laut.de-Kritik
Wurden Sie schon einmal von einem Waschbären vergewaltigt?
Review von Sven KabelitzNicht schon wieder Kunze! Zu sehr hängt noch das Grauen von "Ich Bin" in meinen Gliedern. Dieses schreckliche Verbrechen an der Menschheit mit guten Aussichten auf den Titel der schlechteste Platte 2012 ist doch gerade einmal ein halbes Jahr her. Minutenlang halte ich kopfschüttelnd die neue CD in der Hand, schaue auf das beknackte Cover und schlage meinen Kopf gegen den Kühlschrank.
Mit seiner eigenen, von Gott gegebenen Bescheidenheit vergleicht der Barde "Hier Rein Da Raus" gleich einmal mit dem weißen Album der Beatles. Wenn sich Professor Deutschrock schon mit Musikern misst, dann bitteschön mit den Besten. "Es ist mein 'White Album', und das war das beste der Beatles. Ich habe einfach gemacht, was ich wollte, 100 Prozent lupenrein, ohne jeden faulen Pop-Kompromiss."
Vielleicht liegt er aber gar nicht einmal so falsch? Tatsächlich befreit sich Kunze aus der viel zu engen Umarmung von Carmen Nebel. Er gibt den Liedermacher, spielt mit Versatzstücken von Bluegrass und Country. Innerhalb seiner fein eingegrenzten Koppel ist er bereit für Experimente. Sein Weg vom Deutschrocker zum dunklen Fürst des deutschen Pop-Schlagers ist vorerst gestoppt. Einige Stücke kommen vollkommen ohne Anbiederung und Refrain aus. Kunze stolpert mit offenen Augen und wie ein kleines Kind durch "Hier Rein Da Raus". Alles mal anfassen und in den Mund nehmen. Der Möchtegern-Elvis Costello, Fabulant und Kulturpessimist mit Oberlehrer-Gen zeigt sich so wenig peinlich wie nur möglich.
Kunze macht mit Hilfe seiner Räuberzivil-Band so viel richtig wie seit "Kunze: Macht Musik" nicht mehr. Gerade im ersten Viertel der Doppel-CD reiht er einen angenehmen und minimalistischen Track an den nächsten. Die spärliche Instrumentalisierung und die allgegenwärtige schwirrende Geige von Hajo Hofmann bauen Spannung auf und zwingen, näher hinzuhören. Im Vorbeigehen ist nicht.
"Das Dasein Und Ich" weckt den Geist von "Reine Nervensache", nur der etwas nervige Einsatz des Echos stört ein wenig. Das bedrückende "Es ist Krieg" baut sich düster und sachte zu einem Moloch auf. Mit "Mildernde Umstände" gelingt ihm im Dreivierteltakt und ganz nebenbei einer der schönsten Songs seiner Karriere. "Kauf dir nicht zu viele Platten von früher / Sie sind nicht so gut wie sie scheinen."
Kurz flirtet Kunze in "Sisyphos TV" und "Als Der Teufel Kam" mit Blues-Rock, schmückt die Tracks mal mit rauer Mundharmonika, mal mit einer springenden Maultrommel. Das grausige "Nimm Es Nicht Persönlich" begibt sich leider viel zu nah an Truck Stop und Jonny Hills "Ruf Teddybär Eins-Vier". Dagegen steht klein und fröhlich "Das Pony". "Dem Pony ist das ganz egal / Ob dein Herz für Schalke schlägt / Man an deinem Sessel sägt / oder dich auf Händen trägt / Dem Pony ist das ganz und gar egal."
Mit "Räuberzivil" und "Die Gefahr" verfällt der Ur-Hipster wieder in seinen sicheren ungelenken Rock. Ein tiefes Bad in der Belanglosigkeit. Hier rein, da raus. Etwas spröder als sonst aber musikalisch weiterhin angestaubt und bestens zum Mitklatschen geeignet. Die vertrieben geglaubte Langweile macht sich wieder breit.
Ausgerechnet "Im Nächsten Leben Werd' Ich Spielerfrau", eine misslungene Mischung aus Henry Valentinos "Im Wagen Vor Mir" und Schlager-Country mit Würgereflex, wurde als Single veröffentlicht. Vielleicht ein Bittbrief an Frau Nebel, HRK nicht gänzlich von der Gästeliste zu streichen. Der Text, der sich mit dem längst in allen Facetten ausgeleuchteten Thema auf Stammtisch-Niveau beschäftigt, könnte ebenso von Atze Schröder oder Fips Asmussen stammen. "Ab und zu die Beine breit / Selten in die Nachspielzeit".
Kein Klischee bleibt unbedient. Witzchen reihen sich aneinander wie an einer Toilettenrolle. Siebziger Jahre Altherren-Humor. Frauen und Fußball ist doch eh doof. "Ich bin ein Weib, das stets vergisst / Was Ecke und Abseits ist." Das Kunze nicht noch Schalke 05 erwähnt, grenzt an ein Wunder. Wie man sich mit mehr Herz und Charme der Materie nähert, hat Olli Schulz erst kürzlich mit "Spielerfrau" gezeigt.
Der zweite Teil von "Hier Rein Da Raus" setzt mit zunehmender Dauer auf spärlich instrumentierte literarische Ergüsse. Das kennt man schon von "Der Golem Aus Lemgo" oder "Wasser Bis Zum Hals Steht Mir". Der Gernegroß-Poet erzählt uns von der bedingungslosen, sich selbst auffressenden Liebe, bösen schwarzen Vögeln und fragt ungeniert, ob wir schon einmal von einem Waschbären vergewaltigt wurden. "Zuerst überwiegt das blanke Entsetzen / Dann bildet sich ein blitzblankes Staunen heraus und am Ende ist es schön." Dieses Denkerdeutsch kann man mögen, muss man aber nicht. Ich persönlich fühle mich von dieser Art von Poesie vergenusswurzelt. Wenn der Christian Wulff-Freund schließlich in "Putzfrau Jesus" meint, Besserverdienende bloßstellen zu müssen, hat dies einen ganz bitteren Beigeschmack.
Doch auch, wenn die Kollegen mich für diese Kritik schlagen, hänseln und von weiteren gemeinsamen Grillabenden absehen werden - "Hier Rein Da Raus" ist wirklich keine schlechte Platte. Die positiven Eindrücke überwiegen und mit etwas mehr Konzentration wäre sogar eine höhere Wertung möglich gewesen. Genießen wir diesen ruhigen Moment, denn der nächste "Dein Ist Mein Ganzes Herz"-Klon wartet bestimmt schon um der nächsten Ecke. Nicht schon wieder Kunze!
2 Kommentare
Der war früher mal richtig gut! Seit 15 Jahren kann ich seine Platten nicht mehr hören und hänge nur mit dem alten Zeugs rum
wieso kann ich Eddys Pop-Rezension nicht kommentieren? Die war awesome.
sry für OT x)