laut.de-Kritik
29 Minuten konzentrierte Essenz aus Alt und Neu.
Review von Alexander EngelenNatürlich schreit ein Titel wie "I'm New Here" bei einem Künstler, der seit vier Dekaden Musikgeschichte schreibt, laut nach Ironie. Dennoch entbehrt die Ansage nicht jeglicher Grundlage. Für einen Großteil der aktuellen Gefolgschaft des Hip Hop-Genres, für das Gil Scott-Heron vor 40 Jahren stilistischer Wegbereiter war, existiert der 60-Jährige höchstwahrscheinlich nicht.
In einer musikalischen Realität, in der kontemporäre Soul-Musik aus der AutoTuneschen Blechtrommel kommt und der sozial-emanzipatorische Wert der Kunstform oft lediglich in Karat der Goldketten gemessen wird, bewegt sich der sogenannte Godfather of Rap tatsächlich mit fast jungfräulichen Schritten. Demnach ist die Titelwahl also, wie so vieles auf "I'm New Here", nur konsequent.
Dem Briten Richard Russell haben alteingesessene Scott-Heron Fans dieses erste Album nach 13 Jahren Studio-Abstinenz zu verdanken. Der Chef von XL Recordings, dem - mit dem Erfolg von M.I.A., Dizzee Rascal, The Prodigy, White Stripes und vielen mehr - einflussreichsten Indie-Label des letzten Jahrzehnts, reiste mit dem sehnlichen Wunsch, einen neuen Longplayer für den Soul-Poeten produzieren zu dürfen, nach Amerika und unterbreitete Scott-Heron seine Idee in ungewöhnlicher Umgebung.
Auf Rykers Island, einem Gefängnis bei New York, besuchte der Label-Betreiber und Produzent den Sänger und überzeugte ihn von seiner Idee, die revolutionäre Stimme des aufmüpfigen Black Americas der Siebziger in ein neues Gewand zu kleiden. Scott-Heron willigte ein. In zwei Jahren gemeinsamer Arbeit entstanden 29 Minuten konzentrierte Essenz aus Alt und Neu.
Produzent Russell, selbst ehemaliger Chartskandidat mit seinem Rave-Projekt Kicks Like A Mule, bettet Scott-Herons unter die Haut gehendes Vibrato auf atmosphärische Sound-Teppiche, die sich dezidiert eher an zeitgenössischen Dubstep-Bässen orientieren, als an vergangenen Formeln der afrikanischen Musik-Diaspora. Scott-Herons Organ, eine dieser Stimmen, der man mit jedem Ton anhört, dass sie gelebt hat, bohrt sich mit tiefsinniger Lyrik tief in Gehörgang und Seele. Richard Russel programmiert zeitgemäße Mood Music, Gil Scott-Heron spielt den modernen Blues.
Wenn sich auf "Me And The Devil" Synthie-Wellen quantifizieren, von einem treibenden Beat abgewatscht werden und der Protagonist den urbanen Satan beschwört, dann steht auch ein in die Jahre gekommener Chronist der Post-Bürgerrechtsbewegung mit beiden Beinen im Hier und Jetzt der Musikhistorie.
Auf gezupfte Akustikgitarre serviert der Sänger per eindringlichem Smog-Cover die Losung: "I did not become someone different that I did not want to be. But I'm new here." Im Wechselspiel zwischen Alt und Neu bleibt es nur konsequent, dass ein Sample von Kanye Wests "Flashing Lights" das Album einläutet und zum Abschluss die Zuhörer wieder entlässt.
In gewohnter Manier pendelt Scott-Heron zwischen Spoken Words-Songs und harmonischen Soul-Gesängen. Gil Scott-Heron ist genauso "The Revolution Will Not Be Televised" wie "Winter In America". Er war immer Poet und Barde zugleich. Und er bleibt es. "Running" ist ein eindrückliches Stück Sprechgesang, "I'll Take Care Of You" ein gefühlvoller Lovesong Scott-Heronscher Kantigkeit.
Über eine vermeintliche Abwesenheit Gil Scott-Herons im Laufe der letzten 13 Jahre konnten sich nur solche wundern, die den Soul-Barden immer nur kurzsichtig als Album-Künstler sahen. Doch Gil Scott-Heron war immer ein Live-Musiker in der Tradition der alten Blues- und Jazz-Musikanten, die stets mehr Zeit auf der Bühne als im Studio verbrachten.
Trotz Gefängnisaufenthalten und eines offensichtlichen Unvermögens, sich selbst eine Abhängigkeit von diversen Rauschmitteln einzugestehen, war der Godfather of Rap also nie weg. Auch wenn er selten richtig da war. Mit "I'm New Here" zeigt er eindrücklich, dass seine Fähigkeit, großartige Studiomusik zu produzieren, nicht verloren gegangen ist.
7 Kommentare
also der song "me and the devil" ist wirklich absolute weltklasse. erinnert mich teilweise an angel von massive attack, sobald dieser eine elektronische effekt auftritt.
http://www.youtube.com/watch?v=OET8SVAGELA
endlich, geil!
hoffentlich kann ich ihn nochmal live sehen....
ein beeindruckender Künstler
Your Soul and mine, 2:00 Mins, aber gaaanz groß!
Bin bisher einmal durch.. Macht einen extrem guten Eindruck
Ich kannte die Musik von Gil Scott-Heron bis vor kurzem nicht. Da ich über Amazon dauernd das CD Cover von "I'm New Here" gesehen habe, habe ich doch mal reingehört und wie bereits erwähnt klingt (nicht nur) "Me and the devil" sehr nach Massive Attack. Das kann ich als MA Fan bestätigen und das sagte auch schon eine Musikzeitschift (ich glaube es war die Musikexpress). Aber davon abgesehen finde ich das (zu kurze) Album durch und durch gelungen. Ich höre bis auf etwas Trip Hop nichts Hip Hop Lastiges und kam so auch nie mit dem "Vorgänger" Spoken Word in Berührung, aber dieses Album hat mich echt überzeugt. Die Texte sind klasse und die Sounds ebenfalls. Es ist echt schade, dass dieses Album mit rund 30 Minuten so kurz gehalten ist.