Fantastic Negrito - " Son Of A Broken Man"

"Son Of A Broken Man" lotst uns durch die Höhen und vor allem Tiefen einer Beziehung und durch Lebenslügen zwischen Generationen. Der als Schreihals bekannte Black Power-Experte Fantastic Negrito, Kenner der afroamerikanischen Geschichte, ging zuletzt eher als Aktivist durch. Jetzt löst er die Themen Liebe, Freundschaft und Familienchronik aus dem aktivistischen Überbau heraus. Nachdem er sein Multimedia-Konzeptwerk "White Jesus Black Problems" in einer Akustik-Version unter dem Titel "Grandfather Courage" nachschob, kehrt er zu den Verstärkern zurück.

Sie dröhnen ordentlich in "Goddamn Biscuit", einem Wutausbruch. Musikalisch gebärdet sich die Band in der Tradition von Jimi Hendrix (nur dass der noch keine Drum-Programmings kannte, die vorhandenes Schlagzeug zusätzlich anfetten). Die Trommelmaschine ergänzt hier üppigen Sound. Xavier Amin Dphrepaulezz setzt viel auf seinen Organisten Lionel, und er nimmt mehrere Instrumente selber in die Hand: Klavier, Gitarre, Percussion. Gerne vervielfacht er seine Stimme, mimt den Chor selbst, der hinter ihm in bester Stax-Tradition soul-funkt.

Beim Zuhören drängt sich die Frage auf, ob oder wann Xavier als Support für Lenny Kravitz auf Tournee geht. Denn es würde so gut passen: Explosiver Funkrock, besagte Drum-Loops, eine einheizende und wandelbare Stimme, die Funkyness verkörpern kann, bestens angewandte Grundkenntnisse des Electric Bluesrock ("Crooked Road"), von Grunge/Alternative (z.B. im Refrain von "Devil In My Pocket"), Soul (im Titelstück), sogar Pop-Hooks, wie der einprägsame Chorus von "California Loner" beweist, auch mal non-chalant groovender Kopfnicker-Sound, in "This Little Light Of Mine", einem Wunderwerk am Wurlitzer.

Der Künstler selbst sieht seine stilistische Vermarktbarkeit nüchterner, als er mit uns spricht. "Ich sehe ein, dass ich ein Marketing-Alptraum bin. Meine Story ist ja die eines mittelalten Typen, auf den niemand wartete. Und als ich an den Straßenecken spielte, sagte ich zu mir 'Make it happen! Frag niemand anderen um Hilfe, kümmer dich selbst darum, dass was draus wird.' Die Welt, in der ich leben möchte, hat mit Kunst und Wahrheit zu tun - nicht mit Slogans. Darum, was 'in' ist oder an die nächsten Grammys zu denken, schere ich mich nicht, sondern darum mich mit Menschen zu verbinden, euch eine schöne Geschichte zu erzählen und wie man eine Veränderung in die Welt bringt. Mich interessiert mehr das, was die Power der Wahrheit hat, statt was populär ist. Denn die Wahrheit ändert sich nie, und Kreativität, Storytelling, Film machen sie sichtbar."

Das Gegenteil der Wahrheit ist die Lüge, und sie ist ein Kernmerkmal des US-Theaters der 1930er/40er Jahre, in Verknüpfung mit makabren Stories, z.B. bei Tennessee Williams' Stücken. Manches davon scheint bei Fantastic Negrito wieder auf: In "Goddamn Biscuit" dreht sich der Gedanken-Kreisel des Ich-Erzählers um tote Tiere, die in einem Fluss treiben. Die kryptische Geschichte ist nicht das einzige, was Negrito beim Texten verklausuliert. Alle diese Songs hier sprechen eher zu sich selbst und verarbeiten tief sitzende Gefühle mit hoch emotionalen Akkorden, als dass sie geradlinig ein Geschehen aufzeigen würden.

Fantastic Negrito und seine Band spielen existenzialistisch, durchdringend, keinen L'art-pour-l'art-Blues, der sich in technischer Finesse erschöpfen würde, aber technisch und spielerisch ist die Platte trotzdem exzellent. Manche Arrangements sind der Hammer, etwa bei "Devil In My Pocket", einer spannenden und dynamischen Laut-Leise-Schnell-Laut-Achterbahnfahrt. "Niemand möchte sich mit einem gut getarnten Verräter umgeben, keiner möchte den Juckreiz von Gift-Efeu auf der Haut", in den USA das Pendant zu unserer Brennnessel, und so umschreibt Xavier das Gefühl, sich auf Freunde nicht verlassen zu können. Auch in Beziehungen will sein Protagonist nicht immer nur Lückenfüller, zweite Geige oder temporäre Affäre sein. Abzüglich aller Pfeifen, bleibt dann nur eine vertrauenswürdige Person übrig: "My Only Friend Is You".

Noch schlimmer stehen die Dinge in "Living With Strangers", einem beinahe paranoiden Song mit gehässigem Gelächter und Xavier in rauchigen und hohen Stimmlagen. "Mama left me / Daddy gone / All my friends have dumped me / Now I'm all alone." - Das Ineinandergreifen der vielen Gesangsspuren kann man hier auch als inneren Monolog deuten, eines Typen, der mit seinem Leben nicht klar kommt und im Klageton mit sich selbst spricht und hadert. "Runaway From You" behandelt den Entschluss und die Umsetzung, jemanden zu verlassen und wiederholt diesen Entschluss in Endlos-Schleife.

"Son Of A Broken Man" spielt mit zwei Perspektiven in einer Beziehung. Die eine Person, "a woman", trägt in sich ein Geheimnis, leidet an seelischem Schmerz, den sie sich aber sehr lange nie anmerken lässt. Viel mehr ist sie der anderen Person, dem Ich-Erzähler, eine Stütze. Er stammt aus einer zerrütteten Familie, als "Son Of A Broken Man", sammelt die Scherben der gebrochenen Verhältnisse um sich herum auf, schaut, wie er mit dem kläglichen Rest überlebt, und freut sich über eine Begleiterin. Doch die Nächte an ihrer Seite fühlen sich einsam an. "Wenn ich es doch nur gewusst hätte", überlegt das lyrische Ich. Wenn er auf die Idee gekommen wäre, dass die Frau selbst Probleme haben könnte, hätten sie mehr voneinander gehabt, "so we could both swim in the river of tears" - geteiltes Leid ist halbes, gemeinsames verbindet.

Inmitten dieser Themenplatte über Einsamkeit und das, was man dagegen tun kann, wünscht Fantastic Negrito "I Hope Somebody's Loving You" und kriegt dabei gerade noch so die Kurve vorm Kitsch. "I hope somebody's loving you / In the sweetest way / I hope somebody's loving you / Every night and day", hier lebt die Sentimentalität Sam Cookes wieder auf. Gerade in den zart-souligen Momenten, die er auf den letzten Platten vermied, zaubert er jetzt auch zwei Highlights des Albums, "This Little Light Of Mine" und "California Loner", zwischendrin sorgen einminütige Geräusch-Spoken-Collagen für die typische Kratzbürstigkeit.