laut.de-Kritik

HexD: Traps neuer Sound zwischen DJ Screw und Nightcore.

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Im Hip Hop-Untergrund brodelt etwas. Etwas, das tief unter allem Gatekeeping und allem guten Geschmack im Begriff ist, die Form eines Genres anzunehmen. Es sind mit Bitcrushern bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Trap-Sounds, die sich in Compilations und DJ-Sets wie der Schimmel verbreiten, mal unter dem Namen Crushed Trap, mal unter Surge, inzwischen aber vor allem als HexD. 2018 tauchte der exzessive, aber faszinierende Sound erstmals auf, seither experimentieren Internet-Kollektive bunt, was für Musik sich daraus entwickeln lässt. Besonders dieser Winter war fruchtbar, ein spannendes Projekt jagte das Nächste. "Aethernet" von Fax Gang ist aber als erstes ganzes HexD-Projekt so gut und eigenständig, dass es als Blueprint für das Genre dienen könnte.

Stecken wir erst kurz ab, was es mit HexD auf sich hat, bevor wir verstehen, warum es der Fax Gang besonders gut gelingt. Der Namensursprung lässt sich auf den 15. Juni 2018 datieren. Da lud das Kollektiv der Reptilian Club Boyz eine Compilation namens "Rare REB hexD.mp3" auf Soundcloud hoch. Das Tape zeigte Verweise auf den rohen, dreckigen Florida-Trap-Sound der Schule eines SpaceGhostPurrps, aber es klang auch ein bisschen wie Houstons Chopped-and-Screwed-Tradition. Wichtiger noch: Es klang radikaler als beides. Der Bitcrusher senkt die Abtastrate von Audiodateien, seine exzessive Nutzung bricht gerade bei den hallenden 808s der Trap-Musik die Textur unberechenbar auf. Die Reptilian Club Boyz entdeckten so einen Sound, der alle klanglichen Elemente der Originale so sehr subvertierte, dass das Resultat fast schon an Ambient, Drone oder Noise erinnerte. Es war seltsam faszinierend und weckte sofort Hunger auf mehr.

Auf verschiedenen Online-Plattformen, aber vor allem auf Soundcloud, YouTube und Bandcamp fand das HexD-Phänomen Nachahmer - und mit den Nachahmern kamen die neuen Ideen. Da es sich formell ähnlich verbreitete, schmiegten sich Vertreter des Hyperpop und der elektronischen Musik an, zum Beispiel im bald prominent werdenden "Crushed Trap @ 154: Lil Uzi Vert's Precious Little Life"-Mix von 999 Heartake Sabileye, der Sound-technisch jedem 100 Gecs-Fan einleuchtet. An anderen Orten setzten Produzenten wie Dior5tar noch schrägere Elemente und Internet-Genres wie Nightcore oder Vaporwave in die Produktionen um.

Was Ende 2020 übrig blieb, ist ein vogelwilder Genre-Begriff. Man einigte sich irgendwo auf die Basis der dekonstruierten Trap-Beats, aber wie sehr man darauf neue Electronica oder Ambience-Sounds errichtet, bestimmte jeder Künstlern frei für sich. "Unimon Superstar" von Drixxo Lords oder "Ateriavia" von Anthony1 machten Vorschläge, wohin man all diese Ideen entwickeln könnte, blieben schließlich doch zu eng an ihren Referenzsounds. Manches klang nach Bladee, manches nach Breakcore oder Trance. Bis jetzt: Mit dem Neujahr 2021 erschien das erste HexD-Album, das sich eigenständig nur diesem Genre zuschreiben lässt. Warum also erfährt "Aethernet" von Fax Gang gerade einen kleinen Hype?

Im Kern orientiert sich auch "Aethernet" an den HexD-Kernthesen. Die Soundwände sind verschieden stark aufgebrochen und entstellt, sodass sich Schlagschatten des auditiven Schlamms durch die Tracks ziehen, die Ästhetik bleibt aber dunkel, brach und depressiv. Nummern wie "Itsumo" oder "Mirror" triefen vor Schlacke und Noise, hinzugefügte Synth-Arpeggios und Echos desorientieren den Hörer nur noch weiter. Selbst das prominenteste Element, die Vocals von PK Shellboy, verstecken sich hinter einem aufgedrehten Filter und lethargischer Delivery, man gewinnt das Gefühl, man müsse seine Präsenz im Mix suchen wie Spinnen im Terrarium. Aber hört man ihm zu oder gewöhnt man sich an den monotonen Strom seiner Lyrics, findet man tragende Melodie-Motive oder niederschlagende Lyrics: "Live another day, gonna live another day / Gotta make sure that we eat and that there's dinner on the way" singt er zum Beispiel und muss nicht komplex oder bildstark formulieren, um im Angesicht der depressiven Soundsuppe eindringlich zu klingen.

In der Komposition seiner Elemente funktioniert "Aethernet" monolithisch. Es frönt zu hundert Prozent dem Sound, einem radikalen, minimalem Sound, einem Schneesturm in Wellenform, der nur bei genauerem Hinsehen Details wie Lyrics, Rhythmen oder rudimentäre Melodien preisgibt. Ein bisschen erinnert die Platte dadurch formell an das alte Electro-Meisterwerk "Endless Summer" von Fennesz, das ebenfalls seine musikalische Grundmotive in einen Abgrund der Verzerrung stürzte. Aber gerade dieses Neuentdecken von Techniken aus der experimentellen Elektronik und dem Ambient machen HexD so spannend und innovativ im Hip Hop-Kontext.

Denn es lohnt sich, im Laufe von "Aethernet" aufmersam zu bleiben. Der Opener "Anything To Gain / Nothing To Lose" lockt noch mit einem in Bitcrushern begrabenen Techno-Groove, der spätestens beim zweiten Hören eingängig wie die Hölle ist, während PK Shellboy seinen besten Lil Peep-Bag anschlägt. Dessen Schema Posse-Tage dienen öfter als guter Referenzpunkt für Shellboys Vocal-Performances. Die sind minimal, reduziert, aber staffiert die Lo-Fi-Soundwellen konstant mit bockstarken Flows und Refrains aus, die sich im Noise-Rauschen nicht selten im offenen Blickfeld verstecken.

Genau dafür hebt sich "Aethernet" von der bisherigen HexD-Speerspitze ab: Das Songwriting ist ambitioniert. Ambitionierter, als man es von vielen Internet-Genres gewohnt ist. Fast jeder Song spannt über vier Minuten und errichtet Korridore durch musikalische Räume, in denen jeder Song Drumpattern, Grooves und Techniken aus verschiedenen Referenz-Genres verschränkt. "Extant" zum Beispiel versenkt einen depressiven Ruf nach Überleben in einem immer dichteren Mahlstrom aus auditivem Internet-Weltraumschrott. Mal folgt der Song der Logik einer Hip Hop-Cypher, dann wieder der eines Techno-Raves. Nach dem Feature-Verse von AOL setzt schließlich ein klassischer Beat-Wechsel ein und die lärmenden Synth-Leads weichen einer neuen Tonlage für die optimistische Neu-Erzählung der Track-Themen. Shellboy klingt erschöpft, durch den Wind, aber in seiner eignen Fasson euphorisch. Es ist ein beeindruckend aufgebauter Moment auf der Platte, der emotional näher geht, als man erwartet hätte.

Der Sound verliert über die dreißig Minuten so auch keinen Glanz. "Extant" auf "Shotgun" und "Implosion" liefern einige der beeindruckendsten Songwriting-Läufe eines Hip Hop-Albums jeglichen Metiers der letzten Jahre. "Shotgun" setzt gänzlich auf melodische Vocals und wird ein letztes Mal so richtig eingängig, das simpele Motiv wird für den maximalen Effekt genutzt. "Implosion" schließt das Album vor dem Ambient-Outro mit einem maximalistischen Noise-Swell ab, die Geschwindigkeit doppelt sich, bis die BpM-Zahl im psychedelischen vierstelligen Terrain des Extratones ankommt. Was bleibt, ist frei fließender Lärm, Übersteuerung und ein ermattendes Ende dieses beeindruckenden Projektes.

"Aethernet" ist eine bizarre, aber unglaublich immersive Zusammenstellung von allen progressiven Ideen, die HexD zur Verfügung stellt. Es hat die psychologische Tiefenunschärfe von Chopped-N-Screwed-Alben, aber auch den postmodernen Absurdismus so vieler Internet-Genres. Es nimmt einen Sound, der in seinem schlichten Eigenwert ein Gimmick sein könnte, und reichert ihn zu einer vollständigen Erkundung seines Potentials an. Fax Gangs Debütalbum könnte der Paukenschlag sein, damit aus allen Ideen des HexD ein wirkliches Genre erwächst. Und selbst wenn nicht – diese musikalische Singularität lohnt sich auch ohne Kontext zu hören. "Aethernet" klingt in seiner Zusammenstellung aus Sounds und Genres absolut einzigartig und auf ganzer Linie überzeugend.

Trackliste

  1. 1. Anything To Gain/Nothing To Lose
  2. 2. Reality/Dreams (feat. ALIEN DAYS)
  3. 3. Itsumo
  4. 4. Mirror
  5. 5. Fallen
  6. 6. Extant (feat. AOL)
  7. 7. Shotgun
  8. 8. Implosion
  9. 9. Goodbye

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