laut.de-Kritik
Das Wort Spannungsbogen ist Kunze bei diesem Konzert fremd.
Review von Ulf KubankeKurz nach der Veröffentlichung seines umstrittenen "Stein Vom Herzen"-Albums gibt HRK am 21. November 2013 für Radio Berlin ein recht intimes Clubkonzert vor enthusiastischem Publikum. War das Studiowerk alles andere als ein Befreiungsschlag, durfte man dennoch gespannt sein, wie und ob ein Gig den Liedern aus insgesamt 30 Jahren neues Leben jenseits von Königin Patina einhauchen kann.
Bevor es in klassischer Rockbandbesetzung - Gitarre, Bass, Drums, Keyboard - so richtig losgeht, versucht sich der unbeirrt hochpolitische Kunze an einem Spoken Word-Ausrufezeichen. Sein "Sprechtext 1: Warum Höre Ich Nichts?" - gewidmet dem kürzlich verstorbenen Dieter Hildebrandt - soll den Hörern als Snowden-Hymne und US-Kritik wie ein Blitz in die Glieder fahren. Doch was so gut gemeint als Tiger zum Sprung ansetzt, landet als Bettvorleger. Hier trifft gefühltes Dichterfürsten-Pathos auf reales Büttenredenschema, das mit Alaaf und Helau errichten auf hinrichten reimt. Ein unfreiwillig komischer Einstieg, bei dem man gar nicht mehr fragen muss, wer hier ob der vorangestellten Widmung im Grabe rotiert.
Das kann ja nur besser werden. Während man fremdschamerfüllt bereits den Einstieg der Band ersehnt, setzen die Instrumente endlich ein. Und gar nicht mal schlecht. "Europas Sohn" kommt eine Spur rauer rüber als noch im Studio. Die Prise Breitbeinigkeit im Sandpapiersound tut dem engagierten Lied ersichtlich gut und unterhält.
Genau diese irritierende Zwiespältigkeit zieht sich musikalisch durch die den gesamten Konzertabend. Wie bei einem echten Januskopf stehen ihm Licht und Schatten gleichermaßen ins musikalische Gesicht geschrieben. Die beiden Songs seines 1985er Meisterwerks "Dein Ist Mein Ganzes Herz" sind klarer künstlerischer Höhepunkt des Abends. Damals hat die Legende Conny Plank (Kraftwerk, Neu!, Ultravox) ihm den perfekten Sound auf seinen bebrillten Leib geschneidert. Das großartige "Vertriebener" war mit jeder biografisch-zerissenen Zeile seiner Zeit schon damals weit voraus. Mit wuchtiger Neil Young Gitarre und leidenschaftlich herausgeschleuderten Vocals emanzipiert er den Track vom 80er Rahmen des Studios. Ich heiß' Heinz wie mein Onkel, der in Frankreich fiel./Und Rudolf wie Rudolf Hess./ Ich werde überall begraben sein!" Gut gebrüllt, alter Deutschrocklöwe!
Auch "Dein Ist Mein Ganzes Herz", diesen zu oft als Schmalztopf verkannten Bastard aus entlarvendem Sarkasmus und sehnsuchtserfüllter Romantik rockt er sauber nach Hause. Keyboarder Matthias Ulmer setzt die ebenso simple wie brilliante Piano-Hook, den heimlichen Star des Evergreens, perfekt ein. "Was sind das bloß für Menschen, die Beziehungen haben?/ Betrachten die sich denn als Staaten?/ Die verführen sich nicht./die entführen sich höchstens./ Die enden wie Diplomaten." Besser kann man teutonische Beziehungsbürokraten auch 2014 nicht entlarven.
Solch Kniefall gebietenden Höhenflügen steht leider eine ganze Armee spielverderbender Kardinalsfehler gegenüber, die dem alten Showhasen unwürdig sein sollten. Das Wort Spannungsbogen ist Kunze zumindest bei diesem Konzert fremd. Immer wenn man gerade eingegroovt ist und bereit, sich von der Musik davontragen zu lassen, ruiniert der Osnabrücker die aufgebaute Atmosphäre mit wenig interessantem Genöle. Spoken Word Beiträge funktionieren aber nur, so man ein echter Storyteller à la Tom Waits ist oder ein vor Pointen triefender Aufklärer wie Henry Rollins.
Der gute Heinz hingegen stilisiert sich gerne zum ranzigen Laienprediger, der anscheinend weder den eigenen Songtexten vertraut, noch der Intelligenz des eigenen Publikums. Wenn er der gar nicht mal üblen Medienschelte "Schämt Ihr Euch Nicht?" Allerweltsplatitüden der Marke "Medien sind wichtig. Medien sind eine Stärke der Demokratie. Aber manchmal neigen sie dazu, ihre Macht zu missbrauchen" voranstellt, kann man nur mit den schultern zucken. So etwas macht nicht nur den Flow der Lieder kaputt. Man wundert sich auch, dass keiner aus der Menge ihm ein Loriot artiges "Ach was?" zurück gibt.
Allerspätestens beim textlichen Peinlichkeits-Höhepunkt "Sprechtext 3: Wie Müllmänner" ("Wir fordern die Frauenquote für Herrentoiletten. Diese letzte Männerbastion muss fallen. (..) Und wir haben festgestellt, dass es noch viel zu viele Tennisarme auf der Welt gibt.") möchte man ihn rütteln, schütteln und ein wenig Rock'n'Roll-Spirit einimpfen. Wer als Kunze-Fan so etwas mehr als einmal erträgt, ist ein harter Knochen mit viel Leidensfähigkeit.
Hilft bei letztem Beitrag noch die Skiptaste, steht man bei mediokren Schlagern wie "Das Glück Auf Deiner Seite" oder "Hallo Himmel" vollends auf verlorenem Hörerposten. Warum nur waren viele so überrascht von seinem Auftritt bei Carmen Nebel? Das passt tragischerweise doch wunderbar in jenes betuliche Programm. Zum Ende dann noch ein kleiner Lichtblick mit drei akustischen Demoversionen der letzten Scheibe. Die machen zwar auch keinen Sommer, duschen einem dennoch wenigstens den Sirup-Sound der genannten Lieder ab.
Schlussendlich spiegelt dieses Livekonzert Kunzes unerklärliche Widersprüchlichkeit wider, die sich wie ein roter Faden durch seinen gesamten Katalog zieht. Seit dreißig Jahren betont er stets seine innige Zuneigung zu Vorbildern, wie David Bowie, Lou Reed, Neil Young oder Randy Newman. Trotz dieser ewig postulierten Orientierung an den echten Innovatoren fehlen seiner Musik Bowies Nonchalance, Reeds kompromisslose Wut, Youngs authentisches Rockertum und Newmans Talent zu pointiertem Spott. Seit dreißig Jahren möchte man ihn fragen: Heinz, warum klingst du nicht wenigstens ein bisschen so konsequent wie deine Ikonen? Die Antwort bleibt er auch weiterhin schuldig.
1 Kommentar
Was kann ich sagen? Für einen 42jährigen, der in seinem Leben trotz Intelligenz und mangels Durchhaltevermögen immer wieder gescheitert ist und jetzt einem durch Scham, Schuld, Schmerz, Armut und Angst eigenhändig verursachten Krebstod entgegensieht, ist 'Hallo Himmel' nicht mehr gar so sehr medioker. Kunze wird nur wirklich von Menschen geschätzt, die übermäßig gelitten haben, scheint mir.
Da reicht die scheinschlichte Zeile 'hier unten war ich gar nich so beliebt'. Dann hört man dieses Lied nach vergeudeter Nacht um 5 Uhr mindestens zehnmal und weint sich die Augen aus dem Kopf. Ich geb' ja zu, man könnte noch dran feilen, es ist keine herausragende Klangblume wie 'Finden Sie Mabel', es ist nicht so einzigartig, wie ich es mir von Kunze wünsche. Aber das Wort medioker liest sich trotzdem schlecht und grundlos schroff.
Auf Spannungsbögen mache ich kleine braune Häufchen, da ich CDs, auch die lebendigen, bis auf wenige Ausnahmen später nie als Ganzes höre. Wozu auch anders? Ob dieses Kriterium wirklich die Überschrift bilden muß, bleibt fraglich. Ich bereue den Kauf nicht. Reinhören. Öfter als einmal. Nicht alles, was gut tut, muß ein richtungsweisendes Meisterwerk sein. Er könnte mehr, ja, aber er kann trotzdem viel. Sehr viel. Da muß nicht alles sitzen.
Besser der Kunze, den wir haben, als ein kaputtbekrittelter Kunze, der's Maul hält. Dabei käme nur magensäuregenährter Speiseröhrenkrebs heraus. Eine nie bekannt gewordene, kluge Brille hat die Menschen, die mit viel zu viel Gülle düngen, jedenfalls nicht gut vertragen. Nicht alle Pflanzen vertragen sauren Boden.