tafelhalle "Queens & Kings tour"
12.03.07 A-Vienna Arena "Queens & Kings tour"
Weitere Termine, Infos, Hörschnipsel gibts bei www.asphalt-tango.de
... und - oh, sorry - natürlich nicht zu vergessen: Ljijlana Buttler, besser bekannt als Ljijlana Petrovic. Die "Mother of Gipsy Soul" singt Ma Rov mit ihrer ungewöhnlich tiefen Frauenstimme. Gleichfalls natürlich eine echte Queen. Und zwar bereits seit Anfang der 60er Jahre. (Nahm u.a. 1961 für Jugoslawien am Grand Prix Eurovision teil). Ende der 80er verschwand sie mit Beginn der Kriegswirren für mehr als ein Jahrzehnt aus dem Musikleben, heiratete, arbeitete in Düsseldorf als Putzfrau (!), ist aber seit 2002 wieder mit dem bosnischen "Mostar Sevdah Reunion" quer durch Europa unterwegs.
Ich war zunächst etwas irritiert durch den Namen "Buttler". Dabei ist mir die Musik dieser Sängerin erst unlängst über den Weg gelaufen: Ein Freund, der von meiner Leidenschaft für Osteuropa-Klänge weiß, schenkte mir Anfang des Jahres einen von einem Ostberliner Jugendklub produzierten Sampler mit Stücken lokaler Bands, der - sozusagen als Gegenentwurf zu der bekannt gewordenen Rechtsrock-CD - kostenlos auf Schulhöfen verteilt wurde. Darauf befindet sich auch ein - bei allem Respekt für den Rest - handwerklich in einer ganz anderen Liga spielendes Stück von einer Band, die ihren Stil als "Romabilly" bezeichnet, Liljana Petrovic als Vorbild bezeichnet und die - wie's scheint - das Nebenprojekt einiger ehemaliger Mitglieder der Berliner Skalegende "Skatoon Syndikat", die sich 2005 auflöste, zu sein scheint. Ganz tolles Stück!
Es ist überhaupt eine Frage, wie unterschiedlich die ganze Osteuropa- und Russland-Musik-Welle regional in Deutschland und Europa Fuß gefasst hat. Hier in Berlin zum Beispiel gibts da nach wie vor eine ziemlich starke Resonanz. Das Popdeurope-Festival zum Beispiel ist ganz davon geprägt, das Programm des Radio-MultiKulti-Senders auch, es gibt äußerst populäre lokale Bands wie "17 Hippies" oder "Transsylvanians" in dieser Richtung, ebenso Clubs und Läden mit dieser Ausrichtung. Und natürlich spezialisierte Plattenlabels wie Asphalt Tango, Studios wie Raumer-Records.
wieviel machen denn die Stücke mit Kaloome aus?
Das gefällt mir drum ganz vorzüglich, dieses Treffen von Mittelmeer und Balkan.
Auch der Track mit Mitsou klingt ganz danach, als ob ich mir dieses Album kaufen sollte.
@|Eclipse (« wieviel machen denn die Stücke mit Kaloome aus? »):
2 von 15 Titeln und 8:16 von 48:45 Minuten - um es ganz genau zu sagen.
Zitat («
Das gefällt mir drum ganz vorzüglich, dieses Treffen von Mittelmeer und Balkan. »):
Es hört sich sehr zugänglich an, wird glaub' ich vielen gefallen und ist auch einfach schön.
Zitat («
Auch der Track mit Mitsou klingt ganz danach, als ob ich mir dieses Album kaufen sollte. »):
Das sowieso ... Die Mitsou-Stücke gehören allerdings klar in die Muss-man-mögen-Kategorie. Die Stimme ist - gelinde gesagt - eigenwillig ... und die Frau erstmal: Ich hab sie bei einem Konzert mit "Mitsoura" erlebt, wie sie eine Minute vor Beginn lächelnd mit Zigarette auf der Bühne erschien, eine kleine zierliche Person und höchstselbst einen Mikrophon-Check vor dem krachend vollen Auditorium in voller Lautstärke mit irgendwelchen eigenartigen Vogel-Lauten abzog ... oh ja, das hatte schon was.
@Kukuruz («
06.03.07 D-Berlin Kesselhaus"Queens & Kings tour" »):
--> Heute abend. Das wird ein Fest der Sinne!!
--> Und das war es auch!
Am Anfang wurde jedoch zunächst bekanntgegeben, dass der bulgarische Gastsänger Jony Iliev bei einem Autounfall verletzt wurde. Er liegt Krankenhausm, aber glücklicherweise geht's ihm einigermaßen!
Ansonsten: Das Kaloome-Trio war dabei, Florentina Sandu, Ezma Redzepowa, zwei schöne Tänzerinnen und - natürlich - die wahnsinnigste Blaskapelle der Welt.
In der Konzert-Variante wurde das Konzept der CD auch noch einmal deutlich. Bei aller Vielfalt der Gastinterpreten - man beschränkt sich auf europäische Roma-Musik: Flamenco und Balkan mit traditionellen, modernen und "futuristischen" Einflüssen Die eine kurze Scat-Gesang-Einlage empfand ich als unnötige Referenz. Das wäre allerdings nochmal ein Thema für sich.