laut.de-Kritik

Das Heilungsritual für zeitgemäßen Metal.

Review von

"Gib weg, was du nicht benötigst, denn eines Tages müssen wir uns von allem trennen und wenn wir es nicht tun, werden wir einfach nur zu Geistern, die zwischen den Dimensionen gefangen sind", sagt Joe Duplantier über einen Song des neuen Gojira-Albums. Zwar formuliert er hier die konsumkritische Botschaft der zugehörigen Lyrics. Das Zitat passt jedoch ebenso hervorragend zur Musik. Weniger war bei Gojira schon immer mehr. Und so beeindruckt die Band auch auf ihrem siebten Album damit, wie sie aus relativ wenigen, (vermeintlich) simplen Mitteln etwas Monumentales schafft.

Schnörkellos hauen die Franzosen uns im Opener "Born For One Thing" die Riffs um die Ohren – die Trademarks auf einen erbarmungslosen Vierminüter komprimiert, in dem es nur eine Richtung gibt: nach vorn. Die Zahnrädchen greifen einmal mehr so perfekt ineinander, wie es derzeit vergleichbar sonst nur Meshuggah und Tool hinbekommen. Durch die präzisen Wechsel zwischen ratternden Palm-Mute-Attacken und kreischenden Akkorden entsteht ein permanentes Push-and-release-Feeling. Die Anspannung gipfelt, wenn im Herz des Songs die Gitarren deutlich in den Hintergrund treten und man plötzlich direkt in den Schlund von Jean Michel Labadies monströser Bassline blickt.

Gojira haben kein bisschen ihrer Kraft eingebüßt, man fühlt sich sofort wieder wohl im Kosmos der fliegenden Wale, auch wenn seit "Magma" nun schon fünf Jahre vergangen sind. Mario Duplantier plättet wieder mit zugleich extrem songdienlichem wie kreativem Drumming (ich sage euch: der Typ zaubert irgendwann noch das "In The Air Tonight" des Metals), Bruder Joes Kommando-Schnauben dröhnt wie Schlachtrufe in Zack Snyder-Filmen, die Texte pendeln zwischen Umwelt- und Sozialaktivismus. All das wurde anlässlich vorangegangener Alben schon zur Genüge besprochen – doch was ist neu? Obwohl die Band-CI durchweg intakt bleibt, tatsächlich eine ganze Menge.

Schon auf "Magma" brachen Gojira die Kruste ihrer Identität auf und ließen bis dato verdeckte Quellen sprudeln. Das äußerte sich in einem folkigen Akustik-Jam sowie progrockigen, leicht psychedelischen Nuancen. Beide Tendenzen verfolgt die Band auf "Fortitude" weiter. Im Zentrum des Albums kumulieren sie zum vorläufigen Höhepunkt. Es herrscht Lagerfeueratmosphäre im Titeltrack. Alle sonst so präsente Spannung scheint von den Musikern abgefallen, locker klimpern und klopfen sie vor sich hin, bewusst geht auch mal ein Schlag neben den Takt. Zwei Minuten Verschnaufpause zu Beginn der zweiten Albumhälfte. Dann ziehen Gojira das eben lose etablierte Motiv straff zusammen und vermählen es mit ihrer Soundwelt. Joe Duplantier bezeichnet "The Chant" als "Heilungsritual" und dominiert es mit einer hypnotischen, wortlosen Gesangsmelodie. Die Gitarren schieben, überraschen mit bluesigen Passagen. Mario trommelt das Stück stoisch im Low-Tempo voran, akzentuiert mit einem Schellenkranz den Groove und bewahrt durch geschickten Einsatz eines Shakers und on point gesetzten Fills vor der Monotonie.

"The Chant" sticht in der Diskographie der Band deutlich heraus. Statt dabei den Bezug zu ihr zu verlieren, vertieft er sie aber eher noch. Das gelingt auch deshalb so gut, weil Gojira an anderen Stellen des Albums Bindeglieder platzieren. Maultrommel und rituelle Samples weisen im stark von Sepultura beeinflussten "Amazonia" den Weg in die traditionelle Richtung. Mario experimentiert in "Another World" mit Percussion, durch "New Found" schallen Chor und "Roots"-Trommeln. Später wiederholt "The Trails" mit Klargesang und Rockfeel die insgesamt sanftere Gangart von "The Chant". Klassischen Gojira-Vibes begegnen wir bei "Into The Storm" mit vertracktem "Bleed"-Pattern und den tiefen Growls von "Sphinx". Ganz zu schweigen von "Grind": Der Closer schließt mit zornigen Pickslides und Schlagzeuggewitter den Albumkreis zu "Born For One Thing" mit einem bandtypischen Brecher, diesmal der aggressiveren Sorte.

Aufgenommen hat die Band übrigens in Joe Duplantiers Silver Cord Studio in Queens. Der Frontmann zeichnet zusammen mit Mischer Andy Wallace (Slayer, Rage Against The Machine) für den imposanten Sound verantwortlich, in dem bei aller Wucht auch die spirituellen, fast schon esoterischen Noten des Albums hervorragend zur Geltung kommen. Gojira vereinen auf "Fortitude" brutale Härte, technischen Anspruch und eine komplexe Gefühlswelt mit Groove und Zugänglichkeit. Wieder rücken sie ein Stück näher an die 5/5-Punkte-Wertung. So bleibt nur noch eins zu sagen:

"Wake up to the sound of doom / Let this chant ring in your bones and lift you up!"

Trackliste

  1. 1. Born For One Thing
  2. 2. Amazonia
  3. 3. Another World
  4. 4. Hold On
  5. 5. New Found
  6. 6. Fortitude
  7. 7. The Chant
  8. 8. Sphinx
  9. 9. Into The Storm
  10. 10. The Trails
  11. 11. Grind

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9 Kommentare mit 25 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Metal-Puristen mit niedrigem Anspruch werden wieder monieren, dass es nicht hart genug sei, so als ob das der einzig valide Indikator für ein gutes Album wäre oder sein dürfe, aber "Fortitude" ist vom Artwork über den Sound bis hin zu den Songs, auf die es letztlich am meisten ankommt, ein Kunstwerk. Hat mich sofort gepackt.

    • Vor 3 Jahren

      Dem ist nichts hinzuzufügen!

    • Vor 3 Jahren

      Yep. Eins der Highlights des Jahres bisher für mich.

    • Vor 3 Jahren

      "Metal-Puristen mit niedrigem Anspruch werden wieder monieren, dass es nicht hart genug sei"

      Hier wohl kaum,sind ja (hoffentlich) alle über 15.

    • Vor 3 Jahren

      Antielitärer Elitismus, wundervoll und immer berechenbar as fuck. Unter jedem Release von solchen Bands wird über Purismus rumgeheult, als wäre das in den letzten 20 Jahren wirklich von Relevanz gewesen. Leute wie du halten das am Leben, niemand sonst. Lebst nicht ohne Grund mietfrei in deinem Schädel.

    • Vor 3 Jahren

      Mir ist dieses Schubladendenken nicht hart genug ... da geht mehr!

    • Vor 3 Jahren

      Berechenbarer "Konter". Ironischerweise habe ich, obwohl das Album noch nicht mal einen ganzen Tag veröffentlicht ist, genau diesen Vorwurf der fehlenden Härte bereits einige Male gelesen und gehört. Aber ja, findet nur in meinem Kopf statt.

    • Vor 3 Jahren

      Weil jemand fehlende Härte moniert ist er also einfach gestrickt...unnötiger Einwurf. Gojira sind nicht Carcass oder Napalm Death...alles eine Frage der Erwartung, des persönlichen Geschmacks und anscheinend auch der Toleranz Anderer ;)

    • Vor 3 Jahren

      Ach, Toleranz - ein großes Wort. Mir fiel eben schon desöfteren auf, dass es, überspitzt formuliert, für manch einen Metal-Fan gefühlt nur zwei Bewertungsmöglichkeiten zu geben scheint:

      1) Hart
      2) Zu soft, also automatisch kacke (und vielleicht sogar kommerziell)

      Zumindest kam genau dieser Tenor beim Vorgänger "Magma" immer wieder durch. Dass man dann als "einfach gestrickt" bezeichnet wird, liegt nahe. Mir geht es nicht darum, irgendwen zu kategorisieren, ich drücke damit lediglich aus, dass ich es schade finde, dass vielen guten Alben offenbar keine richtige Chance gegeben wird, weil man damit kein Haus einreißen könnte.

    • Vor 3 Jahren

      Wichtig ist nicht was andere über Musik denken, sondern ob ich etwas damit anfangen kann. Wir sind zwar immer im Austausch über unseren Musikkonsum aber am Ende zählt was selber gefällt. Hier z.B. auf laut.de herrscht der ewige Krieg der Musikwelten ^^...mehr Entertainment als Inspiration

    • Vor 3 Jahren

      @puksos Mietfrei im Kopf leben. Welch eine wunderschöne Beleidigung.

    • Vor 3 Jahren

      Übrigens, ja ist etwas softer. Aber auf welchem Niveau bewegen wir uns hier?
      Damals als Konzerte noch Woke waren (Anno 2020) kann ich mich erinnern, dass mir Gojirra bildlich gesprochen die Gedärme mit einer 10 Tonnen Dampfwalze aus dem Körper geprügelt hat.
      Intensive Erfahrung für einen der etliche post hardcore Konzerte hinter sich hat.

  • Vor 3 Jahren

    Ist das Emperor of Sand-Zitat im Coverartwork Zufall?

    • Vor 3 Jahren

      Oha, ist tatsächlich sehr ähnlich. Glaube aber doch eher an Zufall.

      Freue mich auf das Album. Die Duplantiers sind kreative Typen.

    • Vor 3 Jahren

      Nicht nur das Artwork ist ähnlich. Wenn man sich die Weiterentwicklung der Band ansieht, dann sehe ich hier auch Parallelen. Schon alleine der Chorus auf dem Opener klingt wie bei Mastodons "Ancient Kingdom". Auch wenn man sieht, wie sich beide Bands viele Jahre im Underground abgemüht haben, sich aber kontinuierlich musikalisch weiterentwickelt haben und dann den großen Durchbruch geschafft haben, ist kein Zufall, sondern Ergebnis harter Arbeit ohne den Fokus auf die eigenen Stärken zu verlieren. Ich muss dieser Band vollen Respekt zollen.

  • Vor 3 Jahren

    Ich find's besser als Magma. Schlecht können die eh nicht und live muss man sie gesehen haben. Ich geh hoffentlich bald noch ein drittes Mal hin.