laut.de-Kritik
Der Neo-Soul-Star seziert den eigenen Herzschmerz.
Review von Dani FrommEs bedarf einer gewissen exhibitionistischen Veranlagung, seinen Herzschmerz in derart epischer Breite öffentlich zu sezieren. Genauso braucht eine voyeuristische Ader, wer wirklich, wirklich wissen will, was in den Abgründen von Schmerz und Verlassenheit anderer vor sich geht - mir genügen gewöhnlich meine eigenen. Aber es soll ja Menschen geben, die das Wissen, nicht alleine im Regen zu stehen, die Nässe besser ertragen lässt. Für diese dürfte sich India Aries "Testimony" als heilender erweisen als eine Selbsthilfegruppe.
Ganze drei Jahre nahm sich die Neo-Soul-Lady für dieses Werk: Zeit, die notwendig war, den erlittenen Herzbruch zu verarbeiten. "Ich musste an den Punkt gelangen, an dem ich mich nicht einfach nur beklage, sondern in der Lage bin, meine Erkenntnisse und Erfahrungen zu teilen", lässt sie die Welt wissen. Genau das tut sie, in einem ehrlichen und in sich seiner Offenheit hart an der Grenze zum Peinlichen bewegenden Konzeptalbum.
Wir dürfen die klassische Entwicklung beobachten: Die verlassene Liebende muss sich zunächst mit dem Verlust konfrontieren, bevor Selbsterkenntnis und Einsicht zu neuer Unabhängigkeit führen: "Good morning silence, good morning myself." Schön, wenn der Schmerz nachlässt: Sobald man seine Lektion gelernt hat, kann das Spiel ja wieder von vorne losgehen. Ganz ehrlich? Bäh!
Der immerwährenden (und immer gleichen) Thematik zum Trotz verpackt India Arie die Allerwelts-Erkenntnis "Die Zeit heilt alle Wunden" in zauberhafte Songs, die, getragen von ihrer ganz leicht angerauchten Stimme, jeder für sich ein kleines Glanzstück darstellen. Sie kann es sich problemlos leisten, ihren Gesang alleine neben ein Piano zu stellen: Auch völlig unbegleitet würde eine India Arie noch nicht verloren wirken.
Akustische Gitarren liefern filigrane Melodien, Klavier und Streicher, aber auch elektronische Spielereien ("Good Mourning") verleihen den Kompositionen der ersten Album-Hälfte eine melancholische Note. Eine Coverversion von Don Henleys "The Heart Of The Matter" gerät zwar für meinen Geschmack entschieden zu poppig. Und doch: Die leise Instrumental-Unterstützung, die die gehauchten Verse erfahren, gerät atmosphärisch und trifft die in den Texten vermittelte Stimmung auf das Perfekteste.
Wie gesagt: Die Zeit heilt alle Wunden. "There's Hope", und man ist schon wieder in der Lage, mit einem kleinen Gruß an Labelkollegen Stevie Wonder eine "Private Party" zu feiern. Die zwischengeschobene Einsicht "I wanna live": ein legitimer Wunsch, der zum kraftvollen, selbstbewussten Statement von "India' Song" überleitet. Anleihen aus Folk und Country sind hier nicht zu überhören. Beschwingt und fast schon wieder fröhlich bewegt man sich dann auf den "Wings Of Forgiveness". Der Rhythmus in "Summer" wirkt ebenso unaufhaltsam, wie die ewig ineinander greifenden Jahreszeiten.
Akon leistet seinen Beitrag zum sich ebenfalls recht countryesk anlassenden "I Am Not My Hair", einer entschiedenen Weigerung, sich über Äußerlichkeiten und die Erwartungen anderer definieren zu lassen. Schließlich gehe es um "the soul within". Der Soul ... ja, schade. Wenn auf dem Label "Motown" zu lesen steht, hätte ich davon doch sehr gerne eine größere Portion serviert bekommen. Sei's drum: Die Feelgood-Nummer "Better People" entschädigt mit funkigem Groove.
Die finale Erkenntnis aus "I Choose" - "I live my life for me" - hinterlässt den Eindruck einer ungebrochenen starken Frau, die im Verlauf der vergangenen Stunde mehr von ihrem Seelenleben preisgab, als ich je erfahren wollte. "Every relationship is a lesson." Bleibt abzuwarten, welche Lektion India Arie im zweiten Teil von "Testimony" zu erteilen gedenkt.