laut.de-Kritik
Schweißgetränktes Weltkulturerbe: Ein Konzert wie ein Rausch.
Review von Kerstin KratochwillMit 77 Jahren und siebenköpfiger Band gab Iggy Pop bei seinem bereits dritten Auftritt beim Montreux Jazz Festival im ausverkauften Stravinski Auditorium im Juli 2023 sein letztes Hemd für das Publikum. Bzw. hatte er je eines? Es war eher so, wie er selbst sagt: "I give something extra every time I do Montreux Jazz. In '23 it was deep cuts like Mass Production, Endless Sea, Five Foot One and a hell of a lot of sweat."
Den Schweiß kann man auf dem Album "Live At Montreux Jazz Festival 2023" richtiggehend riechen, die Energie spüren, wenn bei dem Set die unglaubliche Karriere des Godfather Of Punk durchgeknüppelt wird. Gespielt wurden Stücke der Stooges sowie Nummern von Iggys Alben "The Idiot", "Lust For Life" (beide 1977), "New Values" (1979) und seiner aktuellen Platte "Every Loser" (2023).
Wer jetzt aber immer noch verwundert "Jazz und Iggy Pop?!" fragt, dem sei noch gesagt, dass das seit 1967 am Genfersee stattfindende Festival seine Wurzeln zwar im Jazz, Soul und Blues hat, sich aber schnell anderen Genres öffnete und mittlerweile unterschiedlichste Künstlerinnen und Künstler zu Gast hatte wie zum Beispiel Radiohead, Kendrick Lamar, Lady Gaga oder letztes Jahr Kraftwerk. Was aber seit Beginn Bestand hat, ist die Aufnahme mancher Konzerte in voller Länge. Daraus ist ein Ton- und Filmarchiv entstanden, das inzwischen Aufnahmen von über 4.000 Bands umfasst, die in den letzten 40 Jahren in Montreux aufgetreten sind. Diese Sammlung wurde 2013 sogar in das Weltdokumentenerbe der Unesco aufgenommen.
Damit ist Iggy Pop gewissermaßen nun museumsreif, und er selbst kuratiert uns durch seine Karriere: Wir hören der rohen Gewalt der Stooges-Ära mit "I Wanna Be Your Dog" und "T.V. Eye" zu, geben uns dem nonchalanten "Lust For Life" hin, schwelgen beim hypnotischen "Nighclubbing" mit, als wären wir selbst im Live-Publikum. Geradezu schamanisch beschwört Iggy Pop dann den "Passenger" in einer sechsminütiger Version, und auch da ist das Publikum vor Ort wie auch zuhause Wachs in seinen Händen, wenn ein Hammondorgel-Solo den Refrain einleitet und der Song mit Band und Publikum verschmilzt.
Apropos Band: Mit intensivem Bläsereinsatz werden die Tracks doch irgendwie schräg jazzig, und gleichzeitig bleiben sie knüppelhart roh. Man hört förmlich die Spielfreude an den Songinterpretationen zwischen treibenden Mariachi-Klängen, schneidenden Gitarrenriffs und variablen Vocals, die einem Rausch gleichen. Und so verabschiedet Iggy Pop sich passenderweise bei der Schluss-Nummer "Frenzy" mit den Worten: "I'm In A Frenzy, You Fucking Prick, I'm In A Frenzy, You Goddamn Dick".
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