laut.de-Kritik
Deep Purples Sänger mit seltenen Stücken der Band.
Review von Giuliano BenassiBetrachtet man die Etappen der Deutschlandtour Deep Purples im Sommer 2008 genauer, kommt so etwas wie Ernüchterung auf. Rocknacht Tanzbrunnen Köln, Siegerlandhalle Siegen, Oberschwabenhalle Ravensburg und das Kloster Benediktbeuren: Während die ehemaligen Rivalen von Led Zeppelin mit einem einzigen Konzert in Londons O2-Arena Scharen neuer Fans gewonnen haben, sind Deep Purple in der Provinz angelangt. So ist es eben, wenn man schon seit 40 Jahren auf Tour ist, von kurzen Unterbrechungen abgesehen.
Eine solche nutzte Sänger Ian Gillan aus, um im August und September 2006 mit so gut wie unbekannten Musikern durch die USA und Kanada zu tingeln. Die Infrastruktur war dabei denkbar einfach: Neben der Band (Schlagzeuger, Bassist, Orgelspieler und zwei Gitarristen) gab es gerade mal fünf Crewmitglieder, darunter den Busfahrer, der die Truppe von A nach B führte. Back to the roots sozusagen.
Um Kohle ging es dabei offenbar nicht, sondern um Musik. Demnach lieferte die Truppe nicht ein Feuerwerk an verstaubten Hits, sondern Material aus Gillans umfangreicher Solokarriere und weniger bekannte Deep Purple-Stücke. Nach dem entbehrlichen, ambienten Keyboardintro geht es mit "No Laughing In Heaven" gleich zur Sache: Rauer Gitarrensound, druckvolle Rhythmusgruppe, Orgel. Klassischer Hardrock. Die Stimme klingt etwas gequält, nach wie vor aber unverwechselbar.
Auf das Solostück aus dem Jahr 1981 folgt mit "Into The Fire" gleich eins von Deep Purple, und zwar aus dem Klassiker "In Rock" von 1970. Für die erste große Überraschung sorgen aber "Wasted Sunsets" und "Not Responsible" aus dem Comeback-Album der Band, "Perfect Strangers" (1984). Hier gibt es sie zum ersten Mal in einer Livefassung, zumindest in offizieller Form. Nett ist auch die rockige Version von Richard Berrys "Have Love Will Travel" mit Saxophoneinlage.
Die restlichen Stücke der ersten CD hinterlassen zwar keinen bleibenden Eindruck, bieten Gillan aber die Gelegenheit, sein Organ auf Temperatur zu bringen, während die Band solide Unterstützung leistet. CD 2 beginnt mit einer Zusammenarbeit zwischen Iron Maidens drittem Gitarristen Janick Gers und Gillan. Der einzige Gast des Abends in Anaheim ist aber DP-Produzent Michael Bradford. Schade eigentlich, waren doch in Toronto noch Jeff Healey und in San Francisco Lars Ulrich mit dabei.
"Moonshine" und "Sugar Plum" entstanden zu Beginn der 90er Jahre, als Gillan vorübergehend den Platz bei Deep Purple räumen musste, weil sich sein Erzfeind Richie Blackmore durchgesetzt hatte. Das dazwischen angesetzte "State Of Mind" stammt aus der Feder von Tourgitarrist Michael Lee Jackson und wirkt genauso schlecht platziert wie das Schlagzeugsolo.
Davor kommt aber noch ein Schmankerl: Die Ballade "When A Blind Man Cries", die 1972 als B-Seite der DP-Single "Never Before" erschien. Eine Revanche Gillans gegenüber Blackmore, der das Stück hasste wie die Pest und sich weigerte, es live zu spielen.
Es folgt das finale Showdown. "Smoke On the Water" lässt sich wohl nicht vermeiden, doch der Rock'n'Roll-Klassiker "Trouble" sorgt für etwas frischeren Wind. Gelungen ist auch das abschließende "Knocking on Your Back Door", ebenfalls aus dem DP-Album "Perfect Strangers".
"Live In Anaheim" ist so etwas wie ein offizielles Bootleg. Gillan, der den Mitschnitt seiner Konzerte unterstützt, so lange er nicht kommerziellen Zwecken dient, stellt sich in den Dienst seiner Fans und bietet eine klanglich hochqualitative Aufzeichnung mit 100 Minuten guter Laune und energiegeladener Stimmung. Zwar sind Sänger und Album nicht mehr ganz zeitgemäß und wohl auch nicht zeitlos, aber für Deep Purple-Fans, die nicht zum tausendsten Mal eine Liveversion von "Child In Time" oder "Highway Star" hören möchten, bietet es eine gute Gelegenheit, den Bandsound in weniger bekannten Stücken zu genießen. Die großen Hits kommen im Sommer eh in die Provinz.
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