laut.de-Kritik
Der Winter naht.
Review von Manuel BergerSchrecklich, dieser Frühling! Die Sonne scheint, man beginnt zu schwitzen, sobald man mit Matte und Ledermantel das Haus verlässt. Alles grünt und blüht und ist so bunt, dass es in den Augen wehtut. Da kommen Insomnium gerade recht. Die Finnen holen den Winter zurück, schieben den Mond vor die Sonne und verbreiten klirrende Kälte, die unaufhaltsam zunimmt.
Komischerweise schafft es die Band trotzdem, dass der Hörer sich jederzeit wohlfühlt. Ein paradoxer Effekt, der Insomnium schon auf den letzten Studiowerken von anderen Combos abhob. Teilweise gesprochene oder geflüsterte Textpassagen verleihen den Songs zusätzlich etwas Mystisches, was den Ausnahmestatus des Vierers weiter festigt. Dieser Eindruck bestätigt sich mit Fortschreiten der Titelliste immer wieder und steigert sich mit jedem weiterem Durchlauf.
Gleich der Opener "The Primeval Dark" schiebt sich wie eine fette, dunkle Wolke vor das Licht und hüllt alles in einen wattigen, schwarzen Schleier aus Melodien. Schwere Riffs schleppen sich durch die Dunkelheit, während melancholische Leads ihre Schwingen ausbreiten und ruhig darüber hinweggleiten. Niilo Sevänens Vocals sind in diesem ersten Song zwar ungewöhnlich weit nach hinten gemischt, was anfangs etwas irritiert. Nach mehrmaligem Hören entfaltet dieser Kniff jedoch seine volle, geheimnisvolle Macht.
Der starke Einstand geht nahtlos in die Single "While We Sleep" über, worin das Album seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Sechs Minuten lang schwelgen die Gitarren in göttlichen Harmonien und wirken stellenweise fast schon ermutigend. Epischer Klargesang sowie sanft gehauchte Worte über einem Akustikpart heben den Song auf ein noch höheres Level, bevor er im Solo und dem abrupten Ende seine Vollendung findet.
So schön geht es auf der Platte allerdings nicht immer zu. Gleich im Anschluss knüppeln sich die Finnen durch zwei knallharte Melo-Death-Brecher. Die Doublebass strapazieren sie dabei fast ein wenig zu sehr. Black Metal-Anleihen finden sich ebenso wie Riffs, die genauso gut von Amon Amarth stammen könnten. Auch Sevänens Grunzen erinnert mehr als einmal an Wikingerbarde Johan Hegg. Natürlich haftet all dem immer noch eine deutliche Insomnium-Note an.
Das bleibt selbst in der Halbballade "Lose To Night" so. Auch wenn es wohl niemanden verwundern würde, hätte Esa Holopainen von den Landsmännern Amorphis beim Songwriting seine Finger im Spiel gehabt. Der Vergleich mit Amorphis ist wohl auch insgesamt am stimmigsten. Die Stile der beiden Bands ähneln sich sehr, haben aber auch klare Alleinstellungsmerkmale. Insomnium verinnerlichen dabei sicher die brutaleren, rohen Anfangstage etwas mehr. Wo Amorphis das wärmende Feuer sind, sind Insomnium schneidender Bergwind.
Den aktuellen Stand des Quartetts fasst "Collapsing Words" perfekt zusammen. Der schnelle, mit coolen Hammer-Ons versehene Beginn mündet bald in ein wahres Monster von einem Refrain. Dann preschen die Staccato-Gitarren wieder gnadenlos voran, unterstützt von erbarmungslos durchgeprügelten Drums. Ein kurzes Interlude sorgt für eine Verschnaufpause, bevor der Melodienhammer so richtig einschlägt. Was für ein Song!
Dass sich Blastbeats, brutale Growls und "Ahh-aah-aah"-Chöre keineswegs im Wege stehen müssen, beweisen Markus Hirvonen und Niilo Sevänen in "The River". "While We Sleep" ist zu diesem Zeitpunkt längst wieder vom Prädikat "Bester Albumtrack" enthoben. Im letzten Drittel dreht die Band erst richtig auf und entfesselt eine unglaubliche Energie und Dynamik.
Insomnium gelingt mit "Shadows Of The Dying Sun" ein mehr als würdiger Nachfolger des starken "One For Sorrow". Die Band vollbringt das Kunststück, nicht nur auf dem Albumcover eine Sonnenfinsternis darzustellen, sondern diese auch mittels ihrer Kompositionen zum Leben zu erwecken. Die Scheibe vermittelt genau das Gefühl, welches sich beim Beobachten einer echten Eklipse einstellt. Alles versinkt in Düsterkeit und doch begleitet dieses Spiel mit Licht und Schatten eine positive Stimmung, eine gewisse Erhabenheit.
9 Kommentare mit 4 Antworten
Absolut geile Scheibe! Bei einigen Stellen für meinen Geschmack etwas viel Clean-Gesang, aber selbst der passt.
Eine der wenigen Bands, die nicht enttäuschen.
Eine Band die es schafft Growls und Klargesang zu einer funktionierenden Einheit zu verschmelzen, kann grundsätzlich nicht schlecht sein.
wow, bin total berauscht von der neuen scheibe, kann kein klares urteil fällen.. noch epischer, nahezu balladesk stellenweise, aber eben auch noch mehr auf die zwölf als je zuvor, gelungenes einbringen von clean vocals, ohne dass sie dominierend sind, und virtuose soli, die es so bei insomnium auch noch nicht gab. 2 1/2 jahre ists her seit "one for sorrow" und ich habe neues von insomnium so sehr herbeigesehnt.. und bin nicht enttäuscht, sondern überwältigt bislang. bin übrigens dankbar, dass sie ihr album jetzt herausbringen. die dunkelheit im kopf ist nicht weg, wenn die sonne scheint. sie wird vielleicht nur noch schwärzer, wenn sie von konsumorientiert programmierter fröhlichkeit befeuert wird. insomnium schaffen keine eklipse, sondern sie helfen, mit ihr zu leben. und sie helfen bestenfalls, aus sich selbst heraus licht zu erschaffen, mut zu schöpfen für einen persönlichen aufstieg aus dem dunklen.
"konsumorientiert programmierter fröhlichkeit" - die Menschen sehnten sich seit jeher den Sonnenschein herbei, da diese Fröhlichkeit wird mal sicher nicht von der Werbeindustrie befeuert. Natürlich werden die Menschen Richtung Sommer fröhlicher und verkonsumieren mehr. Nur Dunkelheimer sitzen bei 25°C im April in der Wohnung und entziehen sich dem Trend (weil man ja so individuell ist). Höre mir sicher im Sommer nicht Immortal mit "At the Heart of Winter" an, weil es einfach wider dem natürlichen Empfinden ist. Aber nun ja, leben lassen. Farsot und Triptykon laufen aktuell auch bei mir - ist ja wieder WE mit sehr bescheidenes Wetter.
mir gings in erster linie drum, zu kritisieren, dass man (in der rezension, im gesellschaftlichen leben im allgemeinen) offenbar nur in bestimmten situation bestimmte gefühle zeigen darf. im sinne von: im herbst/winter hört man insomnium, im frühling/sommer nicht! dem stimme ich eben nicht zu. die sonne kann doch scheinen, wie sie will, wenns innerlich dunkel ist, dann hilft die bloße sonnenbestrahlung, auch wenn sie positive körperreaktionen auslöst, kaum. und ja, die dunkelheit im kopf, von der ich sprach, wird befeuert von unechter, programmierter fröhlichkeit, ich bleib dabei. du hast geschrieben: "Natürlich werden die Menschen Richtung Sommer fröhlicher und verkonsumieren mehr." ich glaube eher, dass der konsum steigt, je weniger fröhlich man ist. ich meine mit dieser fröhlichkeit (bewusst dieses wort gewählt, denn es soll ihren künstlichen charakter hervorheben) bespaßungsmechanismen wie z.b. werbung aller art, der emotionale rausch in der disco, comedy-kappes, die neueste redundante technische errungenschaft, spirituelle lebensratgeber, musikalischer gute-laune-schranz, 200 euro am spielautomaten nach 2 euro einsatz etc.. soll heißen: die kulturindustrie verspricht mit diesen fröhlichkeitsprogrammen verheißungsvoll, die dunkelheit im kopf wegzuwischen, fröhlichkeit zu erschaffen, die dunkelheit im kopf also zu befeuern, also anzugreifen. anzugreifen mit dem ziel, die dunkelheit zu beenden. aber das ist ein von der kulturindustrieu nerfüllbares versprechen. sie kann dieses versprechen nicht erfüllen, denn es ist wider ihren charakter als industrie, die immer kurzfristig zur kompensation verhelfen will, die aber nie die ursachen, die kompensationen überhaupt erst nötig und finanziell lukrativ machen, ausmerzen möchte. hat man einmal realisiert, dass es sich bei den ganzen verlockungen um kompensierende abwehrmechanismen handelt, die am ziel - am problem - vorbeigehen, dann machen diese verlockenden bespaßungsmechanismen die dunkelheit im kopf noch finsterer.. dann ist das befeuern gemeint im sinne eines angriffs auf die hoffnung nach wahrem glück, denn das, womit man befeuert wird, das ist nur programmierte fröhlichkeit. um den bogen zu schließen: ich bin froh, dass insomnium gerade jetzt das album herausgebracht haben, denn insomium veröffentlichen diese art von musik in einer zeit, in der diese wider den programmiert fröhlichen trend ist (frühling = knospe; insomnium = verwelken und der spagat zwischen niedergeschlagenheit, akzeptanz und auch hoffnung). und vor allem: insomniums musik kreist um den ausgangspunkt der dunkelheit und weist musikalisch und lyrisch auf ihn hin. der ausgangspunkt der dunkelheit ist bei jedem hörer aber anders. gefühle wie angst, schuld, trauer etc., die mit ihm assoziiert sind, teilen allerdings alle. und insomnium transportieren diese gefühle, während die musik um den individuellen ausgangspunkt kreist, ganz ohne programmierten bespaßungsmechanismus.
@post-rocker: Natürlich! Hab alle Alben von Be'Lakor! Da es
eine der besten Melodeath-Bands ever ist
(meine Meinung). So ne junge Band und sol-
che Skills! Unglaublich.
@JaDeVin: Ja, dem stimme ich zu. Alles sehr gute Bands.
Finde immer noch, dass Red Shift das beste
Album von Omnium Gatherum ist.
seh ich wie du.. be'lakor gehen technisch dermaßen ab, ohne jemals groove und melodiosität vermissen zu lassen. bin auch total begeistert, wie diese band plötzlich einfach da war.. und nun räumen sie von hinten das feld auf. "outlive the hand" is irgendwie immer noch mein fave..
Zwei Herren mit Geschmack - ich bin entzückt und schließe mich Euch beiden an.
Be'Lakor sind großartig, Omnium Gatherum entpuppten sich ebenfalls als eine positive Überraschung. Und die neue Insomnium ist ein Glanzstück!
Schönes Review. Besonders der Vergleich mit Amorphis hat mir gut gefallen. Gute Reviews erleb ich hier ja nurnoch selten.
bei der auflistung all dieser vielen guten melo-death-metal bands fehlen aber meiner meinung nach unbedingt noch: In Mourning. Noumena und Mors Principium Est evtl ebenfalls, aber von ihnen kenne ich je nur ein album wirklich gut, das ich allerdings jeweils ziemlich schätze..