laut.de-Kritik
Ein gebrochenes Herz alleine macht noch keinen Hit.
Review von Mirco LeierIn der Popmusik gibt es kaum eine bessere Steilvorlage für einen Hit als ein gebrochenes Herz. Doch obwohl Breakup-Songs in das Repertoire nahezu jedes Popstars gehören, wühlen nur wenige Sänger*innnen so unnachgiebig in den Scherben ihrer Beziehungen wie die amerikanische Sängerin Cari Fletcher. Seit nunmehr sieben Jahren lässt uns die 28-Jährige an den Tiefpunkten ihres Liebeslebens teilhaben, und das in teils ausufernder Verletzlichkeit und gespickt mit (zu) intimen biographischen Details. Ihre letzte EP "The (S)ex Tapes" beispielsweise entstand während der Pandemie in Tandem mit ihrer Ex-Freundin, die nicht nur dem Songwriting beiwohnte: Sie filmte sie bei den zugehörigen Visuals auch dabei, wie sie über ihre gemeinsame verflossene Beziehung sang.
Im Grunde war es deshalb nur eine Frage der Zeit, bis einer dieser Songs genügend Drama generierte, um ihm zum viralen Erfolg zu verhelfen. Und dieses Schicksal hätte kaum einen besseren Song ereilen können, als der Leadsingle ihres Debüt-Albums. "Becky's So Hot" nennt aber nicht nur die neue Flamme ihrer Ex-Freundin beim Namen und plaudert munter aus dem Beziehungs-Nähkästchen. Der Song brilliert auch an der musikalischen Front nach allen Regeln der Breakup-Kunst. Der anthemische Chorus zählt zu den besten Pop-Momenten des Jahres, und das wunderbar bildliche Songwriting erklärt, wieso sich in der Vergangenheit auch eine Taylor Swift als Fan der Newcomerin outete.
An dieses virale Momentum soll das Debüt-Album anknüpfen. "Girl Of My Dreams" handelt erwartungsgemäß erneut von einer verflossenen Beziehung, dieselbe, die sie bereits auf der letzten EP anriss. Doch der Albumrahmen erlaubt der Sängerin aus New Jersey einen etwas fundierteren und reflektierten Blick. So durchlebt Cari in knapp 40 Minuten einen durchaus charmanten, wenn auch klischeebehafteten Wandel von Trauer über Wut bis hin zur Akzeptanz, an dessen Ende sie lernt, sich selbst zu lieben.
Lyrisch reißt sie dabei keine Bäume aus, das schnippische und spitze Storytelling von "Becky's So Hot" bleibt weitestgehend unerreicht. Zu oft greift Fletcher in die Klischee-Kiste oder wandelt dafür, dass sie eine queere Beziehung besingt, auf recht konservativen Pfaden. "Her Body Is Bible" beispielsweise tönt bisweilen so cheesy und vage, es könnte auch aus der Feder eines Shawn Mendes stammen, wohingegen sich das abschließende Empowerment-Statement "For Cari" in seiner Phrasenhaftigkeit stellenweise liest wie ein Wandtattoo. Ein Ausnahme bildet das intime "Birthday Girl", das den Zufall, dass sie und ihre Ex sich den gleichen Geburtstag teilen, in ungeschönten Worten einbettet: "The night we met we found out we were born on the same day / It was weird, but kinda cute / And now it's weird, but fuckin' sucks".
Wo man Fletcher als Texterin jedoch nicht an ihren Idolen (allen voran Taylor Swift) messen kann, so glänzt sie allerdings als Sängerin und Songwriterin auf ganzer Linie. Ihre Stimme setzt sie wunderbar versatil ein, auch wenn ihr voller Umfang gerade im Rahmen einer energetischen Hymne wie "Sting" oder "Serial Heartbreaker" deutlich besser zur Geltung kommt, als auf den reduzierten, oft etwas ereignisarmen Balladen. Das Talent für unglaublich eingängige Melodien, das Fletcher schon seit den ersten Tagen ihrer Karriere an den Tag legt, sorgt aber dafür, dass selbst die schwächeren vokalen und lyrischen Momente nicht sonderlich ins Gewicht fallen: Dafür sind sie meist schlichtweg zu catchy.
War der Inhalt von "Becky's So Hot" keineswegs repräsentativ für die gesamte LP, so lieferte der Song nur einen Vorgeschmack auf die schiere Dichte an Killer-Hooks, die "Girl Of My Dreams" bereit hält. Egal ob Singalong-Anthems wie "Serial Heartbreaker", Soft Rock-Anleihen auf "Conversations" oder der großartige Titeltrack: Das einzige, das Fletchers Debüt in diesem Moment von wahrhaftiger Pop-Perfektion abhält, ist die teils plastische Produktion, die sie schon die gesamte Karriere über begleitet. Die Instrumentals tönen wohlgemerkt nicht schlecht, ihnen fehlt aber das gewisse Etwas.
Auch wenn Caris Produzenten vermehrt versuchen, die Synth-lastige Monotonie durch Gitarren oder wabernde Bass-Melodien aufzubrechen, klingt das Album deshalb nicht zwingend aufregender oder wertiger. Es mangelt schlichtweg an einem distinkten Sound, der Fletchers Talent als Songwriterin matcht und das instrumentale Fundament von "Girl Of My Dreams" von dem abhebt, was jeden Tag in irgendwelchen Produzent*innen-Workshops das Licht der Welt erblickt.
Wäre Fletcher nicht schon seit sieben Jahren in der Industrie könnte man dies als Anlaufschwierigkeiten abtun. Doch so macht sich ein wenig Ernüchterung angesichts der musikalischen Zukunft der 28-Jährigen breit. Wenn sie die künstlerische Umsetzung ihrer Beziehungskrisen zukünftig nicht etwas ansprechender und individueller verpackt, dann könnte auch die Beziehung zu ihren Befürwortern, die mit diesem Album wahrlich kein schlechtes Argument in den Händen halten, ziemlich schnell zu kriseln beginnen.
2 Kommentare
Musik hab ich nicht angehört, aber das Cover ist natürlich klasse.
"Ein gebrochenes Herz alleine macht noch keinen Hit."
Logisch. Dazu braucht's nen abgeranzten Trapbeat, Laufzeit unter zweieinhalb Minuten und generellen Hass auf Musik.