laut.de-Kritik

Soll dieser Mann uns wirklich in Helsinki vertreten?

Review von

Na endlich, lautet die erste Erkenntnis beim Betrachten des Albums. Endlich ist die Rotzbremse weg, die das Gesicht des Produktivsten unter den Deutschrockern Jahrzehnte lang zierte. Mit schwarzem Anzug und Designerstuhl sieht er nicht mal mehr nach E-Gitarre aus – eher wie ein TV-Dauergast à la Roger Willemsen. Doch der Schein trügt: Heinz Harald Kunze versucht, auf "Klare Verhältnisse" wieder wie früher zu rocken.

Ob es an seiner Absicht liegt, beim Eurovision Song Contest teilzunehmen, wofür er beim Vorentscheid erst mal die Gören von Monrose (Roger Cicero lassen wir mal außen vor) schlagen muss? Jedenfalls hört sich der Anfang von "Ein Traum" wie ein Stück von den Ärzten an – einfaches Riff, rockig und knackig. "Mein Vater heißt Roswitha", singt Kunze im Text. Was das wohl für ein Traum war?

"Sowas Ähnliches Wie Liebe" beginnt mit Keyboards und ist sowas Ähnliches wie ein Rückfall in eine schlimme Vergangenheit. "Meine definitive und verliebte Antwort auf Duran Duran. Die 80er waren schrecklich, aber im Rückblick verklärt sich alles", erklärt Kunze das Stück auf der Seite seines Labels. Duran Duran waren aber wesentlich besser als dieser Neuaufguss. Die 80er auch – immerhin gab es Guns N' Roses.

Überhaupt, diese Kommentare. Das entfernt an U2 angelehnte "Guten Tag Traurigkeit" ist "Deutsche Melancholie, die auf New Yorker Gitarrenrock trifft. Erich Kästner als Frontmann bei The Strokes". Damit zeigt Kunze, dass er sich nicht als Durchschnittsmensch sieht.

"Syd Barrett wird wiedergeboren, steigt mit einer Neil Young-Maske wieder bei Pink Floyd ein und singt Kunze", schreibt der Osnabrücker über "Köpfe der Kühltruhe." Was wäre wohl Roger Waters' Reaktion, wenn ihm jemand von diesem Affront erzählen würde? Wahrscheinlich würde er am liebsten noch einmal "The Wall" aufführen, um die Mauer ein letztes Mal zum Einsturz zu bringen – und Kunze darunter zu begraben. Den Stein hat der Deutschrocker sich eh schon selbst geschaffen, mit dem Stehblues "Dank", der "Versuch eines provisorischen Grabsteins, irgendwo zwischen Udo Jürgens und John Lennon".

Doch vor seinem Ableben muss sich Kunze noch zur Lage der Nation äußern. "Gute Reise" ist "eine Hoffnungsballade gegen das Aussterben unseres Vaterlandes". "Biedermeier" will uns Kunze als "gedämpften Funk als Soundtrack zur Aufbruchsstimmung der Großen Koalition" verkaufen: "Kein Woodstock mehr / Im Kanzleramt / Die Hippies gehen nach Haus / Genug gekifft / Und Wind gemacht / Der lange Marsch ist aus", trägt er im Text vor.

Gute Laune kommt vor allem bei "Die Welt Ist Pop" auf ("Wir sind Deutschland. Juchhu und Helau!") - die braucht Kunze auch, sollte er tatsächlich das Vaterland beim Grand Prix im Mai 2007 vertreten. Bleiben noch eine Dylan-Hommage ("Woran Die Welt Mit Mir War"), ein Lied für Frauenversteher ("Überlegungen Einer Reifen Frau") und ein versöhnlicher Abschluss ("Find Mich Eines Morgens", "Schlaf Gut").

Viele der Stücke sind mit dem langjährigen Begleiter Heiner Lürig entstanden. Ein bewährtes Team, von dem man nichts Revolutionäres erwarten darf. Das Ergebnis ist der klassische Charts-Poprock, für den Kunze seit Jahrzehnten steht. Über die Texte lässt sich wie gewohnt streiten: Für die einen sind sie pseudoliterarischer Nonsens, für die anderen Gedichte zum Nachdenken. "Klare Verhältnisse" ist alles in allem ein Durchschnittsalbum wie die meisten seiner Vorgänger. Vielleicht ein bisschen besser.

Trackliste

  1. 1. Ein Traum
  2. 2. Sowas Ähnliches Wie Liebe
  3. 3. Dank
  4. 4. Guten Tag Traurigkeit
  5. 5. Gute Reise
  6. 6. Die Köpfe In Der Kühltruhe
  7. 7. Die Welt Ist Pop
  8. 8. Ohne Euch
  9. 9. Biedermeier
  10. 10. Überlegungen Einer Reifen Frau
  11. 11. Blues Für Die Beste
  12. 12. Woran Man Mit Mir War
  13. 13. Find Mich Eines Morgens
  14. 14. Schlaf Gut

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