laut.de-Kritik
Spannender Ausflug zu den Wurzeln des Techno.
Review von Christoph DornerBei wohl keinem anderen DJ werden im Internet die Mitschnitte und Playlisten so obsessiv archiviert und diskutiert wie bei James Holden. Hat der doch glatt neulich in Berlin die Fuck Buttons und einen Radiohead-Remix zwischen stampfenden 90er-Techno gelegt. Wer kennt sein vier-Stunden-Set von 2003 aus Bukarest? Und erst recht diesen einen Auftritt beim Way Out West-Festival in Schweden?
Wer den Musikmathematiker Holden nur einmal im Club gesehen, kann das Netzgeschrei um seine Bootlegs sofort nachvollziehen. Seine Sets mit ständig neuen, unveröffentlichten Edits gelten zu Recht als grenzgängerisch bis visionär, weil er neben Techno immer auch Songs aus dem Independent-Kosmos zu Tanzmusik umfunktioniert. Man könnte allerdings auch behaupten, dass er Techno in Rock übersetzt. Die Übergänge sind bei Holden fließend.
In diesem Sinn war es längst überfällig, ihn als 33. Künstler für den Mix-CD-Klassiker "DJ Kicks" zu verpflichten, dem mit Acts wie Erlend Oye, Annie oder Hot Chip schon immer etwas an der Aufhebung von Genregrenzen lag. Bei aller technischen Hybridität verschiebt Holden den Schwerpunkt sogar auf Tracks, die ihren Weg sonst nie in die Clubs finden.
Freilich, mit Caribou und Kieran Habden hat er zwei intermediäre Zugpferde mit alten Schätzen in seinen Mix eingebunden. Ansonsten wartet der Labelchef von Border Community aber mit so mancher Überraschung auf. Von der nahezu völlig unbekannten Dortmunder Pharmazeutin Ursula Bogner hat er frühe esoterische Spuren-Elektronik aus den 70er Jahren aufgetrieben. Eric Copland darf kurz in die verspulte Welt seiner Experimental-Band Black Dice einführen.
Das neue Kompakt-Signing Walls schimmert kurz mit harmonischer Electronica auf. Die Kölner MIT erinnern im getragenen Luke Abbott Remix daran, dass sie mit ihrem aufgekratzten Neo-Krautrock immer noch ein großes Versprechen abgeben. Selbst die Londoner Rock-Avantgardisten Piano Magic und die Klangforscher Lucky Dragons aus L.A. bindet Holden elegant in seinen retrofuturistischen, technisch perfekten Mix ein.
Richtig viel Platz räumt Holden für Mogwai frei, die mit dem psychedelisch gefilterten Edit von "The Sun Smells Too Loud" über neun Minuten am Horizont aufschimmern. "Tirangle Folds", Holdens erster eigener Track seit Jahren, passt sich mit fuzziger Synthesizer-Melodie der rockigen Gesamtästhetik früher, vornehmlich deutscher Elektronik-Pioniere an. Insgesamt ein spannender, dabei aber wenig partytauglicher Ausflug zurück den frühen Wurzeln des Techno.
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