laut.de-Kritik
Zitatenschatz für Musik-Gourmets.
Review von Christoph DornerIn Zeiten, in denen Musik durch all die virtuellen Staudammlöcher im Internet nicht mehr als physischer Tonträger künstlich verknappt werden kann, bringt eigentlich kein Mensch mehr ein Album mit 20 Songs auf den Markt. Stattdessen würden viele Bands aus so viel Songmaterial wohl ein Album mit elf Titeln machen, zusätzlich EPs, Singles und digitale Tracks exklusiv vermarkten und am besten noch einen Song an die Werbung verhökern.
Nicht so die Gebrüder Brewis. Denen scheint eine solche, rein ökonomische Perspektive herzlich egal zu sein. Vier Jahre hatten sie die Band ruhen lassen und sich lieber ihren Soloprojekten "School Of Language" und "The Week That Was" gewidmet. Mit "Measure" wandeln David und Peter Brewis auf der Spur von zwei der – im wahrsten Sinne des Wortes – größten Popalben aller Zeiten: "The White Album" von den Beatles und "Tusk" von Fleetwood Mac.
In deren historischem Spannungsfeld zwischen Progressive Rock, Folk, Psychedelic und Soft Pop bewegen sich auch Field Music. So erscheint "Measure" mit seinen 72 Minuten Spielzeit zuallererst als reichhaltiger Zitatenschatz für Musik-Gourmets, die in induktivem Verfahren an all ihre einstigen Lieblingsbands erinnert werden, deren Vinyls im Keller verstauben:
Natürlich an die Beatles und insbesondere an die melodische Ader von Paul McCartney, wobei die Fab Four den von barockem Cello getragenen Schlafzimmer-Pop von "Measure" wohl nur zugedröhnt in einem Outtake so schnell gespielt hätten. An die Talking Heads und deren ungelenk-lässiges Rhythmusverständnis, dass im Song "In The Mirror" von Slide-Gitarre kontrastiert wird.
An die großen Riffs von Jimmy Paige ("All You'd Ever Need To Say"), an Prince-Funk ("Let's Write a Book"), den Psychedelic-Pop von XTC ("Clear Water"), die verschachtelten Songs von Supertramp ("Something Familiar") und das nervöse Pathos von Queen ("The Rest Is Noise"). Freilich gerät Measure bei einer solchen Aufzählung in heutigen Zeiten schnell unter Plagiatsverdacht.
Dieser ist jedoch völlig unbegründet, haben Field Music doch eine uralte Kulturtechnik angewandt. Sie haben nicht Songs oder Melodien kopiert, sondern ganz einfach guten Musikern zugehört und mit diesem Erfahrungsschatz und den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln eigene, stets spannend arrangierte Songs geschrieben. Davon bleiben sicherlich einige Skizzen unterwegs auf der Strecke liegen – und doch haben die Brüder Brewis die Kondition für ihren 72-minütigen Pop-Marathon. Im Ziel gratulieren – schon geduscht – Yeasayer und die Flaming Lips.
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