laut.de-Kritik

Das 'German Wunderkind' flüchtet in die Depression.

Review von

Keiner, der Anfang 2008 nicht von ihm sprach, keiner, der lange widerstand: Konstantin Groppers Debüt schwappte vor zwei Jahren fast tsunamiartig über Deutschland und andere popinformierte Teile Europas. Die MySpace-Übersingle "If This Hat Is Missing I Have Gone Hunting" hatte Monate zuvor die nötige Sogwirkung aufgebaut, Dauerrotation beim österreichischen Alternativsender FM4 sowie Salti der Begeisterung in Magazinen wie Feuilletons fütterten die große Welle zusätzlich: Konstantin Gropper wurde in Rekordzeit zum Lieblingsthema.

Nach langer Durststrecke war da ein Oberschwabe, dessen Kunst internationalen Musikmarktgesetzen standhalten konnte; der für renommierte englische Festivals gebucht wurde; der aus Folk-Eklektizismus und eigenem Songwriting-Vermögen schillernden, facettenreichen und ergreifenden Indiepop schuf. In der Tat ließ sich am Beispiel dieser Quasi-Ein-Mann-Band der oft erschreckend mediokere Anspruch der innerdeutschen Konkurrenz ablesen. Dass Groppers Krönung zum neuen Pop-Messias dabei etwas voreilig war – geschenkt.

Für den Nachfolger, versprach er damals, wolle er sich nicht wieder vier Jahre Zeit nehmen. Er freue sich auf eine kompakte Produktion. Dass am Ende gerade mal zwei Monate fürs Erdenken, Konzipieren, Komponieren und Einspielen übrigbleiben würden, hatte Herr Get Well Soon dann aber wohl nicht erwartet. Es ist ein Werk geworden, das das Bemühen spiegelt, im Hype-Trara nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ein Konzeptalbum über den Stoizismus, wie er selber auf Nachfrage erklärt.

Allem Gleichmut zum Trotz fährt Gropper seinen Zollstock dafür erneut komplett in Überlänge aus. Von Georg Büchner, Peter Sloterdijk, Seneca, Werner Herzog, Homer und Sartre handeln die Stücke angeblich unter anderem. Ist die Auflistung weltrangiger Philosophen und Künstler auch Selbstschutz? Natürlich spüre er den Erwartungsdruck, räumt Gropper ein. Zugegebenermaßen habe er dem Zweitling "längere Zeit etwas ratlos" gegenübergestanden.

Den Ausweg aus der kreativen Verstopfung erfand er sich im Rückgriff auf die neuen Produktionsmöglichkeiten, die ihm sein Ruhm eingebracht hat: richtiges Studio, richtiges Streicherquartett, echte Bläser, omnipräsente Choräle und Besuche aus der Familie der Stabspiele. Dieser symphonische Mantel, den er im Rückspiegel seines Debüts recht bald vermisste (eine "Anhäufung von Unzulänglichkeiten", so das German Wunderkind heute) legt sich zwar sanft über die Songs. Wirklich mitreißen können die Arrangements dennoch nicht, weil sie stets zu getragen klingen. Ein aggressiver Ausbruch wie auf genannter Durchbruchs-Single wird hie und da ankokettiert ("Angry Young Man"), aber nie durchgeführt.

Akustisch setzen Get Well Soon also auf die Karte Orchestralität, enthalten uns allerdings über weite Strecken das erwartete Kraftmoment vor. Diese Zurückgenommenheit erweist sich als passend und tragfähig für Groppers stoizistisches Konzept; sie macht das Album jedoch in seiner schluffigen Langsamkeit gleichzeitig zu einem völlig hermetischen Trauerfall. "Vexations" verweigert sich jeder Offensichtlichkeit und zwingt zur erschöpfenden Dauerrotation, möchte man die Popchiffren wenigstens teilweise enttarnen.

Es ist Groppers Idee von "Kapitulation", eine (Selbst-)Aufgabe, aus der im Gegensatz zum Tocotronischen Befreiungsschlag keinerlei Kraft geschöpft werden kann. Hier ist eigentlich nur Depression. Und das strengt an, langweilt sogar bisweilen. Schuld daran ist nicht zuletzt die gedehnte Spieldauer. "Wie schon der Bandname sagt, soll das Ganze schon etwas Erbauendes haben", sagte der Bandkopf im laut.de-Interview 2008. Was gilt 2010?

Das Licht am Tunnelende, das auf dem Debüt sporadisch, dafür nachdrücklich und in überschwänglichem Indiepop durchschien, ist hier erloschen. Die weihnachtliche Sentimentalität weicht einer düsteren Winterkälte, die über 63 Minuten eher ausgesessen denn genossen werden will. Lähmende, übers Maß elegische und trostlose Todesfallmusik. Wundheilung und Popmomentum gehen definitiv anders. Gropper sollte es eigentlich besser wissen.

Trackliste

  1. 1. Nausea
  2. 2. Seneca's Silence
  3. 3. We Are Free
  4. 4. Red Nose Day
  5. 5. 5 Steps / 7 Swords
  6. 6. We Are Still ...
  7. 7. A Voice In The Louvre
  8. 8. Werner Herzog Gets Shot
  9. 9. That Love
  10. 10. Aureate!
  11. 11. We Are Ghosts
  12. 12. A Burial At Sea
  13. 13. Angry Young Man
  14. 14. We Are The Roman Empire

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Konstantin Gropper ist auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Insbesondere sein Herkunftsort Biberach scheint dem 82er-Jahrgang ungenehm bis peinlich.

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