laut.de-Kritik
Schöner (und zahmer) könnte Neofolk kaum sein.
Review von Alex KlugWas ein Siegeszug für Mat McNerney: Nachdem er mit Grave Pleasures die wohl spannendste Post-Punk-Truppe des letzten Jahrzehnts etablieren konnte, machte sich 2016 auch sein Zweitprojekt Hexvessel in den Hitlisten breit. Psychedelic Forest Folk für die breiten Massen? Wohl weniger, näherten sich die Finnen mit "When We Are Death" doch eher dem Manzarekschen Sixties-Sound an. Mit quäkigen Trompeten, schrulligen Orgeln und einer ganzen Prise Altbekanntem bleibt die Scheibe trotzdem ein willkommenes Kleinod in der Tradition eines "Piper At The Gates Of Dawn".
Drei Jahre später stehen Hexvessel wieder ganz im Zeichen der Akustikgitarre. Und die wird auf "All Tree" teils etwas zu ungebremst durchgeschrubbt. "Son Of The Sky" öffnet als locker-beschwingte Folk-Rock-Nummer, im nachfolgenden "Old Tree" zeigt sich Mat "Kvohst" McNerney von seiner zärtlichsten, aber auch stattlichsten Songwriter-Seite. Zu selbiger steht inzwischen auch wieder Gitarrero Andrew McIvor, Co-Komponist des Debütalbums "Dawnbearer".
Im direkten Vergleich zum Erstling entpuppt sich "All Tree" als hübscher und verdammt sauber gespielter Neofolk. Schöne Mollakkorde kennen die Herren aus den finnischen Wäldern, Choralgesänge sind ebenso fein durcharrangiert wie die Field Recordings auf "A Sylvan Sign". Multiinstrumentalist Kimmo Helén hat die Orgel wieder gegen die Bratsche eingetauscht, von der Sperrigkeit von Genrevorreitern wie Sol Invictus und Death In June keine Spur. Schöner – und zahmer – könnte Neofolk eigentlich kaum sein.
Was "All Tree" jedoch gänzlich vermissen lässt, sind all jene kruden, durch und durch psychedelischen Schnipsel, die "Dawnbearer" und ganz besonders dem Zweitling "No Holier Temple" ihren neuartigen, erdigen Sound beschert haben. Sicher, erdig kommt auch "All Tree" daher, vermutlich sogar noch erdiger als die Vorgänger. Aber Quietschtrompeten, dreckig röhrende E-Gitarren-Licks und doomige Ausbrüche – für all das lässt der aufs Songwriting verlagerte Fokus nun keinerlei Raum mehr.
All das macht "All Tree" zu keinem schlechteren Album – schließlich sind die Verzierungen noch immer da. Sei es in Form von zarten Flötenklängen in "Changeling", mittelalterlicher Folklore in "Wilderness Spirit" oder butterweichen Gilmour-Slides in "Birthmark". So drängen sich dann zwar schnell Vergleiche mit den ruhigeren Outputs von Bands wie Ulver, Dornenreich und Agalloch auf – andererseits ist es doch genau deren Negierung von Konvention und Perfektion, die Hexvessel hier gerade in kürzeren Interludien wie "Journey To Carnac" und "Visions Of A.O.S." vermissen lässt.
Doch auch wenn diesmal ein Stück essentieller Eigenständigkeit fehlt. "All Tree" ist ein bezirzendes Album voll wunderschöner, wahrhaft naturverbundener Musik.
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