laut.de-Kritik

Arbeitsagentur, Journalisten, Salafisten: Alle kriegen ihr Fett ab.

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"Von Montag bis Freitag total angepisst / Du hast keinen Beruf? / Das erklärts doch nicht!" Wenn solch unbequeme Wahrheiten dem Hörer wie Kugeln ums geneigte Ohr pfeifen, ist meistens eine neue Fehlfarben-Platte bereit und entsichert. An langweiliger Denkmalpflege ist den deutschen First Generation-Postpunks auch im gefühlt 300. Jahr ihres Bestehens nicht gelegen.

Im Vergleich zum letzten Kleinod "Glücksmaschinen" legen Hein und Co. musikalisch sogar noch eine Schippe drauf. Der schnurrige Analogsynthie darf seine Nebenrolle deutlich ausbauen. Die Gitarren wuchten sich für Fehlfarben-Verhältnisse mitunter fast schon stadionrockig in den Mittelpunkt. Und der knackig perlende Bass verdient ohnehin seit Dekaden das Prädikat 'Urgestein'. Die frisch rockende Offensive startet von der ersten Sekunde des Openers "Dekade 2".

Dazu wirken die Melodien pointierter und abgehangener als auf den meisten ihrer Veröffentlichungen. Es gibt sogar richtige Hits: "Hygieneporzellan" ist ein tanzbar rockender Hypnoseklumpen der Extraklasse. An die deutschen Journalisten: "Wenn die Mediendeppen über endlose Treppen ihre Ausrüstung schleppen / um Kontakte zu neppen / dann vertrau'n sie sich an / Hygieneporzellan!" Bei "TCM (Polychemie)" setzen sie der neuen Hymnenseligkeit die smarte Dornenkrone auf. Mit dem stampfenden "Platz da" gelingt ihnen sogar eine Art "Nutbush City Limits" für Waverocker.

Dichter und Denker Peter Hein ist gleichfalls zu 100% in seinem Element. Die "Glauberei" ist eines seiner typischen Kabinettstückchen zwischen metaphorisch ansprechender Lyrik und dem gewohnt deutlichen Knüppel aus dem Sack. Diesen bekommen auch die gegenwärtig unüberhörbaren Salafisten zu spüren: "Von allen Glaubern, die man hören kann / Sind am lautesten die mit Bärten dran / Denn darum gehts doch bei der Glauberei / Dass der eine lauter als der andere sei / Und jede Lärmesjüngerschar / glaubt, ihre Wahrheit sei alleine wahr."

Spätestens wenn der himmelsschreiende Agitpoet ein paar Lieder später gut begründet deklamiert "Bundesagentur, ihr seid ARGE Scheiße!" haben wieder mal all jene ihr Fett abbekommen, die es generell verdienen. Heins Revolverschnauze macht einmal mehr keinerlei Gefangene.

Sogar der Gesang ist nicht ganz so sehr Pferdefuß wie auf manch älterem Song. Hein scheitert nicht an der zaghaften Hinwendung zum melodisch zelebrierten Text. Wohl aber an der englischen Sprache. So ist "The Flag Drops" trotz des fernöstlichen Anstrichs und schicken Zeilen die einzige Nummer mit Skiptaste in Reichweite. Wenn der gute Peter anfängt, so treudeutsch in Oxfordenglisch daher zu stelzen, erinnert es fatal an ähnlich aussichtslose Versuche des Kollegen Regener, dem angelsächsischen Idiom auch nur ein wenig Herr zu werden. Ein Wermutstropfen in der ansonsten tadellos aufgereihten Songkette.

Auch wenn ich mich an dieser Stelle weit aus dem Fenster lehne: Mit dem epischen "Herbstwind" entfalten die Düsseldorfer auf knappen zehn Minuten den komplexesten und interessantesten Track ihrer Karriere. Die sepiafarbene Melancholie des Liedes transportieren sie mit gothischer Inbrunst. So ausladend wie Fields Of The Nephilim, so strukturiert wie Killing Joke, so fluffig psychedelisch wie The Cure. Zum Ende gibt es fast noch so etwas wie verhohnepiepelnde Black Metal-Vocals.

Was für ein unerwarteter Hochgenuss im 'Herbstwind' der eigenen Laufbahn. So haben die Fehlfarben mal wieder alles richtig gemacht. Textlich immer am kranken Puls der Zeit; dazu musikalisch souverän. Eben eine der relevantesten deutschen Bands überhaupt.

Trackliste

  1. 1. Dekade 2
  2. 2. Platz da!!!
  3. 3. Glauberei
  4. 4. Lange Genug
  5. 5. Richtig Ist Fasch (NFS)
  6. 6. Hygieneporzellan
  7. 7. Bundesagentur
  8. 8. TCM (Polychemie)
  9. 9. The Flag Drops
  10. 10. Das Erklärts Doch Nicht
  11. 11. Herbstwind

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