laut.de-Kritik
Nach 40 Jahren zurück auf dem Olymp.
Review von Michael Schuh"Platz zwei, Platz zwei, PLATZ ZWEI! Unfassbar": Gary Numan sitzt im Auto und ist angeschnallt, nicht dass es ihn am Ende noch einmal heraus schleudert aus diesem Traum, den er im hohen Alter noch einmal leben darf. In einem Facebook-Video bedankt sich der 63-Jährige sichtlich gerührt bei seinen Fans, nachdem "Intruder" in der ersten Woche auf Platz 2 der UK-Charts eingestiegen ist. Nur die massiven Streamingerfolge der 18-jährigen Popsängerin Olivia Rodrigo verhinderten die Sensation. In Deutschland chartet Numan auf Platz 15 und damit 30 Plätze besser als das seine Karriere begründende Werk "The Pleasure Principle" von 1979.
Numan zu hören ist wieder angesagt, aber der Brite hat all die Jahre noch abgespeichert, in denen kein Hahn mehr nach dem seltsam geschminkten Typ der frühen Albumcover krähte. Für dieses Jahr war ein Auftritt in Londons Wembley Arena geplant, der nun verschoben wird. Es ist seine Rückkehr an den Ort, an dem er 1981 als 23-Jähriger theatralisch seinen Abschied vom Musikbusiness in einer sündhaft teuren Produktion feierte, nur um es sich im Folgejahr doch anders zu überlegen. Kein komplett schlauer Move. "40 Jahre lang wollte ich in Wembley spielen und wurde stattdessen von Plattenfirmen rausgeworfen. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich damit verbracht, auch nur entfernt in die Nähe dieses Ortes zu kommen, an dem ich mal gewesen bin, gab Numan kürzlich dankbar zu.
Die Musik, mit der er es nun geschafft hat, klingt nicht grundlegend anders als auf seinen vergangenen Alben. Menschen, die einzelne Gary-Numan-Songs der letzten 15 Jahre auswendig einem der letzten fünf Gary Numan-Alben zuordnen können, heißen entweder Gary Numan oder Ade Fenton. Seit 2006 ist der Londoner Techno-DJ und Produzent die bessere Hälfte des New-Wave-Veterans. Zwar hatte Numan 2013 nach drei gemeinsamen Alben das Gefühl, die Koop sei ausgereizt und am kreativen Höhepunkt angelangt, überlegte es sich aber auch hier wieder anders. Diesmal ein schlauer Move.
"Intruder" startet gewohnt unheilvoll und zeigt Numan in seiner bekannten Rolle als Schmerzensprediger ("You were lost and I cried for you / You were lost but I was betrayed"), gebettet auf Fentons atmosphärischen Soundscapes, in denen die Gitarren jetzt noch weniger dominant sind als früher. Der Produzent ist selbst beinharter Numan-Fan und denkt immer dessen Vergangenheit mit. So elegant wie auf "Intruder" vermählte er den elektronischen Minimalismus aus Numans glorreicher Vergangenheit nie mit der Gegenwart. Floor-Brecher wie "My Name Is Ruin" sind 2021 Fehlanzeige, stattdessen präsentiert Numan mit "I Am Screaming" für seine Verhältnisse fast schon radiotaugliches Material. An die arabischen Einschläge auf "Savage (Songs From A Broken World)" erinnert nur noch "The Gift", die Tribal-Drums sind komplett aus dem Soundbild verschwunden.
Analog zum Dream Team Trent Reznor und Atticus Ross ist Fenton mehr als Numans bloßer Befehlsempfänger. Über Jahre hinweg arbeitete er ein vielschichtiges Sound-Template heraus, Numans Musik klingt heute dreidimensionaler als Ende der 90er Jahre. Die Liebe des Duos zu Nine Inch Nails lässt sich nach wie vor nicht verbergen, äußert sich nun aber eher in ruhigen Passagen, gerne begleitet von Klaviersounds ("A Black Sun", "And It Breaks Me Again").
Textlich geht er den Weg des letzten Albums weiter, auf dem er eine dystopische Naturkatastrophenszenerie entwarf, die mitten in der Arbeit an "Intruder" dann Wirklichkeit wurde. Da war die Platte aber bereits zu 75 Prozent fertig geschrieben. Die gängigen Numan-Themen Hass, Gier und religiöse Besessenheit finden sich ebenfalls wieder.
Musikalisch ist "Intruder" auf eine seltsame Art modern in seiner Retrohaftigkeit, dabei aber nicht künstlich aufgesetzt, sondern in der Tiefe so gut ausbalanciert, dass es nicht langweilig wird und irrlichternde Großkaliber wie Depeche Mode noch älter aussehen lässt. Mit dem Titelsong "Intruder" und "Saints And Liars" sind Numan zwei neue Hymnen gelungen, die live massiv einschlagen dürften.
Seine Stimme bricht nach wie vor an den unmöglichsten Stellen um, klingt dabei aber altersloser denn je, was ihn von seinem erklärten Idol David Bowie unterscheidet ("Blackstar"). Das Songwriting auf "Intruder" markiert allerdings einen krassen Kontrast zu Numans nach Fetish-Event und Mittelalter-Basar duftenden Garderobe, die leider rüberkommt wie die Gothic-Rock-Version von Kik. Hier bestünde im Hinblick auf sein Live-Comeback noch Optimierungspotenzial.
1 Kommentar
Gary ist kult,keine Frage.Aber fehlt mir bei diesem Album etwas die Abwechslung.Alles komnt mir fast zu düster daher.Trotzdem ein gutes Album,aber eben auch kein Highlight. 4Sterne