laut.de-Kritik
Wie ADHS-Kids in der Hüpfburg.
Review von Anastasia HartleibEs fühlt sich an, als sei gerade ein riesiger Karnevalsumzug vor der eigenen Haustür vorbeigefahren. In den letzten Sekunden von Fantasma Gorias Debütalbum sammeln noch ein paar Narren ihre Hüte auf und laufen dem Wagen hinterher, von dem sie gefallen sind. Der Hörer steht da, vollkommen erschlagen von dieser schieren Menge an Farben, Lauten und Eindrücken. Zeit, um ein wenig Ordnung in das Erlebte zu bringen.
"Fantasma Goria" fängt schon mit einem Paukenschlag an. Obwohl, eigentlich eher mit einer Sprengung des gesamten Straßenzugs. "Boof Bäng Pow" klingt genauso, wie es heißt: Ein breit explodierender Beat brennt den Weg für die Protagonistin frei, die sich auf Albumlänge gründlich austobt und sich scheinbar von nichts aufhalten lässt: "Vier Wochen krank, doch es gibt nichts, was mich hält / mit Ibus und 'nem Beat regier' ich halt vom Bett aus die Welt."
Dabei kennt Fantasma musikalisch keine Grenzen. Harte Club-Bretter, treibende Funk-Rhythmen, sphärische Elektro-Beats oder Reggae-Nummern: Auf dem Debüt der Hamburgerin findet sich alles. Auch inhaltlich scheint es kaum Limitierungen zu geben. Auf "Bart Ab" erklärt sie etwa testosterongeladenen Hipstern, was sie von ihrer Gesichtsbehaarung hält.
"Magnet" stimmt nachdenklichere Töne an: "Und ich frage mich, wanns weiter geht / und wieso sich gerade der Wind nicht dreht / such' 'nen Beweis dafür, dass ich jetzt leb' / die Zeit, sie hält mich fest wie ein Magnet." Mit "Das Biest" liefert Fantasma einen Gute-Laune-Song auf einem funky Clap-Beat, der entfernt an den "Car Wash"-Remake von Christina Aguilera und Missy Elliott erinnert. In "Das Lied Vom Bonig" zeigt sie sich in feinster Marsimoto-Manier.
Diese wilde Mischung führt jedoch dazu, dass das Album an sehr vielen Stellen überladen wirkt. Auch Fantasmas Stimmeinsatz, der zwischen schnell und langsam, hoch und tief, sprechen und singen hin- und herspringt wie ADHS-Kids in der Hüpfburg beim Feuerwehrfest, klingt oftmals gewollt und auf Dauer daher etwas anstrengend. Eine Besinnung auf das Sprichwort "Weniger ist mehr" hätte ihren Songs durchaus gut getan.
Das gilt leider auch inhaltlich. Es macht sich das Gefühl breit, dass Fantasma vor allem eins will: mehr. "Normal" verdeutlicht dieses Dilemma sehr anschaulich: Die Hamburgerin schafft eine unglaublich starke Hook, die eine melodische, packende Geschichte erzählen könnte. Doch es folgen Parts, die einzeln betrachtet zwar ohne Tadel sind, im Zusammenhang jedoch kaum Aussagekraft besitzen.
"Burnout, Borderline Soziophobie / Angststörung, ADS, Anorexie / Psychose, Neurose und Hypochondrie / alles wahnsinnig normal" trifft auf "und während ich den Beat gezielt ein wenig schlanker mach', komm' ich auf diesem Track noch zehn mal fetter als Jabba The Hutt". Den Zusammenhang muss der Hörer sich jedoch ausdenken. Ebenso in "Papasita", einem Song über den Traummann, der mit der Line "Erster-Mai-Krawalle / Oh, ich sitz' in der Falle" endet.
Fantasma will um jeden Preis zeigen, wie vielseitig sie ist. Ohne Frage, sie ist technisch durchaus versiert, schafft klare Doubletime-Parts, mühelose Tonsprünge und weiß ihre starke Singstimme einzusetzen. Doch perfekte Technikgerüste bleiben ausdruckslos, wenn sie nicht mit Inhalt gefüllt werden. "Wenn 2 Sich Verstehen" scheint genau dafür ein Sinnbild darzustellen: Der sphärige Beat, der sich langsam ausbreitet, die sexuelle Energie des Gesangs, alles deutet auf R'n'B hin.
Doch es wirkt ein wenig so, als habe Fantasma vergessen, dass R'n'B weit mehr ausmacht als smoothe Rhythmen und Dirty Talk. Lines wie "Ich habe leider einen See zwischen den Beinen / ich steh praktisch im Regen, spring' rein, lass' die Sonne scheinen" klingen zu explizit und stehen in so starkem Kontrast zu dem Setting des Songs, dass die eventuell vorhandene Libido den Raum spätestens verlässt, wenn Fantasma sagt "und wenn du mich berührst machen meine Nippel bling bling / und mit deinem Ding bringst du meine Engelchen zum Sing-sing".
Trotzdem zeigt die Hamburgerin mit ihrem Debüt ihr vielseitiges Talent. Nimmt sie sich die Zeit, so wie bei "Lass Mich", einem Reggae-lastigen Song, der die Sehnsucht nach dem Ex thematisiert, schafft sie starke inhaltliche Bilder, die sie mit ihrer markanten Stimme großflächig projiziert. Ein paar mehr solcher ruhigen, reduzierten Momente täten ihrem Soundbild durchaus gut.
2 Kommentare
Hab das hier bereits an anderer Stelle geschrieben, muss man sich unbedingt selbst anhören! Ich hab das Album seit einer Weile in meiner Spotify Playlist und werde nicht Müde immer neue Nuancen zu entdecken. Inhaltlich eine glatte 1, sprachlich schlicht und einfach genial. Wenn auch hier und da ein wenig Da-Da.
Für mich das beste deutschsprachige Album 2017 bisher.Von mir gibt's *****
Einige schwächere Tracks sind drauf. Aber in der Summe ein Album, das aus dem Schmodder deutschsprachiger Popmusik herausragt wie ein guter Wie-Vergleich auf einem Bushido-Release.