laut.de-Kritik
Der nächste Bedroom-Star greift nach dem Pop.
Review von Yannik GölzLange war Girl In Red das beste schlecht gehütete offene Geheimnis des sapphischen Internets. Die zwei ersten EPs der norwegischen Sängerin bieten eine Bedroom-Pop-Phantasia, nahbar, real und trotzdem irgendwie ungreifbar und mystisch. Marie Ulven hat sich im Dunst der Spotify-Empfehlungs-Hypekreise die eine Sache aufgebaut, nach der in Indie-Kreisen alle suchen: Authentizität. Aber bei zehn Millionen monatlichen Hörern wird es zunehmend schwerer, vom Lo-fi-Geheimtipp zu sprechen. Irgendwann muss das Debütalbum kommen und die Dimensionen größer spannen. "If I Could Make It Go Quiet" ist dieser Moment für Girl In Red, der alle Pop-Ambitionen explizit macht. Leider fordert der Preis von etwas größeren Refrains und saubereren Verses, dass ihre vorige Mystique fast gänzlich verschwindet.
Es gibt immer noch die musikalischen Momente, in denen Indie-Gesäusel gegen krustig aufgenommene Gitarren prasselt, die an die Magie ihrer vorigen Musik erinnern wollen. "Guckt mal", möchten Songs wie "Hornylovesickmess" oder "I'll Call You Mine" wohl sagen, "das bin immer noch plain old ich, mit meiner Gitarre im Schlafzimmer!". Aber das ist offensichtlich nicht mehr der Fall. Vor allem, wenn die eigentlich besten Momente der Platte aus Songs wie dem Opener "Serotonin" darstellen, überlebensgroße Pop-Songs mit Trap-Breakdowns und Ko-Produktion von Billie Eilish-Bruder Finneas. Da passieren typische Girl In Red-Themen, aber auf ein anderes Produktions-Level gehoben, melodisch und griffig, großer Refrain, klarer Mix.
Offensichtlich sehnt Girl In Red sich nach dieser größeren Stufe, nach einem Album, wie es vielleicht auch eine Billie Eilish oder eine Lorde gemacht hätten. Und immer wieder finden sich diese Momente, in denen sie Sound-mäßig mehr wagt, zum Beispiel mit den überlebensgroßen Verse-Melodien auf "Body And Mind" oder dem Pop-Punk-Arena-Chorus von "Stupid Bitch". Das sind die Momente, in denen Girl In Red nach vorne tritt, alle Selbst-Verkleinerung über Bord wirft und sagt "Ja, lasst mich doch ein Popstar sein, Mensch verdammt".
Auf "If I Could Make It Go Quiet" ist sie aber kein fantastischer Popstar. Wann immer sie sich aus der Schale wagt, fühlt sie sich an, als wolle sie sich sofort wieder darin verkriechen. Ein Rezensent der Zeit schrieb über die momentane Ära des Bedroom-Pops, dass es das Schlafzimmer auch auf Arena-Größe zum Safe Space erheben könne. Aber genau das kann Girl In Red nicht all zu überzeugend. Wenn sie sich ohne Filter und ohne Indirektheit nach außen richtet, fühlt sich das, was sie zu sagen hat, plötzlich banal an. Songs wie "Stupid Bitch" sind ... wahrlich nicht so deep. Es geht um Liebessehnsucht, um Frust mit Beziehungen, es ist ein jovialer, fast ein bisschen peinlicher Lovesong, Teenage-Melodrama, das sich selbst für mehr als das hält. Dazu durchkreuzt aufgesetztes Fluchen Songs, die sonst ihre angestrebte Intensität nicht erreichen würden. Auch ihre Abhandlungen über geistige Gesundheit mögen authentisch und nachvollziehbar sein, aber sagen im Grunde weder etwas Neues, noch mischen sie dem Ganzen eine besondere Poesie unter.
Es fühlt sich eher an, als würde Ulven im Spotlight Dinge sagen, die man eben von ihr zu sagen erwartet. Depression-Awareness-Tweets in Songform, ohne Bezug zu persönlicher Erfahrung oder Songwriter-Detail. Da fühlt es sich sofort ein bisschen wohliger an, wenn Ulven sich wieder in die Reverb-Höhle verzieht. Nicht nur steht ihr der Lo-Fi-Sound stimmlich besser, auch ihre Texte werden stimmiger, wenn sie nicht mehr der fokale Punkt ihrer Musik sein müssen. "Hue" oder "Midnight Love" klingen ätherisch und sinnlich, auch ihre Texte fühlen sich im Abstrakten wohler.
Vielleicht wäre "If I Could Make It Go Quiet" ein besseres Album, wäre dieses eine Pop-Experiment mit "Serotonin" nicht so sehr geglückt. Alle darauf folgenden Anleihen, in Pop-Gefilde vorzustoßen, haben weder musikalisch noch charakterlich den selben Nachdruck. Girl In Red hat aktuell nicht das Gespür, ihre Indie-Qualitäten genauso kompromisslos in Pop-Terrain zu überführen wie eine Clairo oder eine Phoebe Bridgers. Die Vorbilder dieser Platte liegen so nah, wie sie dem Endresultat fern liegen. Die Platte fühlt sich wie eine Findungsphase an, die noch nicht richtig entschieden hat, wohin die Talente seiner Protagonistin am Ende kanalisiert werden sollen.
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