laut.de-Kritik

A movie about people who do stuff that is NOT NORMAL ...

Review von

Endlich: über zehn Jahre nach Zappas Tod kommt der erste Konzertmitschnitt auf DVD in die Läden. Die Veröffentlichung geht angeblich auf ein Audio-Masterband des Kinofilms von '79 zurück, das kürzlich in Zappas Keller entdeckt und von seinem Sohn Dweezil digital remastert wurde. Das Ergebnis ist eine Offenbarung!

Meine erste Begegnung mit Frank Zappa datiert auf das Ende der Sechziger Jahre. An der Zimmertür eines älteren Nachbarkindes entdeckte ich das Poster, das Zappa mit herunter gelassenen Hosen auf der Toilette sitzend zeigt. Das Poster sagte zu mir: die Revolution ist nicht nur möglich. Sie hat sogar bereits gewonnen.

Es ist natürlich eine kleine, persönliche und selbstgenügsame Revolution, die Zappa predigt. Die einzige Regel lautet: du kannst dich wehren! Du musst nicht alle Erwartungen erfüllen! Oder, mit Zappas Worten: freak out! Der Meister selbst enttäuschte auf seinen Konzerten gern zunächst die Erwartungshaltungen mit sich scheinbar ewig hinziehenden Improvisationen und Klangexperimenten.

Der 1979 entstandene Kinofilm "Baby Snakes" zeigt eine Show im New Yorker Palladium und Frank Zappa auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Unterhaltungskünstler. Allerdings muss auch der Sofa-Gucker erst einmal eine gute Viertelstunde Vorspiel über sich ergehen lassen, bevor die DVD mit "The Poodle Lecture" langsam in das Konzert einsteigt. Die ersten vier Titel zeigen Szenen aus dem Backstage-Bereich und von den Proben sowie eine Knetfiguren-Animation von Bruce Bickford, die '79 einzigartig gewesen sein mag, im Zeitalter der computergenerierten Bilder aber doch recht altbacken wirkt. Immer wieder täuschen diese Eingangsszenen vor, nun werde der Gig endlich losgehen, um dann doch wieder die Geduld auf eine neue Probe zu stellen.

Doch spätestens "City Of Tiny Lites" macht alle Qualen vergessen, so intensiv wirft sich Drummer Terry Boizzo in diesen Song, der ihn auf sensationelle Weise featured. Die folgenden 140 Minuten zeigen nicht nur ein grandioses und beeindruckend gefilmtes Konzert, sie könnten Robbie Williams als Lehrmaterial dienen: wie werde ich der perfekte Entertainer.

"Baby Snakes" illustriert nämlich auf überzeugende Weise die Gebote von Zappas "Conceptual Continuity", als da wären "social commentary, audience participation, eclectic orchestration and spontaneous theatrics". Die gesellschaftskritischen Kommentare treffen in diesem Fall Zappas Label Warner Music auf eine sehr unfreundliche Weise. Daran nimmt die 'audience' teil, indem sie "fuck warner"-Schilder hochhält, auch darf das Publikum mitsingen, mittanzen und, wenn es weiblich ist, Zappa küssen. Anders als etwa bei einem Robbie Williams scheinen die 'spontanen Spiele' tatsächlich nicht inszeniert zu sein, immer hat man das Gefühl, die Show hätte auch ganz anders verlaufen können. Dass der Konzertfilm auch musikalisch herausragende Versionen von Krachern wie "Disco Boy", "Titties 'n' Beer" oder "Camarillo Brillo" zeigt, macht ihn für jeden Zappa-Fan ohnehin zum Pflichtkauf.

Im Jahr der Aufzeichnung geschah übrigens meine zweite einschneidende Begegnung mit diesem frühen Genius des Rocks. Um den Musikunterricht etwas aufzulockern, nahm der Elftklässler die Texte von Frank Zappa zum Referat-Thema. Der Versuch scheiterte in kläglichem Gestotter vor der Klasse und einem hochroten Kopf - das Vorbild war einfach noch zu groß. Heute muss ich, mittlerweile selbst ein alter Sack, nicht mehr in Bewunderung erstarren. Unter anderem missfällt mir die Arroganz der Macht, die in einigen wenigen Augenblicken aufscheint, wenn Zappa mit herrischen Gesten seine Kombo dirigiert. Doch wie sagt der Meister so schön und sich selbst entschuldigend? "'Baby Snakes' is a movie about people who do stuff that is NOT NORMAL".

Trackliste

  1. 1. Baby Snakes Rehearsal
  2. 2. This Is The Show They Never See
  3. 3. Baby Snakes
  4. 4. Bruce Bickford - Disco Outfreakage
  5. 5. The Poodle Lecture
  6. 6. City Of Tiny Lites - She Said
  7. 7. New York's Finest Crazy Persons
  8. 8. The Way The Air Smells ...
  9. 9. Pound - Bass & Kybds Solo
  10. 10. "In You" Rap - Dedication
  11. 11. Managua - Police Car - Drum Solo
  12. 12. Disco Boy
  13. 13. Give People Somewhere To Xscape Thru
  14. 14. King Kong - Roy's Halloween Gas Mask
  15. 15. Boby Brown Goes Down
  16. 16. Conehead/All You Need To Know
  17. 17. I'm So Cute - Entertainment All The Way
  18. 18. Titties 'N' Beer - Audience Participation - The Black Page #2 & The Dance Contest
  19. 19. Jones Crusher
  20. 20. Broken Hearts Are For Assholes
  21. 21. Punky's Whips
  22. 22. Thank You - Dinah-Moe Humm
  23. 23. Camarillo Brillo - Muffin Man
  24. 24. San Ber'dino
  25. 25. Black Napkins
  26. 26. New York's Finest #2 & Credits
  27. 27. Good Night

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2 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Diese Kritik zu "Baby Snakes" sagt über den Verfasser offenkundig mehr aus, als über den Film.
    Ich gebe hier folgendes zu bedenken: "Baby Snakes" war eine Kino-Produktion. Wie alles muss sie im Zeitkontext gesehen werden. Sie hatte nie zum Inhalt und die Aufgabe, ein verfilmtes Rock-Konzert zu sein. Das sagt ja - wie auch hervorgehoben - der Untertitel. Wer hier nur wartet, bis der Einstieg ins Konzert kommt, hat etwas Wesentliches nicht begriffen. Im Übrigen besteht er ja nicht nur aus e i n e m Konzert, ja nicht einmal nur aus K o n z e r t mitschnitten, sondern er ist - wie Zappa es immer geliebt hat - eine Kollage aus Film- und Tonmaterial ('Dadaismus' eben, einen Begriff, den Zappa der Sache gegeben hätte, wenn er ihn zum Zeitpunkt, als er bereits vergleichbare künstlerische Konzepte verwirklichte, gekannt hätte - wie er selbst zugibt). - Speziell zu den „clay animations“ von Bruce Bickford: Diese sind zum einen schon aus der Zeit Mitte der 70er und auch schon im TV-special von 1975 zu sehen (also nicht von 1979). Sie sind unter amateurhaften Low-budget-Bedingungen auf 16-mm-Film "gedreht", und schon von daher nicht mit den modernen Techniken und Produktionen zu vergleichen. Sie entstanden im Kopf nur eines Mannes und verlangen eine unendlich viel höhere Vorstellungskraft als Produktionen wie z.B. ANTZ, die mit dutzenden von Mitarbeitern in tausenden von Arbeitsstunden realisiert werden. Und diese Vorstellungskraft i s t phänomenal. Bruce Bickford ist ein Genius, und dies erkannte Zappa. Zu einem maßgeblichen Teil machen gerade diese Animationen den Film zum Kunstwerk. Wir können Zappa danken, dass er diesem Mann hier eine Plattform geschaffen hat.

    Natürlich sieht man auch Musiker musizieren, aber entscheidend ist doch, dass die exzentrischen Wesenszüge dieser Personen (wie Terry Bozzio in "Punky's Whips", Roy Estrada mit der Gasmaske oder in den merkwürdigen Dialogen in den Umkleideräumen) porträtiert werden, ganz dem Thema des Films entsprechend. Hier schließt sich Zappa ja nun auch nicht aus, man denke an den langen Abspann, in dem er wie eine Diva auf dem Weg bis zum Auto begleitet wird. Nun - frei nach "200 Motels" (1971): "Zappa makes them do it."

    Wie das allermeiste von Zappa Geschaffene - im Wesen ist auch "Baby Snakes" kein Film für die Massen, sondern etwas für Menschen "who have outgrown the ordinary" (zu dieser Bezeichnung siehe das "label" "Warning/Guarantee" z.B. auf "FZ meets the Mothers of Prevention", Mitte der 80er) - und das soll gar nicht arrogant klingen - es ist eine einfache Tatsache. Zappas Werk ist ein Kosmos in sich, und auch darin kann man sich verlaufen, auch "echte Insider", die sich zumindest dafür halten.

    Dies sind nur einige Gedanken zu dieser Kritik.

    Fazit: Grundsätzlich ist "Baby Snakes" zu empfehlen, aber der Film ist kein verfilmtes Rock-Konzert und mit Sicherheit keine gute Unterhaltung im landläufigen Sinne.

  • Vor 17 Jahren

    @LostInSpace («
    Wie das allermeiste von Zappa Geschaffene - im Wesen ist auch "Baby Snakes" kein Film für die Massen, sondern etwas für Menschen "who have outgrown the ordinary" (zu dieser Bezeichnung siehe das "label" "Warning/Guarantee" z.B. auf "FZ meets the Mothers of Prevention", Mitte der 80er) - und das soll gar nicht arrogant klingen - es ist eine einfache Tatsache. Zappas Werk ist ein Kosmos in sich, und auch darin kann man sich verlaufen, auch "echte Insider", die sich zumindest dafür halten. »):

    Der zitierte Text ist in erster Linie Teil der Auseinandersetzungen Zappas mit den Kräften in den USA, die sich für eine strengere Zensur einsetzen. Vor allem das von Tipper Gore 1985 gegründete Parents Music Resource Center.

    Dass man sich in Zappas Werk "verlaufen" kann, mag wohl sein, aber selbst Insidern wie Dir scheint ein wenig der Humor abhanden gekommen zu sein, der so charakeristisch für Zappas Musik ist.