laut.de-Kritik
Mehr Mut zur Verletzlichkeit, bitte!
Review von Anastasia Hartleib"Polaris" trägt seine Kontroverse bereits im Titel. Zum einen polarisiert Haszcara selbst: Eine Frau, die sich dem Battlerap verschrieben hat und sich im VBT bereits einen Namen machen konnte. Dazu schwirren auch ihre Themen zwischen den zwei Extremen: Dem harten, unnahbaren Image der Battle-Rapperin, die auf ihre männlichen Kollegen herabschaut und der Verletzlichkeit einer Frau, die erst lernen musste, dass auch sie stark sein darf.
Ihr Zweitling beginnt mit einem lässigen "Mittelfinger". Ein smoother Beat tropft langsam vor sich hin, bekommt einen finsteren Einschlag, bevor Haszcara mit der Präsenz ihrer charakteristischen Stimme loslegt: "Was ich mache ist n Mittelfinger, an die die dachten, dass ich es nie bringen werd". Die Wahl-Berlinerin teilt cool gegen die Kollegen aus, spielt mit sympathischer Selbstverliebtheit: "Ja ich schau gern Hintern an, vor allem den eigenen / schließlich bleib ich auf ihm sitzen und nicht auf deinem".
Schon im zweiten Song lässt sie einen Blick hinter die Kulissen zu. "Nachtdepression" erzählt über ein depressives Gitarrenecho hinweg von Selbstzweifeln, den vermeintlich eigenen Erwartungen und denen des anderen Geschlechts. "Dachte, dass mich keiner mag und dass das kommt vom nein sagen / dass ich damit falsch lag musst ich erstmal lern / kann's nun nicht den Eltern, aber immmerhin mir selbst erklären". Das gefühlvolle Sample unterstreicht die Message noch einmal deutlich.
Die Beats auf "Polaris" begeistern durchweg. Haszcara baut stilsicher und abwechslungsreich, hat ein Ohr für die passenden Samples und weiß mit Kicks und Snares umzugehen. Immer ein bisschen düster, aber stets dezent zurückhaltend, so dass genügend Raum für Inhalte bleibt. Mal trappiger, wie auf "Das Ist Ein Skit", mal klassischer Boom-Clap-Style wie in "Lauter Rapper". Dass sie erst im vergangenen Jahr begonnen hat, selbst an ihren Instrumentals zu basteln, überrascht dann doch. Selten setzen frisch gebackene Producer ein so vielseitiges Beat-Repertoire vor, dass nicht nur aus einer Feder stammt, sondern auch noch wie aus einem Guss klingt.
Dass Haszcara die Technik beherrscht, steht außer Frage. Sie flowt, mal im Up-Tempo Bereich, mal in astreiner Trap-Manier, mal mit säuselndem Sing-Sang. Die Punches sitzen, wie zum Beispiel "Keiner Außer Mir" zeigt. Zu den Scratches von DJ Bulet teilt die gebürtige Göttingerin Schlag für Schlag aus: "Hab mir oft gewünscht nicht aufzufallen, hat offensichtlich nicht geklappt / doch was kann ich dafür, wenn ihr euch ähnelt wie Trick und Track".
Trotzdem überzeugt "Polaris" nicht auf ganzer Linie. Besonders in den persönlicheren Momenten schleicht sich das Gefühl ein, dass Haszcara eigentlich noch nicht ganz bereit ist, einen Blick hinter ihre selbst errichtete Mauer zu gewähren. So beginnt "Ich Bin Nicht Hier" in einem emotionalen Tiefpunkt, lässt den Hörer mitfühlen. Durch vermeintlich witzige Lines stößt sie den Hörer allerdings wieder weit von sich weg, beraubt ihre Songs sogar der eigenen Bedeutungsschwere, wenn sie rappt "Dann mal kurz auf Toilette, las ein Furz und könnt wetten, dass die Zeit hier nicht reicht, um zu denken". "Immer Nach Dem Training" geht es ähnlich. Die Hook der "Anna"-Freundeskreis-Abwandlung geht ins Ohr, der Beat wummert heiß im Hintergrund. Doch in den einzelnen Parts erteilt Haszcara Trainingsratschläge, leider. Beide Songs hätten sehr viel mehr Raum für emotionale Tiefe zu bieten, die sie leider nicht ausnutzt. Dabei könnte Haszcara sich die locker leisten.
Stattdessen sorgt sie mit "Hannah Montana" für noch mehr Fragezeichen. Bereits im Titel dieses Trap-Geballers wählt sie ein eher fragwürdiges Idol, dessen Identifikationspotenzial der gängigen Rap-Hörerschaft nicht sonderlich hoch ist. Mit Zeilen wie "Abitur hab ich geschafft / 2,5 weil ich ein Gangster war / ja ist gar nicht so schwer wie sie sagen / du musst nur manchmal deiner Lehrkraft ein' blasen" reißt die Rapperin dazu noch das Bild ein, dass sie bis dato halbwegs sicher repräsentierte: Eine junge, starke Frau, die sich nicht gängiger Rollenklischees bedienen muss, um im Battle-Kontext wahrgenommen zu werden.
Wirklich schade. Zumal Haszcara mit ihren beiden Interludes gegen Ende des Albums zeigt, dass sie sich auch außerhalb starrer Battlerap-Grenzen bewegen kann. "Enjoy/Control" überzeugt mit sphärischem Gesang auf harten Drums und gibt für einen kurzen Moment den Blick auf die unbändige Kreativität frei, die in der Wahl-Berlinerin schlummert. Den verfestigt "Ich Mach Gar Nix" noch einmal, bei dem erneut smoothe Vocal-Samples den Gedanken freien Lauf lassen.
So steht am Ende von "Polaris" der Wunsch, dass Haszcara den Mut findet, die Schublade des Battleraps hinter sich zu lassen. Sie muss niemandem mehr beweisen, dass sie rappen kann. Auch nicht, dass sie das Produzententum beherrscht. Sie muss von nun an nur noch sich selbst beweisen, dass sie stark genug ist, um echte Verletzlichkeit zuzulassen. Erst dann steht sich wirklich über den Dingen.
1 Kommentar mit einer Antwort
ist "sich im VBT Namen machen konnte" ein euphemismus für 2x Mitmachen, keine Puchlines und den Vorrunden scheitern?
aber probs dafür, dass sie fürze lesen kann. das kann ja nicht mal ich trotz diverser brasilianischer furzpornos