laut.de-Kritik
Den internationalen Techno-Takt gibt immer noch Detroit vor.
Review von Daniel StraubNach langer Abstinenz fügt Jeff Mills seiner umfangreichen Diskographie endlich auch mal wieder einen echten Longplayer hinzu. Nicht, dass der inzwischen in Chicago lebende DJ und Produzent seine Fans vergessen hätte. Auf seinen Labels Axis, Purpose Maker und Tomorrow veröffentlicht Mills reichlich. Aber auf einen richtigen Longplayer musste die darbende Fanschar lange warten. Mit "At First Sight" zeigt Jeff Mills wieder einmal, wer den internationalen Techno-Takt vorgibt. 13 Titel lang präsentiert "The Wizard" seine intensiven musikalischen Zukunftsvisionen, bei denen weder Kopf noch Beine zur Ruhe kommen.
Steht ein Release von Jeff Mills an, so kann man sich gewiss sein, dass der ehemalige Architekturstudent und sozial engagierte Musiker etwas zu sagen hat. Nicht umsonst steht Mills wie auch Cristian Vogel im Ruf, einen intellektuellen Zugang zu Techno zu suchen, vor allem den Kopf anzusprechen. Das ist bedingt richtig, doch sind der Denkfabrik von Jeff Mills auch Dancefloor-Brecher wie "The Bells" entsprungen, die derartiges Schablonendenken schnell ins Reich der Absurditäten verbannen.
Auf "At First Sight" gibt sich Mills optimistisch und entspannt. Der schwere Schatten, den Mills' Geburtsort, die herunter gekommene Autostadt Detroit, über frühere Veröffentlichungen warf, ist deutlich kürzer geworden. Die Tracks wirken frisch und leicht, ja beinahe unbeschwert. Sie sind nicht mehr die erdrückenden Klanggebilde dunkler Tage, vielmehr verharren sie im skizzenhaft Unvollendeten: konkret genug um das Wesentliche hörbar werden zu lassen, abstrakt genug um die Phantasie anzuregen.
Dabei bleibt wie im Opener "The March" der Bezug zum Dancefloor gewahrt, ohne in die Ideenlosigkeit vieler Tool-Techno-Stücke zu verfallen, deren Augenmerk sich nur noch auf das ekstatische Zucken der Tanzenden richtet. Die Grooves von Mills wirken wie schnell eingefangene, auf den ersten Blick umgesetzte Ideen, die den Blick für das Wesentliche verraten. Und so werden auf einmal die melodischen Streicher in "Imagine" zu den eigentlichen Trägern des Tracks, weil die angerissenen Beats den Zuhörer in einem Stadium des gespannten Erwartens verharren lassen. Ein Schwebezustand, der charakteristisch für "At First Sight" ist, und aus dem große Faszination erwächst. So kommt "Fantasia" mit seiner Engführung von Melodie und Beat wie ein musikalischer Orgasmus für Kopf und Beine über den Zuhörer, bevor das klaustrophobische "Mmb" für die schnelle Ernüchterung sorgt.
Jeff Mills geht auf "At First Sight" eigene Wege: er entwirft Tracks, lässt sie bewusst skizzenhaft, provoziert den Hörer, hält ihn dazu an, das Ausgangsmaterial für sich zusammen zu bringen und zu ergänzen, auf dass dem Zuhörer am Ende ("See This Way") die Augen geöffnet werden.
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