laut.de-Kritik
Breitbeiniger Rock mit harten Riffs.
Review von Sven KabelitzDie Angst vor dem Ärztemangel wächst. Der Hausarzt verkommt zum Auslaufmodel. Die Ruhestandswelle verschärft die Situation zusätzlich. Da kann man es im Grunde nur begrüßen, dass Farin Urlaub, Bela B. und Rod González während ihrer Betriebsferien weiterhin Einzelsprechstunden anbieten.
Während Herr Felsenheimer bereits im April mit "Bye" einen beachtenswerten Ausflug in den Country wagte, folgt nun Farin Urlaub mit "Faszination Weltraum". Dabei setzt er im Gegensatz zum Kollegen auf altbewährte Schulmedizin: Breitbeiniger Rock mit harten Riffs, chorlastiger Pop, heftig bangender Metal, etwas Latin, ein Fitzelchen Ska, eine kleine Ballade und Stadionrock-Soli beim ersten Anzeichen von Punk.
Natürlich verfügen die 15 Stücke des neuen Albums über ausgetüftelte Arrangements und gehen gut nach vorne. Farin Urlaubs Erfahrung verhindert einen schlechten Longplayer. Reimte er früher aber noch munter "Zyklop" auf "Misanthrop" und "MP3-Player" auf "Slayer", verschreibt er auf "Faszination Weltraum" nur noch leere Hülsen, denen es an interessanten oder aberwitzigen Handlungen und bleibenden Bildern mangelt. Den Songs fehlt ein eigener Charakter und Wiedererkennungswert, der sie von den Liedern der Vorgänger-Platten abhebt.
"Es könnte gar nicht schöner sein (oder vielleicht doch?)." Ökonomisch startet "Faszination Weltraum" mit dem gewohnten schürenden Eröffnungstrack. Ein putzmunteres Selbstzitat voller vorhersehbarer Breaks, das sich fröhlich in eine Reihe mit "Wie Es Geht", "Ist Das Noch Punkrock?" "Mehr" oder "Nichimgriff" stellt. "Die Sonne lacht", Farin "singt sein Lied" und der "Herzschlag ist der Beat". Im mit einem orientalischen Flair ausgestatteten "Dynamit", dessen Refrain nicht so richtig zündet, spielt Urlaub den Crazy Harry aus der Muppet Show. "Dynamit / Wir verschönern unser Innenstadtgebiet / Dynamit / Architekturkritik, die man tatsächlich sieht."
Die routinierte, aber auch etwas ungelenke Vorab-Single "Herz? Verloren", dessen wirbelnder Refrain sich von Hördurchlauf zu Hördurchlauf mehr ins Gehirn fräst, gehört mit seinen kraftvollen Bläsern und in diesem Umfeld zu den Höhepunkten. Dafür stapeln sich gerade in der zweiten Hälfte ideenbefreite Langweiler wie "Keine Angst", "Newton Hatte Recht" und "Fan", eine Abrechnung mit enttäuschten Anhängern. In der getragenen Ballade "Das Traurigste" leckt Farin zu schwülstigen Streichern seine Wunden. Cello, Geigen und Bratschen spielen im Walzer-Takt zum üblichen "Ich wurde verlassen und mir geht es so schlecht"-Text. Den hat Urlaub zweifellos schon mehrfach intelligenter und mit mehr Wortwitz verfasst.
So ganz ohne Leckerli kommt ein Album mit Jan Vetter-Beteiligung jedoch nicht aus. Ausgerechnet "iDisco", das Lied mit dem dämlichsten Titel, versöhnt mit seinem deutlichem Santa Esmeralda-Einschlag und überschäumender Dynamik. Zu ausschweifenden Geigen und spanischer Gitarre rechnet das Stück mit passiv-aggressiven Besserwissern, Idioten und Schwachmaten ab. "Du wünschst dieser Welt / Dass endlich Hirn vom Himmel fällt / Es wäre schön, wenn sie verstehen / Zum Homo Sapiens gehört nicht nur aufrecht gehen."
Das Beste kommt zum Schluss, wenn man schon die Hoffnung auf die Faszination im luftleeren Weltraum aufgegeben hat. "Immer dabei" startet verhalten, zur zierlicher Gitarrenbegleitung, um sich danach über durchdringenden Rock bis zu polterndem Metal zu steigern und immer noch eine Schippe drauf zu legen. Dieser einzelne, mit höllischer Inbrunst vorgetragene, Track zeigt auf, an welcher Passion es den restlichen Stücken mangelt. Täuscht die entschiedene Produktion von "Faszination Weltraum" im ersten Moment noch über die Schwächen hinweg, stellt sich nach den letzten Klängen wieder Ernüchterung ein. Es fehlt an Stolperfallen und Überraschungsmomenten.
"Ich hatte eben das Gefühl, es ist mal wieder Zeit für harten Rock", erklärt Farin Urlaub, als er im Interview mit laut.de auf den Mangel an originellen Ideen angesprochen wird. Er habe einfach Bock gehabt, " auf Stücke, die live krachen. Rock eben." Ob es sich bei den Songs von "Faszination Weltraum" um wirksame Medikamente handelt oder doch nur um Placebos, wird sich also erst live so richtig erweisen.
15 Kommentare mit 6 Antworten
Ärzte-Metaphern im Bezug auf Die Ärzte sind sooo 80er.
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Haha das habe ich auch gedacht
Hahaha. Ich dachte auch: Von Ideenlosigkeit schreiben und dann ausgerechnet die Ärzte-Metaphern ausgraben.
Hahaha, ja genau! Dachte ich auch!
Ihr wart in der Schulzeit auch so Kasper, die sich wedelnd und schnipsend gemeldet haben, um voll stolz anzumerken, dass sie das auch sagen wollten.
Fakt1: Das Ding ist i.d.T. die bislang schlechteste FU-Platte. jeden Song meint man irgendwie schonmal gehört zu haben.
Fakt2: Das Ding ist verglichen mit Nicht-FU-Platten immer noch so gut und ideenprall, dass man es lieber und lieber hört. "iDisco" und "Immer da" wurden ja schon zu Recht gelobt - aber selbst eher simple Ware wie "Keine Angst" ist doch im Detail recht raffiniert.
Fand die letzten 5 Jahre (live), inklussive der Alben von den Ärzten zusammen, Belas- und nun Urlaubs Album, alle sehr langweilig. Scheinen voll drüber und haben sich es bequem gemacht an der Milchbar ihrer Frauen. Für mich ist das Kapitel Ärzte erst mal geschlossen. Höchstens auf irgend einer Oldieparty werde ich die mir mal wieder antun.
Die CD ist gut genau so wie sie ist.
Mag zwar die Entwicklung der Ärzte der letzen 2 Alben auch nicht besonders, aber neben dem sehr gelungenen Bela B.
Album eins der Highlights dieses Jahres.
Vor allem nach der langen Durststrecke der nicht veröffentlichungen.
Einzigst nerviges Lied auf der Platte ist für mich Fan
da ich nicht genau weiss was Farin Urlaub eigentlich will.
Seine Fans kritisieren oder sich darüber beschweren, dass sich Fans über manche Negativwandlungen aufregen?
Idisco ist definitiv ein Highlight, aber Dynamit ist genauso hörenswert wie der Rest der Platte- Gibt zwar auch nicht soo viel neues in der Entwicklung aber (meine Persönliche Meinung) Am Ende der Sonne die ich erst spät gekauft habe, fand ich nicht soo gut wie Faszination Weltraum ist eben alles Ansichtssache.
Danke Farin für eine weitere Dauerhafte CD in meinem Player-
wer eben Punk auf die zwölf mag bleibt bei Farin U.
Oder kauf gleich beide Ärzte Mitglieds Solowerke.
Album:
Mein Lied - 3/5
Dynamit - 2/5
Was die Welt jetzt braucht - 4/5
Herz? Verloren - 5/5
AWG - 4/5
Heute tanzen - 4/5
iDisco - 5/5
Find dich gut - 4/5
Keine Angst - 4/5
Fan - 3/5
Newton hatte Recht 3/5
Das Traurigste - 3/5
3000 - 4/5
Sommer - 2/5
Immer dabei - 5/5
Single "Herz/Verloren"
Wahnsinn - 4/5
Die perfekte Diktatur 5/5
Sehe das Album deutlich positiver. Es ist kein einziger wirklich schlechter Song auf der Platte (Find dich gut gefällt mir weniger) und es sind einige richtig gut Nummern dabei. Meine Favoriten: Was die Welt jetzt braucht, Herz? Verloren, Heute tanzen (Einfach ein Knaller für Literaturfans!), iDisco (Der Titel ist alles andere als bescheuert!), 3000, Immer dabei (Wunderschön), Die perfekte Diktatur (Warum auch immer das eine B-Seite ist).
Habe auch das Gefühl, dass das Album, je öfter man es durchhört, immer besser wird. Von mir gibt es auf jeden Fall 4 Sterne!