laut.de-Kritik
Das ist Hardrock, Baby.
Review von Stefan JohannesbergDer große Kutten-Autor Matthias Herr lederte Anfang der 90er in seinem legendären "Heavy Metal Lexikon Vol. 1" ordentlich gegen Helloweens Pionierarbeit für die poppige Variante des Power Metal los. "Musikalisch ohne Frage 'Top' war allem 'Keeper Of The Seven Keys 2' eine Backpfeife für die einstigen Fans, die Speedbanger Mitte der 80er, unter denen auch der Autor bei den legendären Livebattles begeistert seinen Kürbis geschüttelt hatte." Es folgten Bravo-Vergleiche und andere Disses. Noch Jahrzehnte später wabert jener Rant über jedem Helloween-Relase wie "The Fog" und ein leises Lächeln schleicht sich in die Visage.
Ob Herr noch lebt, ist nicht bekannt, aber mit der Rückkehr von Kai Hansen und später Michael Kiske und dem 16. Album "Helloween" 2021 wäre der junge Matze versöhnt, holte die Band doch die Fans des früheren Sounds wieder auf die Party. Jetzt, nach der Kennenlern- und Wieder-Neu-Kennenlern-Phase, spielt die Sieben-Mann-Kapelle befreit auf und beglückt mit "Giants & Monsters" vor allem die Freund:innen der eingängigen Mitsing-Hits.
Der Opener "Giants On The Run" führt noch auf eine falsche Fährte. Kai Hansen presst seine Stimme wie bei "Victim Of Fate" über die High-Speed-Attacke, gedoppelte Soli, stampfende Kampfgesänge und ein erhabenes Interlude schieben Helloween jedoch wieder in bekannte Keeper-Fahrwasser. Der Refrain "We are giants on the run" fasst die Situation der Band, die auch noch 40 Jahre nach Gründung Konzerte auf dem ganzen Globus vor zehntausenden Fans spielt, perfekt zusammen.
Der Clou am Song ist, dass Kiske nicht ans Mic steppt, obwohl dieser Mix sein Wohnzimmer-Sound wäre. Andi Deris als dritter Sänger im Bunde und eher für die hardrockigen Momente zuständig, ergänzt Kai durch den größtmöglichen Gegensatz jedoch wunderbar. Kiske sprach ausführlich in einem extrem guten Interview mit Wrestling-Legende und Metal-Head Chris Jericho über diese Momente und überraschenden Entscheidungen im Studio. Jeder Sänger sang im Vorfeld jeden Song von "Giants & Monsters" und ohne Egos erkannten Kiske und Co. recht schnell, welche Kombination am besten funktioniert.
Das folgende "Savior Of The World" hält den Metalhead weiterhin auf Speed. Michael Kiske, immer noch einer der zehn größten Metal-Shouter ever, erklimmt wieder höchste Tonlagen, die Doublebass ballert, und die Riffs schneiden durch die Synapsen. So klang Power Metal, als er noch Melodic Speed Metal hieß. Danach übernehmen jedoch die Melodien für Millionen. "A Little Is A Little Too Much" groovt tanzbar und jenseits aller Schlager-Rhythmik, die ihnen seit "Dr. Stein" von Szenewächtern immer wieder vorgeworfen worden war und mittlerweile den Power Metal dominiert. Immer wieder schauen große Chöre vorbei, während der Sound heavy genug durch Speaker bläst. Das ist Hardrock, Baby.
"We Can Be Gods" dagegen schielt mit Keyboard-Harmonien, die an Udo Jürgens erinnern, schon stärker in Richtung Mainstream. Das gleiche gilt für die Schunkelhymne "Into The Sun", die zwar nicht so bombastisch ans Herz fasst, wie die großen Helloween-Hits "A Tale That Wasn't Right" und "Forever And One", die jedoch mit den Gesangsleistungen und der Gitarrenarbeit immer noch auf einem höheren Niveau als 99,9 Prozent aller Kolleg:innen spielt.
Sieben Weltklassemusiker oder fünf starke Songwriter haben 2016 die Egos ihrer Sturm-und-Drang-Phase begraben und begeistern seitdem mit Bodenständigkeit, Energie und Spaß. Sie suhlen sich auf "Giants & Monsters" förmlich in ihrer Komfortzone und finden dort eine ansteckende Leichtigkeit wieder, die in jeder Phase von "Walls Of Jericho" bis zu Andy-Days immer Teil und Stärke des Helloween-Sounds war. Wie sonst könnte man mit "This Is Tokyo" eine Scorpions-mäßige Liebeserklärung an die japanische Hauptstadt schreiben, ohne cheesy und cringe zu klingen?
Der erwartete Höhepunkt des Albums ist traditionell ein Acht-Minuten-Track. Auf "Universe (Gravity For Hearts)" bauen sich Helloween mit "Stardust in our venes" ein Nightwish-Zyklopen ohne Symphonie-Überfluss. Kiske und Deris duellieren sich in Höchstform - dazu Chöre, Voice-Interlude, ein balladesker Part mit der großen Geste, Midtempo-Prechorus, Mosh-Momente und um Minute 4:40 herum ein queenesker Opern-Ausflug, alles stimmig und energetisch in Szene gesetzt.
Danach geht den alten Herren jedoch etwas die Luft aus. "Hand Of God" bedient sich beim Classic Rock und fügt gar eine Brise Funk in den Sound. "Under The Moonlight" verliert sich in belanglosen Pop-Rock und der zweite Acht-Minuten-Track am Ende zündet nicht wirklich.
Alles in allem ist das Album aber ein wundervoll erfrischende, positive Angelegenheit mit vielen starken Songs. Wie gestand Matthias Herr in der zweiten Auflage seines "Heavy Metal Lexikon Vol. 1" 1993 ein: "Mit dem zeitlichen Abstand und der erloschenen Enttäuschung sind 'Keeper I und II' erstklassige Hardrockalben. Verzeiht mir, dass für meine Einschätzung ein paar Jahre vergehen mussten.". Und genau das ist "Giants & Monsters" auch.
4 Kommentare
Ich möchte es gerne wieder gut finden, so wie früher, als ich als Kind ehrfürchtig vor den Keeper-Covern gestanden habe. Aber das Video ist wirklich hart anzuschauen.
Das ist vor allem unfassbar scheiße produziert bzw. abgemischt.
Mitte der 80er habe ich sehr häufig Helloween gehört. Rückblickend finde ich das Hansens stimme am besten zu Helloween passt, auch wenn Kiske objektiv der bessere Sänger ist. Meistens kehre ich daher zur ersten E.P. und der Walls of Jericho zurück. Aber bis zum Ausstieg von Kiske war ich der band treu. Mit Beginn der Deris-Ära haben sie mich dann verloren. Das 21er Album hat mich daher sehr nostalgisch gestimmt und abgeholt, Giants&Monsters hat das leider nicht mehr geschafft. Aber schön, daß sie noch da sind. Ach und generell gehören die Bassläufe von Grosskopf zu meinen liebsten, underrated Master....
Diese Art von „Metal“ ist bereits seit 1989 out.
Aber schön dass die Herren hier noch was zu tun haben.