laut.de-Kritik
Die alten Rebellen wissen, wo die Wunden sitzen.
Review von Artur SchulzJa, sie besaß willkommene Klasse, jene erste Rückkehr der legendären Fehlfarben im Jahre 2002. Allein der geniale, ob seiner tiefen Wahrheit nachhaltig berührende Titel "Knietief Im Dispo"! Diese Feststellung besitzt bis heute persönliche Gültigkeit und hat sich unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Timeless, Baby.
Das war ein glänzend inszeniertes Comeback, das nichts, aber auch gar nichts mit der so oft beobachteten, überflüssigen Wiedergänger-Manier manch anderer ehemaligen Musik-Größen zu tun hatte. "Handbuch Für Die Welt" erreicht nicht auf voller Alben-Länge die selbst angelegte Messlatte des Vorwerks, doch Peter Hein und Mannen legen insgesamt erneut einen überzeugenden, vielschichtigen Longplayer vor.
"Wir haben uns über Deutschland beschwert / haben uns selbst bei John Peel gehört", konstatieren Fehlfarben ihren künstlerischen Status im musikalisch bodenständig rockenden Opener "Anders Geblieben". Als vorwärtstreibender Track für den Nischenclub-Tanzboden pulsiert "Politdisko" laut und kräftig. Erneut funkeln Heins Textzeilen: "Bestimmt vom Zwang zur Zukunft / Fehlt uns die Gegenwart" trifft die Landeslage ebenso wie wie die Erkenntnis "Das Schlechte muss sich gut verkaufen / Was andres kriegst du nicht zu sehn'".
Hein kommt oft genug schneller, treffender auf den Punkt als andere, mit schärferem Blickwinkel und abgeklärt-wissender Haltung. Im immergleichen Dreck stecken wir schließlich alle, ob nun mit 16 oder 36. Fehlfarben gehen mit der derzeit verordneten Aufschwungs-Hysterie nicht konform; ihnen ist klar, auf welche Weise etwa Arbeitslosenzahlen regierungs-kompatibel geschönt werden. Zeilen wie "Am Ende das Meer / wirf mich hinein" kommentieren mit grimmigem Humor das großkoalitionäre Wirtschafts-Seifenblasen-Wunderland. Es geht voran - wenn auch nur im Reichstags-Umfeld der geschönten Statistiken.
Einsatzfreudig-lärmend bearbeiten Fehlfarben Seiten und Saiten in ihrem "Handbuch Für Die Welt". Schillernde Arrangement-Details treffen auf knackige Old-Wave-Beats, knurrenden Bass und krachende Sperrfeuer-Gitarren. Willkommen im Friendly Sound-Fire der letzten beiden Deutschrock-Jahrzehnte! "Rund um die Uhr / Weiß jeder, wo jeder ist" straft Peter Hein mit wütender Stimme den Mobilfunk-Wahn ab. Richtig so. Wozu Handys? Es gibt doch schließlich Telefone! Der "Ich kann nicht mehr / Ich kann nicht mehr"-Passus streift mit seinem Stampfbeat (angenehm) die besseren Song-Parts eines Joachim Witt. Und irgendwo dazwischen schrillt das "Großalarm"-Geläut der Toten Hosen.
Flau: Das Monks-Cover "We Do Wie Du". Dafür überzeugt die Heinrich Heine-Gedicht-Adaption "Das Schöne Herz" umso mehr. "Im wunderschönen Monat Mai / Als alle Knospen sprangen / Da ist in meinem Herzen / Die Liebe aufgegangen" säuselt es als ungenierter NDW-Style-Flirt aus den Boxen. Der Sound-Mund der Vergangenheit trifft hier auf die dürstenden Lippen des Musik-Heute. Fehlfarben präsentieren sich auf "Handbuch Für Die Welt" nicht als Rächer oder gesetzlose Rebellen - in gewisser Weise eher als Bestandsaufnehmer zeitgemäßer Befindlichkeiten. Die wissen, wo die Wunden sitzen, ohne allzu vordergründig-plakativ irgendwelche Finger hineinlegen zu müssen.
13 Kommentare, davon 12 auf Unterseiten
"We Do Wie Du" find ich eigentlich ganz witzig.
Ähnlich wie "Alkoholen" mit Jochen Distelmann vom letzten Album.
Ansonsten auch hohes Niveau.
Aber sicher waren auf "Knietief im Dispo!" die griffigeren Geniestreiche versammelt.
"Rhein in Flammen", "DuRanDuRan", "Club der schönen Mütter", "Reiselust" und so weiter und so fort ...
Alles moderne Klassiker.
Aber die Themen sind im "Handbuch für die Welt" auch etwas anders.
Und Gesang, Gitarren, Bass, Pyro, Keyboards und Drums - viele gelungene Details.
Wo wären wir, wenn es sie nicht gäbe, die Fehlfarben?