laut.de-Kritik
Verträumte Country-Harmonien von Stars der 90er.
Review von Philipp KauseIm Spätsommer 2019 tritt Sheryl Crow überraschend mit einem "womöglich letzten" Album auf den Plan, vollgepfropft mit Gästen. Bald darauf gastiert sie selbst ganz unauffällig als Background-Sängerin bei Hootie And The Blowfish auf "Imperfect Circle". Auch diese Band biegt mit Americana-Sound auf den Comeback-Pfad ein. In Europa nahm man diese Band zuletzt in den 90ern mit Songs wie "Only Wanna Be With You" wahr. Das letzte Album kam 2005 heraus, und Frontmann Darius Rucker war für geraume Zeit als Country-Solist unterwegs.
"Imperfect Circle" erfindet nichts neu und erschafft nichts, was es nicht so ähnlich schon bei CSNY zu Woodstock-Zeiten gab. Doch ein reaktionäres Album ist Hooties sechste Scheibe keineswegs, es traut dem Hörer hohe Ansprüche zu. Verkaufte die Gruppe vor 25 Jahren mit eher mittelmäßigen Alternative-Rock-Standards zehn Millionen Alben, so erbringt sie jetzt den späten Beweis musikalischer Feinfühligkeit.
Hootie And The Blowfish treten nicht als Sänger mit Anhang auf, sondern geben an, alle Songs gemeinsam verfasst zu haben. Dies wirkt glaubhaft, denn die Instrumentierungen wirken sehr ausgefeilt und exakt. Eine Fülle an Tonquellen hält Einzug, und jedes Instrument setzen Hootie wohldosiert ein. Das zurückhaltende Tasteninstrument Mellotron, die achtsaitige Mandoline und der seltene, von der Dave Matthews Band gerne genutzte Moog Bass zählen zur Ausstattung.
Heraus kommt eine stimmige, super abgemischte Kaminfeuer-Musik, die auch langweilige Autofahrten aufpeppt. Conga-Trommeln, gelegentlich eine Trompete und eine elektrische Wurlitzer-Orgel runden die insgesamt sehr warmen und sehr amerikanischen Klänge ab. Doch im Kern handelt es sich um Gitarrenmusik; Mark Bryan und Jeff Trott heißen die Gitarristen. Mark hat Radiojournalismus studiert und schrammelte schon in den 90ern die Hootie-Hits. Jeff ist in den Amerika ein einflussreicher Songwriter aus dem Umfeld von Sheryl Crow. Die Musik, die sie zusammen machen, nähert sich etwas artverwandt den Wallflowers, Matchbox 20 und besagter Dave Matthews Band, tappt aber immer mit den Fußspitzen ins Country-Segment. Passend dazu, spielte die Gruppe die CD in Nashville ein.
Atmosphärisch, wie die Platte sich aufbaut, laufen alle Songs recht gleichberechtigt hintereinander durch; keiner sticht heraus, keiner stört, keiner flasht. Eine starke Ausstrahlung übt es gerade dann aus, wenn man sich die Zeit nimmt, es als Ganzes durchzuhören.
Das Gitarren-Songwriting verkörpert zeitlose Stilistik zwischen alternativem Country, Westcoast-Rock, Rock-Pop und Americana-Folk. Der schnellste Song heißt "Not Tonight" und pflegt die Fokussiertheit und Straightness der alten Hits. Der langsamste Track ist mittelschnell, die etwas gedämpfte Ballade "Change" übers Älterwerden.
Darüber hinaus besingt Darius Rucker das Erleben von Zeit, Natur, Einsamkeit, Zweisamkeit, verpasste Gelegenheiten, Montage, Freitage ("Not Tonight"), Samstagabend ("Lonely On A Saturday Night"), Sonntagmorgen ("Wildfire Love") und Feiertage ("New Year's Day"), kalifornische Highways und den Sonnenuntergang überm Pazifik, Sonne, Wasser, Mond, Sterne, Sex am Strand, Spaß, kein Geld, Gott, Wahrheit und Freiheit, Freunde, gebrochene Herzen und mehrmals Blue Jeans. Vorteil der Trivialität: Man weiß immer, worum es geht.
Ed Sheerans Handschrift als Co-Songwriter von "Wild Fire Love" herauszuhören – nahezu unmöglich. Gemütlichkeit ist gar keine Beschreibung für diese Komposition mit Country-Choralgesang und harmonischer Keyboard-Untermalung.
Ein paar weitere Highlights: "Turn It Up", mit einem putzigen Bläser-Intro, zeichnet sich durch einen im Rock ungewöhnlichen Rhythmus aus, und die Melodie ist super schön. Sich "Not Tonight" zu entziehen, fordert heraus: Zwei Mal gehört, wird ein recht sicherer Ohrwurm daraus. "We Are One" bedient den Neo-Folk im Stile von The Lumineers. Alle drei Songs laufen hintereinander, und das chorale "Why" mit seinen geschmeidigen Gitarrenriffs toppt sie noch. Somit gibt es einen echt gelungenen Mittelteil auf "Imperfect Circle". Das locker schwingende "Why" kann dank seiner magnetischen Harmonien auch gut solche Hootie-Klassiker wie "Old Man & Me (When I Get To Heaven)" (1996) übertreffen.
Berücksichtigt man, dass das Maßstab setzende Album "Cracked Rear View" nur zu einem Drittel wirklich charakterstarke, einzigartige Songs enthielt und der Smash Hit "Only Wanna Be With You" Bob Dylan-Plagiate (aus "Idiot Wind" und "Tangled Up In Blue") enthielt, ist "Imperfect Circle" das bei weitem beste und originellste Album dieser Band. Ob es sich auch Millionen Mal verkaufen wird, ob es auch bis auf Platz 19 der "best-selling" Alben aller Zeiten in den USA aufschließen kann, ist dagegen fraglich.
"Imperfect Circle" mag kein perfektes Album sein, weil es keine sofort zündenden Hits hat und eher als 'Slow Burner' ins Ohr geht. Es punktet aber als aufrichtiges Handwerk mit sehr guten Melodien, enthält keine Füllstücke und keine drögen Momente. Hootie And The Blowfish spielen hier sehr flüssig, kurzweilig, bodenständig und sympathisch.
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