laut.de-Kritik
Die Bären spielen mit offenen Karten.
Review von Kim LangeEin Grizzly braucht seinen Auslauf, seine Freiheit und Zeit, Neues zu entdecken. Das haben sich die vier Jungs aus Brooklyn zu Herzen genommen. Schließlich legen sie regelmäßig kreative Schaffenspausen ein. Nach dem Erfolg von "Veckatimest" 2009 tourten sie ausgiebig durch die Welt, besuchten Freunde und widmeten sich eigenen kleinen Projekten, wie zum Beispiel Bassist Chris Taylor seiner Band CANT und dem Label Terrible Records.
Im Herbst 2011 hatte jeder einen Koffer voller neuer Ideen und Erfahrungen dabei, die er in das Album mit einbeziehen wollte. "Wir alle hatten unterschiedliche Sachen erlebt und standen danach an vollkommen verschiedenen Punkten. So haben wir einen Großteil unserer Zeit in Marfa dafür genutzt, um uns auszutauschen, Sachen auszuprobieren und zu sehen, was bei den anderen so geht. Wir alle mussten einander wieder neu begegnen."
Diese Begegnungen führten zu einem einzigartigen Indie-Folk-Rock-Sound, der sich teilweise sehr experimentell äußert. Widerspenstige Hymnen mit einer Länge von bis zu sieben Minuten, eine opulente Instrumentierung und ständiger Wechsel von Melodien und Tempi: dieses Album ist mit musikalischer Virtuosität reichlich bestückt.
Dennoch gleicht kein Song dem anderen. Liegt vielleicht daran, dass Ed Droste und Daniel Rossen zum ersten Mal in der Bandgeschichte gemeinsam Songs komponierten. Oder, dass diese dann alle mehrfach auseinander genommen und neu zusammengesetzt wurden, bis auch wirklich jedes Bandmitglied der Meinung war: Das fühlt sich richtig an! Ein Gesamtkunstwerk also.
Die erste Hälfte von "Shields" hält zwei richtige Goldstücke bereit: "Speak in Rounds" begeistert mit akustischem Gitarrenspiel in wechselnder Lautstärke, kommt mit der Zeit immer mehr in Fahrt und endet mit einem Bläser-Solo. "Yet Again" avanciert zur größten Rockhymne des Albums, obwohl es sich am Ende leider etwas zieht und in einem instrumentalen Chaos endet.
Der Album-Opener "Sleeping Ute" reißt nicht so mit wie "Speak In Rounds" und ist zudem rhythmisch stark verschachtelt. "But I Can't Help Myself / These Wandering Dreams / Dressed Gold And Green" singt Daniel Rossen verzweifelt, und man hört die innere Zerrissenheit in seinen Worten, diese Ruhelosigkeit und Sehnsucht. Zu den eher melancholischen Stücken zählen auch "The Hunt" und "What's Wrong", das durch vorherrschende Synthesizer und Hi-Hat-Klänge sehr psychedelisch daher kommt. "A Simple Answer" beweist mit rhythmischen Klavierakkorden und Trommelschlägen jedoch wieder, dass das Leben auch fröhlich, unbeschwert und voller Hoffnung sein kann.
In der einen Minute des rein instrumentellen "Adelma" denkt man, man stehe verloren irgendwo im Wald, ein bisschen in Trance versetzt und ohne zu wissen, wohin des Weges. Dass der Weg lange und schwer sein kann, ist auf "Sun In Your Eyes" zu hören. Mit den Zeilen "So right / So Long / I'm Never Coming back" lassen Grizzly Bear in sieben Minuten ihr Werk ausklingen und graben noch einmal alle Instrumente aus, die sich finden ließen. Trotz seiner Schwermütigkeit bleibt auch dieser Song im Ohr.
"Shields" klingt leidenschaftlich und fordert heraus, denn bei jedem neuen Hörerlebnis entdeckt man ein weiteres Detail. So viele großartige Gefühlsäußerungen hat man selten gehört. "Die Energie dahinter ist einfach eine ganz andere", sagt Rossem. "Das neue Album fühlt sich sehr viel direkter an. Wir legen die Karten dermaßen offen auf den Tisch, dass auf 'Shields' alles für sich selbst spricht." Zumindest spricht es für großen Erfolg!
2 Kommentare
hmm. Der wohl beste Song Half Gate wird gar nicht erwähnt. Klingt zwar nach Fleet Foxes. Hab es bisher nur viermal gehört. Scheint ein gutes Album geworden zu sein. Highlights: Sleeping Ute, Speak In Rounds, Yet Again, What's Wrong, Half Gate und Sun In Your Eyes.
The Hunt finde ich dagegen ziemlich langweilig.
geiles Teil! tolles review!