laut.de-Kritik
Funk der 70er unter einer polierten Schicht Kunstharz.
Review von Dani FrommWarum kann heutzutage eigentlich niemand mehr dreckigen Funk spielen? Oder will nur keiner? Wenn doch: Wieso findet das dann nie den Weg auf einen Tonträger? Langsam aber sicher habe ich die glattproduzierten aktuellen Veröffentlichungen einstiger Disco-, Soul- und Funk-Legenden gründlich satt. Jawohl, wieder einmal haben wir es mit einem Album zu tun, an dem handwerklich wenig bis nichts auszusetzen ist. Wäre ja auch sehr seltsam, würde Strippenzieher Jean-Paul "Bluey" Maunick nach zwölf Jahren Bandgeschichte plötzlich anfangen, mit zweitklassigen Musikern zu arbeiten.
Solches tut er natürlich nicht: Incognito bedient sich seit jeher der Dienste ausgezeichneten Personals. Die Leistung der Musiker lässt nichts zu wünschen übrig. Maunick ist an sämtlichen Kompositionen beteiligt, bei den Bläserarrangements lässt er sich wahlweise von Trompeter Dominic Glover oder Nicol Thomson an der Posaune unterstützen. Blueys Instrument ist und bleibt die Gitarre, gelegentlich greift er auch zur akustischen Variante. Tony Remy, der zweite Gitarrist, verdiente sich Brötchen wie Lorbeeren einst in den Reihen der Crusaders. Auch er versteht sein Geschäft. Die beiden harmonieren gut, wie es zum Beispiel in der Ballade "Baby It's Alright" zu Tage tritt. Dieser Song bietet auch Sängerin Imaani die erste Gelegenheit zu zeigen, was sie stimmlich auf dem Kasten hat.
Wirkliche Gänsehaut möchte sich allerdings nicht einstellen. Die verursacht - wenn überhaupt - doch eher die etwas dunklere Stimme Maysas, die in "When Tomorrow Brings You Down" von Bass und Keyboards flankiert wird (die ansonsten in der Regel über-präsenten Bläser bleiben hier etwas im Hintergrund). Imaani erhält ihren zweiten großen Auftritt mit dem verhalten instrumentalisierten "As Long As It's You" am Ende des Albums. Hier gebührt dem Gesang verdientermaßen die Haupt-Aufmerksamkeit. Die warme Stimme Tony Momrelles kommt in "I'll Get By" akzentuiert von Bläsern und Gitarre in einem funky Rahmen gut zur Geltung.
"We Got Music", "Come Away With Me" und "Show Me Love" machen es mit stampfenden Disco-Beats den Anforderungen der Tanzfläche recht. Ich werde das Gefühl nicht los, alle diese Tracks einst von Kool & The Gang oder Earth, Wind & Fire schon seelenvoller gehört zu haben. Zudem komme ich nicht umhin, in Anbetracht der leider weitgehend gehaltlosen Texte ("Life is just a roller coaster", "All I need is love and music"), den Kopf auf die Tischplatte schmettern zu wollen. Mehr haben wir 2005 nicht zu sagen? Das ist dünn.
Dann lieber gleich instrumental bleiben: "Let The Mystery Be" und besonders das Chris McGregor und Hugh Masekela gewidmete "Jacaranda", in dem sich die Melodien von Blueys und Tony Remys Gitarren gekonnt umschlingen, stellen die wahren Gewinner-Tracks des Albums dar. Wenn auch hier eine etwas weniger geschliffene Produktion überhaupt nicht geschadet sondern - im Gegenteil - wesentlich lebendiger gewirkt hätte.
Von Experimentierfreude und Innovation ist nichts zu spüren, auch wenn die Presseinformation der Plattenfirma noch so oft "Veränderung und Weiterentwicklung" als Markenzeichen Incognitos anpreist. "Eleven" enthält keinen einzigen Song, den es in der einen oder anderen Art nicht schon unzählige Male gäbe.
Ja doch! Das ist alles nett anzuhören. Als hätte man den Sound der 70er genommen, mit einer dicken Schicht Kunstharz übergossen und anschließend poliert, bis man sich drin spiegeln kann. Am ecken- und kantenlosen Endprodukt tut sich niemand mehr weh, andere große Gefühle bleiben allerdings ebenfalls komplett auf der Strecke.
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