laut.de-Kritik
MC steht nicht für Middle-Class.
Review von Philipp GässleinMit schlechten Rappern verfährt laut.de in etwa so wie die deutsche Justiz mit chronischen Kinderschändern: Wir verurteilen sie in schöner Regelmäßigkeit, aber sie erhalten auch immer wieder die Chance, sich zu bessern. Selbst dann, wenn sie wie Fler bereits zu Beginn vollmundig klar machen, sich nicht zu ändern und uns wieder einen Grund zu geben, sie zu hassen.
Würde man in den finstersten Ghettos der deutschen Hauptstadt Ökorapper Curse doch mal zuhören, statt ihn fortwährend zu dissen: Der hätte - auch im simpel verständlichen Straßenslang - erklären können, warum Hass in den meisten Fällen ein Produkt der Liebe ist. Und davon hatte ich für Fler - bei allem guten Willen - seit dem Split von Ex-Homie Bushido nicht mehr viel übrig.
Der bei Aggro übliche Verbraucherhinweis auf harte Texte verzichtet inzwischen auf das Totschlagargument "Ironie", um die kontroversen Texte zu verteidigen. Nun gut: Nehmen wir sie mal für bare Münze, oder was auch immer der derzeit gebräuchliche Slang-Ausdruck dafür sein mag. Fler proklamiert, im Gegensatz zu schwulen Studenten etwas für seine Cents leisten zu müssen. Da drängt sich die Frage auf: Was eigentlich genau?
Respekt auf Clack auf Back auf Bad auf Gebangt auf Danced auf Kennst auf Rennst zu reimen - ich gebe zu, bei so viel Sprachbrillanz stocken mir und vermutlich der Hälfte der US-Rap-Vorbilder der Atem. Savas-Klassiker ("LMS") zu kopieren, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, das technische Niveau des Originals zu erreichen - das ist zumindest mutig. Und da auf den Erfinder auch verwiesen wird, hat das Ganze auch noch pädagogischen Nutzen für die Fanschaft: Sie können gleich hören, wie man es Klassen besser anstellt. Fler leistet was für sein Cash, keine Frage.
Gerade dann, wenn man wieder entnervt den Richthammer schwingen und zugeben will, dass jedwede Kritik an Fler so sinnvoll ist, wie einem Goldfisch freestylerappen beibringen zu wollen, da der Mann sich ja gar nicht verbessern will - gerade dann kommt "Wie Ein Adler" und walzt mich völlig platt. Warum, gottverdammt, zeigt uns Fler nicht öfter, dass er so was drauf hat? Fein gereimt, nahegehender Text, astreiner Beat, und die Hook von Shizoe passt so gut wie Flers proklamierter Riesenpuller in einen Westberliner U-Bahn-Tunnel. Ein Album mit solchen Aspiranten auf die Top-10-Jahreswertung feiere ich ebenso wie Kollege Johannesberg seinerzeit Flers Beteiligung am deutschen Gangsta-Rap-Klassiker schlechthin.
Dieses Level erreicht Fler leider auf dem Release nicht mehr, aber ich muss ihm attestieren, dass er sich doch einige Mühe gibt. "100 Bars" ist wirklich nett, und auf Teil zwei disst er mit "Scheiß auf Billshido, ErsguterTokioHotel / ihr fallt jetzt reihenweise um, wie bei Domino Day" so treffend wie im ganzen Leidensweg mit Eko Fresh nicht. Bloß: Im einen Track zum wiederholten Male Bushido zu dissen, und sich im nächsten darüber zu beschweren, andere wollten sich durch Beef an seinem Namen hochziehen - das ist hochgradig albern, und daran ändern auch die ordentlichen Featureparts von Sido und Alpa Gun nichts.
Technisch spielt Fler zumindest auf einigen Tracks endlich wieder in einer Liga, in der ich ihn als Rapper ernst nehmen kann. Und auch das Tabu, andere Inhalte als grenzdebile Gangstaphantasien zu transportieren, bröckelt langsam, aber merklich. Wirklich schade, dass der Berliner anscheinend nach wie vor kein Interesse daran hat, auch als MC respektiert zu werden, denn das steht immer noch für Master of Ceremony, nicht für Middle-Class. Und damit ist Fler leider immer noch ein Stück davon entfernt, von mir das Prädikat "hörbar" zu ernten - den Titel "German Wunderkind" sowieso nicht, denn der gebührt je nach Sportart Dirk Nowitzki, Lukas Podolski, Shuko oder Prinz Porno.
Die herzzerreißende Verballerung großartiger Instrumentals (von Thai Jason, Paul NZA, Shuko, DJ Desue und Montana Beats) ist für Aggro mittlerweile so charakteristisch, dass man sie kaum noch erwähnen möchte. Homer Simpson verkaufte seine Seele einst für einen Donut - ich würde meine sofort für die Fähigkeit opfern, mein Sprachzentrum bei Bedarf anschalten zu können, damit diese Beatbomben nur noch die Motorik pulverisieren. Es tut mir ja auch fast ein bisschen leid, dass mir mein schwuler studentischer Hintergrund da immer wieder ein Bein stellt. Dennoch: Für meine Cents höre ich mir immerhin große Lyrik wie "Mutterficker, Playboy 51, hol deine Mami her / das ist der Voll-Voll-Voll-Voll-Assi-Flair" an, ohne dabei literweise Mageninhalt zu verlieren. Ich bitte, das zu respektieren.
79 Kommentare
Zitat (« Mit schlechten Rappern verfährt laut.de in etwa so wie die deutsche Justiz mit chronischen Kinderschändern: Wir verurteilen sie in schöner Regelmäßigkeit, aber sie erhalten auch immer wieder die Chance, sich zu bessern. »):
Also das ist wirklich einer der geschmacklosesten Kommentare den ich jemals in ner Rezension gelesen habe - ist der Redakteur eigentlich nur profilierungssüchtig wie manch anderer Redakteur auf dieser Seite oder wirklich so einen ekelhaften Humor hat - solche Vergleiche sind immer mehr als Unangebracht. Kritik an schlechten Gangster-Rappern hin oder her.
Haha, der Abe. Ich fand den gut!
welches vorgehen würdest du denn statt dessen empfehlen, grol?
Massiv ist mit Fler immer ziemlich stark. Bestes Beispiel ist da ja wohl "Clubbanger"...
"Wir deklassieren Rapper mit ner Beretta
Ich degradiere deutsche Rapper mit nem rostigen Messer
Ich trete ein auf deine schmierige Fresse
Guck wir erpressen die Presse, ich häng dich auf mit meiner Silberkette"
Naja mit Massiv werd ich mich nie anfreunden können, auch wenn die Beats auf Ein Mann ein Wort weit über jedem durchschnitt liegen, und ich ihn deshalb dauerhaft aufm Ipod pumpe.
Aber bei Berlin Zoo haut er wirklich rein.
Man für misch zählt
das Gericht nischt
ich kläre alles
Aussergerischtlisch