laut.de-Kritik
Das Verbindungsglied zwischen Materialismus und Übersinnlichem.
Review von Erich RenzEr war voller Anmut, Humor und hatte immer einen bitteren Schuss Zynismus bereit: George Harrison, stille Ikone und Verbindungsglied zwischen irdischem Materialismus und dem Übersinnlichen. Martin Scorsese verantwortet diese Hagiographie über den unterschätzten Beatle, nach dem er seinem popmusikaffinen Hang bereits in den Dokumentationen und Konzertfilmen "The Band (The Last Waltz)", "No Direction Home – Bob Dylan" und "Shine A Light" nachgeben durfte.
Als Kind schämte er sich für seine Körpergröße, trug die Haare ähnlich einem Turban und wollte ein Teddy Boy mit Anzugjacket und engen Hosen werden. Bei den Beatles entpuppte er sich als Ruhepol unter dem sich verschiebenden Kräfteverhältnis Lennon – McCartney. Bei einem Rückblick stuft Ringo Starr Harrison zwischen einem "sanften Lamm" und einem "zornigen Wüterich" ein.
In dreieinhalb Stunden schwenkt "Living In The Material World" behände von Liverpool nach Hamburg, von der Abbey Road bis nach Indien und verlässt sich zu einem gewissen Grad auf das Filmmaterial der "Anthology" oder die anderen großspurigen Berichte über die Beatles. Doch genau an der richtigen Stelle biegt man dann ab, um zu zeigen, weshalb George Harrison stetig den inneren Kampf mit sich ausfocht. Als Jüngster litt er unter Lennons Vorherrschaft, der wohl sein Gitarrenspiel leiden mochte, aber nicht den Umstand, dafür ein 'Küken' in der Band zu haben.
Im "Weißen Album" konnte er endlich mehr Eigenkompositionen als sonst unterbringen. Sein Mitspracherecht war dennoch begrenzt, und er wusste das. Harrison zeigte sich unsicher, wie viele Songs er überhaupt bei ihnen herausbringen und wie viel er noch für die Beatles tun konnte.
Über seinen ersten Beitrag "Don't Bother Me" zum fast 200 Lieder-starken Katalog urteilt er knapp: "Kein guter Song, aber ich wusste, dass ich mal etwas gutes schreiben würde." Als das Kapitel "Liddypool" mit Querelen geschlossen wurde, trat er die Reise nach Innen an und suchte dort die völlige Leere. Seine erste Frau Pattie Boyd antwortet, nachdem sie gefragt wird, welche irdischen Dinge am meisten an George zehrten: "Die anderen drei [Beatles] und das Apple Imperium [das hauseigene Unternehmen]."
Ihn schien ein Nimbus zu umgeben, man "sonnte sich im Glanz seiner ungeheuren Kreativität" (Eric Clapton). Harrison wollte sich abzapfen vom weltlichen Einheitsbrei und experimentierte mit Glaubensfragen, heischte nach dem perfekten Ton und war, glaubt man seiner Witwe Olivia, ein Womanizer.
Er kaufte sich die teuerste Kinokarte der Welt, in dem für die Produktion von "Das Leben des Brian" eine Hypothek von vier Millionen Pfund auf sein Haus nahm, um seinem Freund Eric Idle aushelfen zu können. Der Rennsport zog ihn wegen der extremen Anspannung und geschärften Wahrnehmung im Millisekundenbereich an.
Seine profunde Liebe war schier grenzenlos: Als Gärtner gestaltete er Friar Park, wo er lebte. Mit Olivia teilte er seine spirituelle Reiselust. Doch als George von der ersten Krebsdiagnose erfuhr und das Attentat zum Jahrtausendwechsel überlebte, erkannte er, dass sein Dasein allein Sohn Dhani gelten konnte. "Als George starb, war Licht im Raum", beendet seine Frau das rührende und sehenswürdige Biopic.
1 Kommentar
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Harrison ist ein kleines Juwel des Songwritings gewesen. So still, bedächtig und zurückhaltend er immer war - seine Stücke schienen immer als ganz besondere Highlights der späteren Beatles-Alben durch. Hätte McCartney auf jedem mal zwei seiner Songs weggelassen und dafür Harrison und/oder Lennon überlassen, würden vermutlich alle Götter und Heiligen der Welt erscheinen, sobald man den "Play"-Knopf drückt.